Live im Volkstheater

Calexico: Musik, die pure Lebensfreude ausstrahlt

Wien
26.10.2023 01:08

Mittwochabend begeisterten die amerikanischen Wüstenrock- und Americana-Legenden Calexico im ausverkauften Wiener Volkstheater mit einer vollständigen Rückschau auf „Feast Of Wire“ und einem Best-Of-Zugabenset der puren Lebensfreude. Die Zeitlosigkeit der bis zu 20 Jahre alten Kompositionen ist beeindruckend.

Als sich Joey Burns und John Convertino vor fast schon 30 Jahren zu einer Band namens Calexico zusammenschlossen, ahnten sie gewiss noch nicht, welchen Kultfaktor sie vor allem in Europa einnehmen würden. Das Duo entsprang dem Felsmassiv von Giant Sand, einem noch immer aktiven Alternative-Country/Americana-Projekt rund um Frontmann Howe Gelb, der sich in puncto Erfolg und Kommerzialität längst von seinen Zöglingen überholen ließ. Calexico, vor 1996 einfach nur ein unbekanntes Städtchen an der Grenze USA/Mexiko, hatten als Kreativduo früh den Anspruch, das Lebensgefühl der dortigen Einwohner mit Mariachi und Desert-Rock-Zitaten zu vermengen. Heraus kam dabei ein Amalgam an feinsinnigen Klängen, die sich in ein paar sehr gute, aber noch nicht hochtrabende Alben subsumieren sollten.

Der große Gamechanger
Der große Knall kam vor exakt 20 Jahren. „Feast Of Wire“ war eine bombastische Erweiterung des calexischen Soundkosmos und ein erster, zu der Zeit aber schon längst fälliger Schritt aus der eigenen Komfortzone, die sich Burns und Convertino viel zu eng um sich und ihre Fähigkeiten herum gesteckt hatten. Auf diesem Werk wurde aus dem Duo eine vollständige Band. Sie schulterten die Verantwortung, aber auch die erweiterte Kreativität breiter. Die Trompete von Jacob Valenzuela, das wuchtige Akkordeon von Martin Wenk und der Einsatz von Pedal-Steel-Gitarre und vermehrten Percussions veränderten Gestus und Außenwirkung der Band. „Pitchfork“-Kritiker Joe Tangari überschlug sich vor Begeisterung. „Es ist das Album, von dem wir immer wussten, dass sie in sich tragen, uns aber davor fürchteten, dass sie es nie schreiben würden.“

Rein kommerziell und Chartplatzierungstechnisch sollten die letzten zehn Jahre natürlich erfolgreicher sein, doch „Feast Of Wire“ prägte das Gesicht Calexicos, wie es mehrere Generationen an Fans noch heute schätzen und lieben. Zum 20-Jahre-Jubiläum haben Burns und Convertino das karriereprägende Werk nicht nur noch einmal aufgelegt, sondern auch gleich eine üppige Europa-Tour darum gebastelt. Die wichtigste Vorgabe: Möglichst nur in Theatern und kultigen Auditorien aufzutreten. Jedenfalls in Lokationen mit Geschichte und Atmosphäre - schließlich leben und atmen die Band und ihr Material ebenjene Marksteine. Die Wahl fiel auf das Wiener Volkstheater und die knapp 900 Karten waren relativ schnell verkauft. Die gern gesehenen Österreich-Stammgäste Calexico am Mittwochabend dazu auch noch in Topform.

Jubelnder Nachtfalke
Getragen von einem herrlich klaren Sound und einer präzise getimten Lichtshow, erobert die noch immer aus zahlreichen Originalmusikern von damals bestehende Band das Publikum im Sturm. Sechs kundige Typen mit passgenau sitzenden Hemden und Westernhut stellen sich breitbeinig in die Szenerie und agieren so bunt und genresprengend, wie es „Feast Of Wire“ bereits damals war. Indie-Folk, Americana, viel Mariachi, Anleihen an Quentin Tarantino oder Ennio Morricone, Alt-Country und Latin-Sounds finden ihren Weg aus den Verstärkerboxen. Zwischen Songs wie „Sunken Waltz“, „Black Heart“ oder „Dub Latina“ liegen Welten. Dem fantastischen und inhaltlich ganz und gar nichts mit der genannten Protagonistin gemein habenden „Not Even Stevie Nicks…“ stellt die staubcoole Truppe eine Wüsten-Version des Joy-Division-Evergreens „Love Will Tear Us Apart“ bei - inklusive saalumgreifenden Mitsingfaktor. Da hält es in der Loge auch Edelfan Hans Krankl nicht mehr auf seinem Sitz.

Zur Feier des Jubiläums spielen Calexico ihr frühes Meisterwerk zur Gänze und chronologisch. Das ist insofern wichtig und richtig, als dass dieses Werk den Spannungsbogen genau so braucht, um zur Gänze erfasst und genossen werden zu können. Große Backgroundgeschichten erfährt man von Burns nicht, viel lieber lässt er die Erinnerung daran ruhen und die Musik samt ihrer leicht patinierten Nostalgie erzählen von den Nachwehen 9/11s oder dem leichtfüßigen Lebensgefühl der südlichen Erd-Hemisphäre. „Die Schönheit liegt in der Konfusion, lassen wir das Geheimnisvolle einfach so sein, wie es ist.“ Eine gute Anweisung, der die treuen und mit dem Songmaterial durchwegs kundigen Fans dankbar folgen. Immer wechseln sich zarte mit eruptiven Passagen, folgen psychedelische Verquerungen auf James-Bond-artige Soundkaskaden oder hingebungsvolle Mariachi-Trompeten. Es ist einzig und allein der kundigen Band und dem Kompositionsgenie der beiden Chefs zu verdanken, dass all diese Substile nicht im Nirwana verdunsten, sondern eine Kohärenz erzeugen, die rundum erfreut.

Von zeitloser Qualität
Nach mehr als 80 Minuten des ausgedehnten Hauptsets kommen Calexico noch für ein paar Zugaben auf die Bühne. Das von Burns auf einer Akustikgitarre solo gespielte „Minas de Cobre“ leitet mit seiner friedvollen Ruhe in die Irre, ein Medley aus lebensbejahenden Latin-Klängen mit zugänglichen Jazz-Einsprengseln bringt den Saal zum Beben. Valenzuela ist von einer sich ständig in Bewegung befindlichen Logenbesetzung so begeistert, dass er immer wieder in mit den Leuten in Kontakt tritt. Musikalisch über alle Zweifel erhaben, passen bei Calexico auch Spielfreude und Motivation. Am Ende setzt die Band auch das gegenwärtige letzte Studioalbum „El Mirador“ stärker in Szene, das als in Musik gegossener Beweis für die zeitlose hohe Qualität der Band steht. Jetzt fehlen eigentlich nur mehr die Staatsoper und der Musikverein - dann haben Calexico jede edle Location der Stadt gespielt. Ein baldiges Wiedersehen ist absolut erwünscht.

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