Musiker-Autobiografie

David Vincent: Erinnerungen eines morbiden Engels

Musik
20.05.2023 09:00

Mit Morbid Angel schrieb er Musikgeschichte im härteren Segment, privat ließ er über die letzten Dekaden wenig Fettnäpfen aus - US-Death-Metal-Ikone David Vincent blickt in seiner Autobiografie „I Am Morbid“ auf sein Leben zurück und gibt den Lesern viele gute Ratschläge für ihr eigenes. Eine Rechnung, die nur teilweise aufgeht. Das Buch erscheint am 26. Mai.

In der Death-Metal-Szene gehört David Vincent zweifellos zu den wichtigsten Charakteren der gesamten Genre-Historie. Mit seinem 1986 getätigten Einstieg als Sänger und Bassist wurde aus der davor noch eher amateurhaft agierenden Band Morbid Angel von Florida aus einer der absoluten Szene-Vorreiter. Mit ihrer Mischung aus vertrackten Rhythmen, okkulten Texten und mysteriösen Live-Shows stießen sie die Türen für später folgende Combos á la Deicide, Cannibal Corpse oder Malevolent Creation meterweit auf. „I Am Morbid“ erscheint nun gute drei Jahre nach der ursprünglichen Veröffentlichung über den Index Verlag auch auf Deutsch und Vincent blickt mithilfe des kundigen Schreibers Joel McIver noch einmal auf sein aufregendes und durchaus kontroverses Leben zurück.

Kontroverse Ansichten
Die „etwas andere Autobiografie“, die der stets unbescheiden agierende Szeneheld verspricht, ist aber keine Neuerfindung des Rades, denn vom chronologischen Erzählstil kommt er schlussendlich auch nicht ab. In seiner Einleitung schreibt der Amerikaner lieber vollmundig von Ratschlägen für das Leben und die Zukunft und setzt seine Historie in den folgenden zehn Kapiteln gerne mit gesellschaftlichen Umtrieben oder Wandeln gleich. Die einzelnen Kapitel werden mit klugen Sprüchen in Szene gesetzt, um dem Leser möglichst viel von der Gedankenwelt Vincents mitzugeben. Die sollte man - und das wissen Fans und Kenner natürlich - keinesfalls völlig unkritisch hinnehmen. Vincent ist ein Freund von Freiheit und Libertarismus, kommt aber nicht ohne Waffen und Jagd (als Tierfreund!) aus. Obamas Gesundheitsreform mag er ebenso wenig wie den zunehmenden Tenor, dass sich die USA von ihrer Waffengeilheit trennen sollten.

Zwischen wertkonservativ und bemüht progressiv wandelt er durch die Welt, nimmt sich aber zumindest kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Vergangenheit geht. Sein Dickschädel hat ihm schon in der Schule Probleme gebracht und führte zu einem wilden Streit samt langjährigem Stillschweigen mit seinem Vater. Die Familienfehden sind mittlerweile ausgestanden und geradegerückt und aus dem ungestümen Jungen wurde - so die Eigenanalyse - ein Mann mit Erfahrung und Weitblick. Gerade die frühen Jahre in der ersten Hälfte der Autobiografie wissen zu überzeugen. Wie war es, als Jugendlicher in Florida aufzuwachsen? Wie viele Probleme bekam man mit satanischer Grundhaltung in einer strikt religiösen Gesellschaft und was hat sich in der Death-Metal-Szene während ihrer Ursprünge so alles getan?

Fehlende Tiefe
Morbid Angel gelten in der Rückschau nicht zwingend als die zugänglichsten und freundlichsten Szenefiguren, Vincent erklärt das auf seine Weise mit dem Arbeitseifer und der akribischen Detailverliebtheit. Dass die Band immer auf sich selbst und nie auf andere achtete, das beweist die stets extreme, in Details aber kunterbunte und sich immer verändernde Diskografie. Wirklich in die Tiefe geht der Kultmusiker dabei aber leider nicht. Weder erklärt er, warum er mit Motörhead-Chef Lemmy Kilmister einmal Probleme im Tourbus bekam, noch werden die in den frühen 90ern grassierenden Fehden mit den norwegischen Black-Metal-Bands detaillierter erklärt. Vincent inszeniert sich lieber als sexuell aktiver Frauenheld und beinharter Arbeiter, der alles für die Musik gibt.

Im Laufe des Buches geht er später auch selbstkritisch ans Werk und verspürt ein gewisses Maß an Reue für seine wilde und aggressive Zeit in den 90er-Jahren, bis es zum (freiwilligen) ersten Bruch mit Morbid Angel kam. Ab dann knickt die Lebensgeschichte aber leider gehörig ein. Das liegt einerseits daran, dass die für Fans wirklich interessanten Jahre zu diesem Zeitpunkt endeten, andererseits an der Tatsache, dass er weitere Lebensstationen fast schon pflichtbewusst im Stakkato-Takt runterratscht. Rückkehr zu Morbid Angel, die entdeckte Liebe zum Outlaw-Country, sein Lieblingsprojekt Vltimas, erneuter Split mit Morbid Angel und Gründung von I Am Morbid, mit denen er seine kultigen Songs nun abseits seines einstigen Freundes und Gitarristen Trey Azagtoth feilbietet.

Österreichische Vorfahren
Bei all der anberaumten Selbstkritik und möglichst objektiven Rückschau nimmt man einem Alpha-Tier wie Vincent niemals ganz ab, dass er persönliche Verfehlungen aus der Vergangenheit auch wirklich als solche sieht. Zudem würde dies auch seiner Grundhaltung, die von Selbstbestimmung und Freiheit dominiert wird, zuwiderlaufen. So verstrickt sich der Musiker zwar nicht in Widersprüche, in gewissen Situationen (etwa beim Gegensatz Jagd vs. Tierliebe) lässt sich aber deutlich herauslesen, dass das reaktionäre Redneck-Gen mindestens gleich viel Raum einnimmt wie sein überbordendes Talent als Musiker. Zudem lassen sich rassistische Ansätze (abfällige Bemerkungen über die britische Kultur etwa) nicht ganz leugnen. Interessant: Vincent hat österreichische Vorfahren, das wusste sicher noch nicht jeder. Ansonsten ist „I Am Morbid“ ein ambitionierter Versuch der Lebensrückschau, der es aber an Details und mitreißender Stilistik fehlt. Bei dieser außergewöhnlichen Vita hätte uns der 58-Jährige ruhig tiefer in sein Leben eintauchen lassen können.

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