Christos Komnidis:

„Unglaublich, dass es noch gute Menschen gab“

Vorarlberg
30.04.2023 14:25

Christos Komnidis kam im Jahr 1958 mit nur einem kleinen Koffer und einem Zettel im Gepäck nach Österreich. Hier in Vorarlberg fand er eine Familie, die ihn aufnahm und seine große Liebe, seine Frau Marianne, mit der er bereits das 60. Ehejubiläum feiern konnte.

„Sie war meine Rettung“, sagt der 87-jährige Grieche Christos Komnidis über seine Frau Marianne. Er strahlt eine wohltuende Gelassenheit und Freundlichkeit aus. Die beiden haben unlängst ihr 60-jähriges Ehejubiläum gefeiert. Herr Komnidis ist vermutlich einer der ersten so genannten „Gastarbeiter“, die nach Vorarlberg kamen. 1958 zog er von seiner Heimat weg. Einen kleinen Koffer trug er bei sich, der ausgebildete Malermeister, und einen Zettel, auf dem stand, wo er sich melden solle.

In Hohenems kam er dann vorläufig unter, bei einem Griechen, der Partisan gewesen war und vor den Nazis hatte flüchten müssen. Ich treffe das Ehepaar in ihrer Wohnung in Götzis. Wir sitzen in der Stube und hören Baulärm. Vor dem Fenster wird gerade ein Neubau hochgezogen. „Jetzt verbauen sie uns die Aussicht auf die Ruine Montfort und die Berge“, seufzt Christos. „Wir konnten nichts machen, aber in zwei Tagen fahren wir zum Glück wieder nach Griechenland. Dort bleiben wir sieben Monate. Jedes Jahr.“

Robert Schneider: Dann bist du Grieche geblieben und kein Vorarlberger geworden?
Christos Komnidis: Ich bin beides. Interessanterweise ist meine Marianne mehr Griechin als ich, obwohl sie von hier stammt. Das Meer gefiel ihr immer so gut. Deshalb haben wir unten auch gebaut. Jahrelang sind wir mit den Kindern hinunter gefahren und haben im Sommer nur am Haus geschuftet. Alles selber. Meistens war ich es, der dann wieder herauf wollte nach Vorarlberg.

Habt ihr dort gebaut, wo du geboren und aufgewachsen bist?
Nein, etwa sechzig Kilometer südlicher. Ich stamme aus einem kleinen Dorf im Norden Griechenlands. Das heißt Kyrgia und hat etwa 1.600 Einwohner. Man lebte dort vom Tabakanbau, von etwas Korn und Mais, Ziegen und ein paar Kühen. Da gab es eine Zisterne und einen Backofen aus Stein.

War es eine glückliche Kindheit?
Als ich sechs Jahre alt war, brachte man meinen Vater schwer verletzt aus dem Krieg in unser Haus. Er war auf eine Sprengmine getreten, den ganzen Körper voller Splitter. Sie karrten ihn zu meiner Mutter, nein, sie warfen ihn vor die Tür. Kurze Zeit darauf starb er. Und weil er daheim starb, hatte meine Mutter keinen Anspruch auf eine Kriegswitwenrente. Ich hatte noch eine kleine Schwester, die war damals vielleicht drei Monate alt. Er hat das Poppele noch kurz in den Armen gehabt, hat mir später meine Mama erzählt. Also waren wir allein. Ich musste dann als Kind auf den Tabakfeldern arbeiten oder auf meine Schwester aufpassen ...

Konntest du überhaupt in eine Schule gehen?
... Lass mich noch kurz weiter erzählen. Meine Mutter wurde dann mit einem Mann, einem Bekannten meines Onkels, zwangsverheiratet. Es hieß, der Bekannte habe zwei Kinder und sei auch verwitwet. Als sie dann in das Nachbardorf kam, standen fünf Kinder vor dem Haus. Da war ich zehn Jahre alt. Aber mein Stiefvater mochte mich nicht. Er war wohlhabend, glaubte jedoch, ich würde ihm alles wegnehmen, wenn ich erwachsen wäre. In die Schule musste ich mich hineinstehlen. Mein Stiefvater war der Meinung, ich solle auf dem Feld arbeiten. Eines Tages kam er ins Klassenzimmer. Ich versteckte mich unter den Tischen. Er drückte den Lehrer an die Wand und würgte ihn. Ich sprang vom ersten Stock aus dem Fenster und rannte in die Felder. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie das damals war.

Du erzählst das alles so ruhig, ganz ohne Bitterkeit.
Es war halt so. Zum Glück kam ich dann zu einer Tante väterlicherseits nach Saloniki. Diese Tante gab mich in ein Internat, wo ich einen Beruf erlernen konnte. Am Tag habe ich die Ausbildung gemacht, am Abend bis tief in die Nacht für die Schule gepaukt. Danach ging ich zum Berufsmilitär. Als ich damit fertig war, mit 21, konnte ich einen Reisepass beantragen. Das war damals kompliziert für jemanden, der nicht studiert hatte. Ja, und am 25. März 1958 kam ich nach Österreich. In Hohenems fand ich Arbeit beim Maler Rüdisser. Die Rüdissers haben mich aufgenommen wie ihr eigenes Kind. Die wollten mich sogar adoptieren. Ich konnte es fast nicht glauben, dass es doch noch gute Menschen auf der Welt gab.

Und dort hast du dann deine Marianne kennengelernt?
Das griechische Paar, bei dem ich wohnte, der ehemalige Partisane, hatte einen Sohn, der war in Götzis zur Pflege. Im Haus von der Marianne. Einmal durfte ich mitgehen, um den Simon abzuholen. Ich saß in der Ecke und wartete. Da fragte jemand: „Ist der taubstumm?“ Man musste ihm erklären, dass ich kein einziges Wort Deutsch sprach. Ja, dort sind wir einander begegnet.

Es gibt ein Foto von dir mit deinem Motorrad. Eine NSU. Ein junger, bildhübscher Grieche ist da zu sehen. War eure Verbindung im damaligen Vorarlberg keine Herausforderung?
Das stimmt. Wenn wir ins Gasthaus gingen, konnte es passieren, dass der Kaffee nicht serviert wurde, den wir bestellt hatten. Wir wurden einfach nicht bedient.

Musstest du lange um Marianne kämpfen?
Und wie! Ich wollte sie mit nach Griechenland nehmen, meiner Mutter vorstellen, meinem Stiefvater. Mariannes Eltern haben erst eingewilligt, als der Werner, Mariannes Bruder, als Bodyguard mitfuhr. In Griechenland haben wir Verlobung gefeiert. Das halbe Dorf kam. Das war 1962. Die staunten über die junge Frau mit den langen, blonden Haaren. Sowas kannten die gar nicht.

Und Werner hat diskret weggesehen?
Nein, nein! Der lief immer mit. Er fürchtete sich, weil er die Sprache nicht verstand.

Du lebst seit 65 Jahren in Vorarlberg, hast hier Kinder und Enkelkinder. Schlägt dein Herz noch für Griechenland?
Marianne und ich fahren übermorgen wieder hinunter. Dort bleiben wir immer mehrere Monate, und das schon seit vielen, vielen Jahren. Oft werden wir gefragt: „Wer von euch beiden ist eigentlich der Grieche?“ Wenn ich ganz ehrlich bin: Mein Herz schlägt mehr für Österreich.

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