Wie das Projekt „Sozialbegleitung“ Vorarlberger Jugendlichen neue Perspektiven im Pflege- und Sozialbereich eröffnet – und zugleich dem gravierenden Fachkräftemangel entgegenwirkt.
Tuana wusste eigentlich früh, was sie will: „Ich wollte schon immer mit Kindern arbeiten.“ Doch dieser Traum hat seine Tücken. Der direkte Einstieg in den Beruf ist für die 16-Jährige derzeit nicht möglich – sie ist noch zu jung für eine reguläre Ausbildung im Elementarpädagogik-Bereich. Umso wertvoller war für sie die Teilnahme am Übungsbereich „Sozialbegleitung“ von Integra. Dort konnte sie erste praktische Erfahrungen sammeln, betreut von Sozialpädagogen. Sie lernte unterschiedliche Berufsfelder kennen, entwickelte Selbstvertrauen – und wurde darin bestärkt, den Traum nicht aufzugeben und ihren Weg weiterzugehen. „Ich konnte ausprobieren, ob mir der Beruf gefällt – ganz ohne Druck“, sagt Tuana. Heute ist sie sich sicherer denn je: „Ich möchte eine Ausbildung zur Kindergartenhelferin machen.“
Orientierung geben und Kompetenzen vermitteln
Das Projekt, das Anfang 2024 von Integra ins Leben gerufen wurde, bietet Jugendlichen eine praxisnahe berufliche Orientierung in Sozial- und Pflegeberufen. „Im eigens geschaffenen Übungsbereich erleben sie die Arbeitssituationen und entwickeln wichtige Grundkompetenzen wie Pünktlichkeit, Teamarbeit oder Kommunikationsfähigkeit“, erklärt Geschäftsführer Patrick Breuss. „Die Jugendlichen absolvieren begleitete Praktika in unterschiedlichen Einrichtungen und sammeln erste berufliche Erfahrungen.“
Insgesamt haben bisher 29 junge Menschen daran teilgenommen – die meisten davon Mädchen und junge Frauen, viele mit einem ursprünglichen Interesse an der Arbeit mit Kindern. „Wir hatten zum Beispiel einen Teilnehmer, der schon bei Eintritt genau wusste, dass er in die Pflege will“, berichtet Projektleiterin und Trainerin Gabriele Erne. „Solche Klarheit ist selten – die meisten nutzen das Projekt zur Orientierung.“ Mit Erfolg: Mehrere Jugendliche haben sich mittlerweile für weiterführende Bildungswege entschieden, etwa für die Vorbereitungsklasse an der Schule für Sozialbetreuungsberufe (SOB). Einer der Teilnehmenden wird in diesem Jahr mit der Pflegelehre beginnen – einem Ausbildungsmodell, bei dem sich Vorarlberg als Vorreiter bezeichnen darf und das in Österreich langsam an Sichtbarkeit gewinnt.
Es gibt noch etliche Hürden im System
Für viele Jugendliche ist die nächste Etappe jedoch nicht sofort erreichbar. Besonders im Bereich Elementarpädagogik fehlen passende Angebote. Ausbildungs- oder sogar Schnupperplätze sind rar – und oft erst ab 18 Jahren zugänglich. „Die jungen Leute sind aber meist flexibel und probieren dann andere Bereiche wie die Altenpflege aus. Dann kommen sie drauf, dass das auch coole Berufe sein können“, berichtet Erne. Gerade in der Pflege ist der geschützte Rahmen so entscheidend. Denn viele Teilnehmende sind anfangs unsicher, ob sie den emotional fordernden Alltag in der Pflege bewältigen können – etwa den Umgang mit älteren oder pflegebedürftigen Menschen.
Auch der Tod spielt dabei eine Rolle. „Eine unserer Hauptaufgaben ist es somit, Ängste abzubauen und ein Verständnis für den Menschen an sich zu schaffen.“ So können Hemmschwellen abgebaut und positive Erfahrungen gesammelt werden. Zwar war es anfangs durchaus schwierig, genügend Kooperationspartner für Praktika zu finden – viele Einrichtungen stehen unter erheblichem personellem Druck -, doch die Rückmeldungen sind inzwischen überwiegend positiv. „Ein Praktikum bedeutet für die Betriebe zunächst zusätzlichen Aufwand“, so Trainerin Erne „aber wer sich darauf eingelassen hat, erkennt den Mehrwert – sowohl für die Jugendlichen als auch für den Betrieb.“
Fachkräftemangel: die stillen Reserven aktivieren
Das Projekt leistet auch einen aktiven Beitrag gegen den Fachkräftemangel, insbesondere in der Pflege und der Elementarpädagogik. Es setzt frühzeitig an – nämlich dort, wo berufliche Orientierung oft noch fehlt. Durch niedrigschwellige Zugänge, echte Praxiserfahrung und sozialpädagogische Begleitung werden junge Menschen aktiviert, die sonst womöglich nicht den Weg in diese Berufe gefunden hätten. „Berufe im Sozialbereich gelten oft als wenig attraktiv“, sagt Erne „Aber wer sie einmal erlebt hat, spürt, wie sinnstiftend sie sind – und wie viel man dabei auch persönlich zurückbekommt.“
Ein Praktikum bedeutet für die Betriebe zunächst zusätzlichen Aufwand. Aber wer sich darauf eingelassen hat, erkennt den Mehrwert – sowohl für die Jugendlichen als auch für den Betrieb.
Gabriele Erne, Integra-Projektleiterin
Bild: Integra
Für die Zukunft des Projekts wünschen sich die Verantwortlichen eine strukturelle Weiterentwicklung: mehr Kooperationen, gezielte Förderungen durch Politik und Wirtschaft sowie eine stärkere Verzahnung mit dem Bildungssystem. „Vorarlberg ist gut aufgestellt, was Ausbildungen im Sozialbereich betrifft“, betont Breuss. „Aber bevor jemand eine Ausbildung beginnt, muss er oder sie verstehen, was dieser Beruf bedeutet – und idealerweise darin eine Berufung entdecken.“
Vorarlberg ist gut aufgestellt, was Ausbildungen im Sozialbereich betrifft. Aber bevor jemand eine Ausbildung beginnt, muss er oder sie verstehen, was dieser Beruf bedeutet.
Patrick Breuss, Geschäftsführer Integra
Bild: Integra
Für Tuana war das Projekt ein erster und wichtiger Schritt hin zu ihrem Traumberuf. Sie hat erlebt, was soziale Arbeit bedeutet – und dass sie gebraucht wird. „Ich habe gesehen, wie wichtig diese Arbeit ist – und dass ich das kann“, sagt sie. „Das hat mir Mut gemacht.“
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