Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.
Die Ruhe genießt Ahmet nicht. Ruhe bedeutet, wenig Gäste bedeutet wenig Umsatz bedeutet zunehmende Existenzängste. Der Jänner gehöre zu den schlimmsten Monaten im Taxigewerbe, erzählt er mir, als er mich gegen 18 Uhr auf dem Weg zu einem Termin einsammelt. Zu dieser Zeit ist er seit ungefähr vier Stunden im Dienst, ich bin sein dritter Fahrgast. „Eine Katastrophe. Und das ändert sich wahrscheinlich bis März nicht. Ich könnte in der Nacht fahren, aber auch das macht nur von Donnerstag bis Samstag wirklich Sinn.“ Ahmet ist 41 Jahre alt und wirkt mit seinem kantigen Gesicht und den grauen Haaren rund zehn Jahre älter. „Meine Ex-Frau ist schuld daran, dass ich so grau bin“, lacht er, „die hat mir oft den letzten Nerv gekostet.“
So ganz kann das nicht stimmen, denn die Geschichte mit der Ex-Frau liegt einige Jahre zurück. Der ursprünglich aus der Nähe von Ankara stammende Fahrer verliebte sich damals in eine Deutsche und zog ihr zuliebe vor gut 20 Jahren in die Gegend um Stuttgart. Eine kinderlose Ehe folgte auf dem Fuß, nach drei Jahren reichte er die Scheidung ein. Noch Jahre später nimmt ihn die Erfahrung mit. „Das war der größte Fehler meines Lebens. In der Türkei studierte ich Politikwissenschaften. Ich war nicht gut, aber es hat mich interessiert. In Deutschland hatte ich keine Familie, und die meiner Frau hat uns nicht unterstützt.“ Ahmet verdingte sich in der Gastronomie, um an Geld zu kommen und merkte schnell, dass die Doppelbelastung zu viel war. „Ich habe sechsmal die Woche 12-Stunden-Schichten geschoben. Danach kannst du dich nicht mehr an Bücher setzen und lernen.“
Nach der Scheidung kam Ahmet bei einer Schwester in Wien unter - und wurde schließlich sesshaft. Er lernte eine junge Frau kennen und ist noch heute glücklich mit ihr verheiratet. Sie haben zwei Töchter und einen Sohn im Alter zwischen 12 und 16 Jahren. Ahmet blieb der Gastro erhalten und verdiente in unterschiedlichen Betrieben seinen Lebensunterhalt. Nach einigen Jahren wagte er mit einem Kebab-Imbiss bei der Maroltingerstraße den Schritt in die Selbstständigkeit. Nach zwei Jahren konnte er sich die Miete nicht mehr leisten und eröffnete einen neuen Laden in der Wattgasse. „Ich wollte es einfach riskieren und hatte Lust darauf, mein eigener Chef zu sein. Es waren arbeitsreiche, aber auch schöne Zeiten, die ich nicht missen möchte.“
Im Taxi landete Ahmet vor fast genau zwei Jahren mitten in der Pandemie. Der Ertrag seines Imbisses stand nicht mehr in der Relation zu den Kosten und obwohl er laut eigenem Bekunden sehr viel Kundschaft hatte, musste er seinen Traum ad acta legen. „Mit den Lieferservices ging das Geschäft wirklich gut, wir hatten sehr viele Zustellungen.“ Sein Hauptproblem ist in der Gastro leidlich bekannt. „Ich bekam kein gutes Personal. Wenn es hieß, um 10 Uhr vormittags ist Dienstbeginn, dann kamen die Mitarbeiter zwischen 12 und 14 Uhr. Das passierte aber nicht einmal, sondern andauernd.“ Als Chef steht Ahmet quasi durchgehend am Kebabspieß. Zu viel Arbeit für eine Person. Entlohnte er seine Mitarbeiter fair? „Reich wird man in dem Job nicht, doch ich war nicht unfair. Aber wenn ich mich auf niemanden verlassen kann, dann mache ich es lieber gleich selbst.“
Ein halbes Jahr lernte er verbissen für den Taxischein, um ein neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen. Auch darin sieht er nicht nur Vorteile. „Die Benzinkosten, der Funk, die Beteiligungen von Uber und Bolt - das kostet alles viel Geld. Dazu sitze ich den ganzen Tag, was ich nicht gewohnt bin und das Geschäft läuft schlecht. Ich muss zugeben, dass ich es mir besser vorgestellt habe, als es bislang ist.“ Ahmet hofft auf den Frühling mit vielen Touristen, kann sich aber auch eine Rückkehr in die Selbstständigkeit vorstellen. „Mein Sohn ist jetzt zwölf Jahre alt. Vielleicht will er mit mir gemeinsam einen Kebab-Imbiss eröffnen. Wenn wir das als Familie machen, dann könnte ich mir eine Rückkehr in die Gastro vorstellen.“
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