In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. Im Montafon traf er jüngst die Anwältin Katja Matt.
Der heftige Regen der vergangenen Tage ist einer dichten Nebelbank gewichen, die das Montafon und seine Berge gefangen hält. In St. Anton biegt Katja Matt mit ihrem kleinen, roten Auto ab. „Der Weg hier ist kürzer nach Bartholomäberg“, sagt sie. Ich wäre vermutlich erst in Schruns abgebogen. Sie kennt sich hier bestens aus, wie ich sehe. Auf der gemeinsamen Fahrt ins Montafon kann ich schon Einiges über die bekannte Familienrechtsanwältin in Erfahrung bringen. Dass sie aus einer Anwaltsdynastie stammt, dass ihr Vater Gerichtsvorsteher von Schruns war, dass sie in Innsbruck Jura studiert hat, um so schnell wie möglich finanziell unabhängig zu sein. „Nicht, weil es von Zuhause Druck gab, gar nicht. Aber ich wollte einfach unabhängig sein. Das ist die feministische Ader in mir.“ Während des Studiums hat sie gearbeitet. Aber nicht irgendwas, sondern als Journalistin in den goldenen Tagen der „Neuen“, als noch Persönlichkeiten wie Marga Swoboda oder Conny Bischofberger dort geschrieben haben. Frauen, die dann ganz große Karriere in Wien gemacht haben. Sie selbst brachte es bis zur Vorarlberg-Korrespondentin der Presse und der Zeit. „Wenn der Artikel fertig war, musste ich den Telefonhörer in so eine Apparatur legen und hoffen, dass die Leitung steht.“ Sie parkt ihr Auto vor der Kirche in Bartholomäberg, wo wir mit dem Fotografen verabredet sind. Er ruft an und sagt, dass er sich verspätet. Katja Matt nervt das überhaupt nicht. „Schauen wir uns doch die Kirche an.“
In Gedanken schneller als das Gegenüber
Wir treten ein, und ich spüre sofort, dass Katja Matt Kindheitserinnerungen anwehen. Sie geht nach vor und zeigt mir den Platz, wo sie immer gesessen hat - in der Mette, in der Osternacht. „Wir hatten oberhalb von Bartholomäberg ein Ferienhaus, und deshalb kenne ich diese Kirche so gut. Ist sie nicht prachtvoll? Der Reichtum rührt noch vom Silberabbau her.“ Sie denkt schnell, ist immer einen Gedanken weiter als das Gegenüber, und auch schon wieder bei der Tür. Auf dem Friedhof will sie unbedingt ein bestimmtes Grab sehen. Sie sucht lange und findet es. Was für ein Luxus, denke ich mir, hier oben, mit Blick in den Rätikon, auf das Jüngste Gericht zu warten, auch wenn man schräg liegen muss.
Robert Schneider: Wer liegt in diesem Grab?
Katja Matt: Das war der Jakob Ganahl. Wir haben ihn immer Vater Ganahl genannt. Er und seine Martina haben den höchstgelegenen Bauernhof am Bartholomäberg bewirtschaftet. Wir als Ferienhäusler sind da zu ihnen gestoßen. Das war ein ganz selbstverständliches Miteinander. Ich war noch ein kleines Mädchen, habe mich aber beim Jakob eingebracht und bin immer mitgestiefelt. Er hat noch mit der Sense gemäht, aber in einer Gemächlichkeit, die beeindruckend war. Obwohl er ein schmächtiger Mann war, kam er mir vor wie ein Berg. Nichts konnte ihn aus der Fassung bringen.
Schneider: War dieser Jakob eine Art väterlicher Freund?
Matt: Nein, er war einfach da. Ich will das gar nicht kategorisieren.
Der Fotograf ist angekommen. Katja Matt fragt, ob wir alle in einem Auto auf die Alma fahren sollen, denn dort oben lag Jakobs Maisäß, der Lieblingsplatz ihrer Kindheit. Am Ende müssen wir noch ein Stück zu Fuß gehen, dann erreichen wir den Stadel, wo Katja als Dreikäsehoch mit Jakob das Heu eingebracht hat.
Schneider: Ist das schön hier oben!
Matt: Ach, wenn die Nebelsuppe nicht wäre, könnte man jetzt da drüben die Zimba sehen, dort das Hochjoch
Schneider: Mögen Sie sich?
Matt: Ich mag mich. Natürlich gibt es Dinge, die ich nicht an mir mag, die kann ich auch benennen.
Schneider: Zum Beispiel?
Matt: Ich bin extrem ungeduldig. Nur reden, damit geredet ist, mag ich nicht. Dieses heuchlerisch Empathische, meine ich. Verstehen Sie das?
Schneider: Ich glaube, ja. Was gibt Ihnen Kraft?
Matt: Ich habe drei wunderbare Söhne und einen sehr interessanten Mann, mit denen ich einen intellektuellen Gleichklang spüre, sei es politisch, sei es kulturell. Dann koche ich sehr gern. Es muss immer was zum Essen geben, wenn wir bei den Gesprächen ans Eingemachte gehen. Und dann natürlich die Berge. Ich bin eine leidenschaftliche Skitourengeherin. Der Blick in die Ferne, auf unendlich viele andere Gipfel macht mich still und demütig. Das ist Glück.
Schneider: Sie sind die vielleicht bekannteste Scheidungsanwältin im Land. Berührt Sie überhaupt noch Leid?
Matt: Manchmal bin ich sprachlos. Im ersten Moment auch handlungsunfähig, so in der Art: Das darf jetzt aber nicht wahr sein! In meinem Beruf habe ich begriffen, dass es Dynamiken des Negativen wie des Positiven gibt. Das kann unglaublich schwierig werden.
Schneider: Sie hören ja immer nur die eine Seite. Wird man da nicht zum Komplizen des Mandanten?
Matt: Das ist sogar ein Teil meiner Aufgabe. Ich vertrete die Interessen einer Person. Von diesem Sachverhalt gehe ich aus. Ich hinterfrage natürlich. Aber meine Aufgabe besteht nicht darin, die Wahrheit zu finden. Das ist Sache des Richters oder der Richterin. Eine Benchmark im Scheidungsrecht ist für mich die einvernehmliche Scheidung. Wenn es mir gelingt, dass am Ende beide Parteien ohne ihre Anwälte zum Richter gehen und sich scheiden lassen, sozusagen auf Augenhöhe, ist meine Arbeit gelungen.
Schneider: Ist der Mensch von Natur aus gut oder schlecht?
Matt: Ich halte es da mit Hannah Arendt im Sinne des Banalen. Wir sind banal gut und banal böse. Es kommt darauf an, was getriggert wird - die Abgründe, das Diabolische oder eben das Gute
Katja Matt erzählt leidenschaftlich. Die Nebelbank reißt plötzlich auf. Ein blauer Lichttupfer erscheint am Himmel. Auf dem Rückweg sammelt Frau Matt einen kleinen Strauss Alpenblumen. Vergissmeinnicht und rote Lichtnelken. „Das bringen Sie Ihrer Frau mit nachhause.“
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