21-Jährige rüttelt auf

43 Messerstiche überlebt: „Trage Narben mit Stolz“

Oberösterreich
08.04.2022 08:00

Der Mordversuch am Nationalfeiertag in Engerwitzdorf (Oberösterreich) hatte österreichweit für Schlagzeilen gesorgt. Michael R. (23) war in der Nacht im Haus seiner Mutter plötzlich auf Beatrice S. (21) losgegangen. Zuerst mit Fäusten, dann mit einem Kochmesser. Dutzende Male stach er auf seine Partnerin ein und zündete das Haus an. Mit letzter Kraft gelang es der Schwerverletzten, aus dem Fenster im ersten Stock zu springen und zu flüchten. Während S. verarztet wurde, warf R. sich vor ein Feuerwehrauto, das zum Brandort fuhr. Er starb noch an der Unfallstelle. Knapp ein halbes Jahr nach der Tat traf die „Krone“ Beatrice S. zum Interview.

„Krone“: Wie geht es Ihnen heute, nicht einmal sechs Monate nach der furchtbaren Nacht?
Beatrice: Es geht mir inzwischen sehr gut. Ich konnte die Geschehnisse verarbeiten - mir fällt es daher auch nicht schwer, offen darüber zu reden, was vorgefallen ist.

Die Tat hat zumindest auf Ihrem Körper Spuren hinterlassen, die Sie Ihr restliches Leben lang begleiten werden.
Ja, aber das ist nicht schlimm. Mein Rücken ist zwar voller Narben, die Ärzte haben 43 Einstiche gezählt. Sie sind jetzt ein Teil von mir, gehören zu meiner Lebensgeschichte und machen mich einzigartig. Mittlerweile trage ich sie mit Stolz. Sie sind der Beweis, dass ich die Kraft aufgebracht habe, zu überleben.

Sie hatten einen enormen Überlebenswillen, aber auch unwahrscheinliches Glück.
Zwei Stiche sind bis in den Lungenraum eingedrungen. Da war es wirklich schon Glück, dass meine Lunge nicht zusammengefallen ist. Ich hätte aber auch verbluten können. Nachdem Michael meinen Kopf mehrmals auf den Fliesenboden geschlagen hat und noch zehnmal auf mich eingestochen hatte, war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich ein helles Licht gesehen habe, so wie das bei Menschen nach einer Nahtoderfahrung passiert. Mein Körper hatte keine Kraft mehr. Ich stand vor der Entscheidung, die Augen für immer zu schließen oder doch noch einmal zu kämpfen. Da ist mir plötzlich der Geistesblitz eingeschossen, dass ich aus dem Fenster springen muss. Ich habe mir einhämmert, ich will nicht sterben, und meine ganze Energie gebündelt.

Das war, nachdem Ihr Freund Sie ins Badezimmer geschleift und Handtücher zu Ihnen reingeworfen hatte, die er anzünden wollte.
Ich bin aufs Garagendach gesprungen und von dort in den Garten. Dabei habe ich mir den Fuß gebrochen. Bei den Nachbarn bin ich dann im Flur zusammengebrochen. Ich hatte außer den Messerstichen eine Knochenabsplitterung und einen Bänderriss. Außerdem eine gebrochene Nase, eine Schädelprellung und ein komplett blutunterlaufenes Auge. Weiters überall Schürfwunden und heftige Würgemale, mein Hals war im Bereich des Kehlkopfes völlig blau. Als dann der Notarzt gekommen ist, hatte ich endlich die Gewissheit, dass ich nicht verbluten werde.

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Ich habe bei den ersten 15 Stichen noch mitgezählt, weil ich mir gedacht habe, dass das für die Ärzte vielleicht wichtig ist, falls ich das überleben sollte.

Beatrice S.

Während Sie verarztet wurden, hörten Sie, dass ein Passant von einem Feuerwehrauto niedergefahren worden sei.
Dass das der Michael war und er tot ist, habe ich aber erst am nächsten Tag von einem Arzt erfahren. Ich hatte nachgefragt, weil ich das Gefühl hatte, dass er vielleicht nicht mehr lebt. Ich habe die ersten Tage aber gar nicht weinen können, weil ich noch stark unter Schock gestanden bin.

Warum ist Ihr Freund eigentlich so ausgerastet, gab es irgendeinen Anlass dafür?
Er hatte zwei Tage davor einen Suizidversuch unternommen, sich die Unterarme aufgeschnitten. Ich bin mit ihm ins Spital, wo er den Ärzten aber vorspielte, dass es ihm eh wieder gut gehe. Er wurde dann entlassen, hatte aber starke Kopfschmerzen. Er nahm Aspirin und trank dazu Alkohol - und das stundenlang. Er ließ es sich auch nicht ausreden, daher ging ich schlafen. Und als ich um 1.30 Uhr munter wurde, trank er immer noch. Nachdem ich ihn wieder erfolglos gebeten hatte, aufzuhören, hab ich den Alkohol genommen und weggeleert.

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Die Psychologin hat mir den Rat gegeben, alles Belastende auf einen Zettel zu schreiben, weil es dann vom Kopf weg ist. Das hat mir sehr geholfen.

Beatrice S.

Als Sie angekündigt haben, Ihre Sachen zu packen, hat er Sie zu Boden geprügelt und gewürgt - und dann kam auch das Messer ins Spiel.
Es war das erste Mal, dass er mir wehgetan hat. Ich war geschockt. Er war sonst immer sehr aufmerksam und liebenswert, an dem Tag war er aber wie ausgewechselt.

Wie denken Sie heute an ihn zurück?
Ohne jeden Hass - ich habe ihm verziehen. Ich denke aber auch ohne Wehmut zurück. Was passiert ist, ist passiert - ich kann es ohnehin nicht mehr ändern.

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Zuerst habe ich mich geschämt, dass mir das passiert ist. Inzwischen habe ich aber gelernt, stolz darauf zu sein, dass ich das überlebt habe.

Beatrice S.

Haben Sie noch psychische Nachwirkungen?
Nein, ich bin mit mir - dank psychologischer Hilfe - im Reinen. Dass ich die Tat überleben konnte, hat mir viel Selbstvertrauen gegeben und mich als Frau gestärkt. Diese Erfahrung möchte ich auch anderen Opfern weitergeben. Ich habe Negatives in Positives verwandelt. Mir geht es besser als früher, ich schlafe nicht schlecht und arbeite wieder Vollzeit.

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