Rudi Anschober:

„Müssen die Lehren aus der Pandemie ziehen“

Österreich
03.04.2022 06:00

Ex-Gesundheitsminister und „Krone“- Kolumnist Rudi Anschober hat ein Buch über seine Erfahrungen in der Pandemie geschrieben

„Vielleicht schreibe ich einen Roman ...“ Als Rudi Anschober vor fast genau einem Jahr als Gesundheitsminister zurücktrat, da schlummerte bereits die Idee eines Buches in ihm. Nun ist es fertig - und auch wenn es kein Roman wurde, ist es mindestens so spannend wie ein Thriller. Denn in „Pandemia“ lässt er die Corona-Jahre noch einmal Revue passieren. Aus seiner Sicht mitten im politischen „Maschinenraum“ - aber auch aus der Sicht zahlreicher Experten und Betroffenen.

„Es hat mir persönlich gut getan, diese Zeit in hunderten Gesprächen aufzuarbeiten. Diese Aufarbeitung braucht auch die Gesellschaft. Denn niemand kommt aus einer Pandemie als der heraus, der er vorher war“, meint er im Interview mit der „Krone“. „Und es ist wichtig, dass wir die Lehren aus der Pandemie ziehen.“

Dafür kehrt Anschober noch einmal an den Anfang zurück, an den Moment, als das Virus Österreich erreichte, schildert am Beispiel von vier Personen - einer Intensivmedizinerin, einer Forscherin, einer Long-Covid-Patientin und einer Buchhändlerin - die immensen Herausforderungen, mit denen wir alle zu kämpfen hatten. Und lässt natürlich hinter die Kulissen der Politik blicken.

Das würde ich heute auf jeden Fall anders machen
Die Arbeit an diesem Buch war für Anschober auch eine Phase der Selbstkritik. „Es gibt niemanden, der in dieser Zeit, in der wir unter ständigem Druck handeln mussten, perfekt war“, gesteht er. „Ich hätte z. B. eine europäische Initiative anregen sollen. Auch in Österreich haben wir uns zu sehr im Klein-Klein verloren. Dass in anderen Ländern und sogar Bundesländern verschiedene Maßnahmen gelten, versteht kein Mensch“ so Anschober. „Und ich hätte Bereiche des Gesundheitsressorts für die Zeit der Pandemie an andere übergeben müssen. Ich wollte die Pflege und den Tierschutz nicht zur Seite schieben - aber es war einfach zu viel. Das würde ich heute auf jeden Fall anders machen.“

Kritik äußert er auch am ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz - wenn auch in seiner ruhigen, zurückhaltenden Anschober-Art. „Ich will keinen kleinkarierten Krieg vom Zaun brechen, dafür ist das Corona-Thema einfach viel zu wichtig. Anfangs war die Zusammenarbeit mit Kurz ja auch gut, da war er eher der Antreiber der Maßnahmen. Er hat sich dann aber sehr gedreht.“

AUS DEM BUCH:

  • Über Sebastian Kurz: Ich habe einen Politiker kennengelernt, der auf ein kleines Team eingeschworener Mitarbeiter setzte, einen Politiker, der ungewöhnlich oft (...) die Stimmung der Bevölkerung ausleuchten ließ - von einem eigenen Umfrageinstitut; der laufend damit beschäftigt war, seine Macht zu vermessen; und der darauf aufbauend seine politischen Positionen adaptierte und weiterentwickelte, manchmal ungewöhnlich rasch. Und dabei immer wieder zuallererst an sich und seine eigene Karriere dachte. Vielleicht ist so auch die schrittweise Wende von Kurz in der Pandemiepolitik erklärbar: Anfangs lange positiver Antreiber für konsequente Maßnahmen und guter Partner in der Regierung, mutierte Kurz später, parallel zur Stimmungswende in der Bevölkerung, Schritt für Schritt zum Bremser, bis er im Sommer 2021 plakatieren ließ, dass die Pandemie geschafft sei. Ja, viele haben sich nach Normalität, dem Ende der Einschnitte und Beschränkungen gesehnt. Viele meinen, es charakterisiere Populisten, dass sie bei einem Verlust der Zustimmung der Bevölkerung nicht ausreichend für das Notwendige werben, sondern auf der neuen Stimmung politisch zu surfen versuchen. Ein fataler Vorgang in einer Gesundheitskrise.
  • Die Demokratien der Nationalstaaten dürfen kein politisches Long Covid entwickeln, das heißt: Der Pandemie darf kein virales autoritäres Zeitalter folgen.
  • Wenn wir die Pandemie präzise aufarbeiten, werden wir viel für die Bekämpfung der Klimakrise lernen. Denn die globalen Megakrisen hängen zusammen. Im Kampf gegen die Pandemie und die Klimakrise sind wir dann stark, wenn ein solidarisches Miteinander gelebt wird, wenn kollektive Verantwortung zum gemeinsamen Lebensmotto der Menschheit wird.

„Pandemia“ endet im Jänner 2022 - aus heutiger Sicht mit einem „Cliffhanger“. Denn die Pandemie ist noch lange nicht beendet. „Omikron wurde europaweit unterschätzt, weil es als milde Variante galt. Gleichzeitig hat sich in der Gesellschaft eine gewisse Resignation ausgebreitet - nach zwei Jahren muss es doch auch endlich mal Schluss sein . . .“

Wie kommen wir da endlich wieder raus
Wie man sich diesem Ende nähern könnte und vor allem, wie man weitere Pandemien bekämpfen muss, dafür empfiehlt Anschober nach unzähligen Gesprächen mit Experten nun einige Vorgehensweisen: eine Niedriginzidenz-Strategie, z. B., damit Lockdowns gar nicht mehr nötig werden - und zwar eine auf gesamteuropäischer Ebene. Denn „der Weg aus der Pandemie ist europäisch, oder er ist nicht erfolgreich“.

Seine Erfahrungen wird Anschober auch bei einer Lesereise durch Österreich teilen. „Ich freue mich schon darauf, wieder mit den Menschen in Dialog treten zu können. Das hat mir am Ende meiner Amtszeit, als ich unter Polizeischutz stand, sehr gefehlt.“

Und wenn die Pandemie dann endlich nicht mehr zu unserer Realität gehört, will sich Anschober doch noch der Fiktion widmen. „Es soll nicht das letzte Buch sein, mein Ziel bleibt ein Roman.“

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