Album „Unlimited Love“

Red Hot Chili Peppers: Senioren-Funk am Badeteich

Musik
02.04.2022 06:00

Sechs Jahre nach dem letzten Studioalbum haben die Funk-Rock-Legenden Red Hot Chili Peppers Gitarrist John Frusciante und Erfolgsproduzent Rick Rubin zurückgeholt, um sich im anstehenden Karriereherbst noch einmal zu Großtaten aufzuschwingen. „Unlimited Love“ scheitert aber nicht nur an seiner Überlänge, sondern auch am fehlenden Biss und der Krux, sich selbst nicht so gut zitieren zu können, wie man es gerne hätte.

So viel Liebe und Frieden ist fast nicht zu fassen. Als Gitarrist Josh Klinghoffer die Red Hot Chili Peppers im Dezember 2019 nach zehn durchaus fruchtbaren und schönen gemeinsamen Jahren verlassen musste, um seinem direkten Vorgänger John Frusciante für dessen zweite Rückkehr in die Band Platz zu machen, ergoss er sich öffentlichkeitswirksam in demütiger Freundlichkeit. „Es ist absolut Johns Platz in der Band, den ich eingenommen habe… ich bin froh, dass er wieder mit den Jungs zusammenspielt.“ Das versprach freilich Großes, denn Frusciante war auch Teil des letzten wirklich großen RHCP-Albums „Stadium Arcadium“ (2006). „I’m With You“ (2011) und „The Getaway“ (2016) hatten freilich ihre Höhepunkte, aber irgendwie war mit dem Album vor 16 Jahren doch der Großteil der Luft draußen. Jetzt ruft das wiederhergestellte Quartett „Unlimited Love“ aus und bezieht sich wohl doch mehr auf interne Begebenheiten, als auf das Parkett der bröckelnden Weltpolitik.

Alles hat sich ergeben
Frusciante kam vor seinem Ausstieg 2009 ziemlich aus dem „psychischen Gleichgewicht“, wie er dem „Musikexpress“ erzählte, „ich geriet immer tiefer in den Okkultismus.“ So wie Korns Brian „Head“ Welch schlussendlich den Weg zurück von seiner überbordenden Jesus-Ehrerbietung fand, kratzte Frusciante noch rechtzeitig die Kurve vor dem Fegefeuer und fand zurück in den vertrauten Stall der Alternative-Funk-Rock-Legenden. Den Albumtitel kritzelte Frontmann Anthony Kiedis angeblich ohne konkreten Antrieb auf ein Blatt Papier und dachte kurz daran, wie schön es doch wäre, würde man den alten Kumpel John wieder im Bandcamp haben. Die anfänglichen Unsicherheiten Frusciantes, ob er überhaupt noch Rocksongs schreiben könne, waren nicht frei aus der Luft gegriffen. Der 52-Jährige lebte sich mit inbrünstiger Leidenschaft in elektronischen Gefilden aus, fand aber schnell wieder in die Spur zurück.

Wie sehr sich die RHCP nach Welterfolgen aus den Glanztagen sehnen, machte schlussendlich die Integration eines weiteren Erfolgsbausteins aus der Vergangenheit klar: Produzentenexzentriker Rick Rubin, dem man von „Blood Sugar Sex Magick“ über „Californication“ und „By The Way“ bis hin zu „Stadium Arcadium“ alle Großtaten zu verdanken hat, kam ebenfalls wieder zurück und ersetzte den ambitionierten, aber doch eher glücklosen Danger Mouse. Vollgefüttert mit dieser kräftigen Packung an Nostalgie ging es in die prestigeträchtigen Shangri-La-Studios nach Malibu, wo das kreative Füllhorn gar nicht mehr aufhörte, sich auszuschütten. Angeblich hätte man rund 50 Songs ein- oder zumindest angespielt. Ein weiteres Album sei so gut wie fertig, doch die 17 Tracks auf „Unlimited Love“ bringen es allein auf eine stolze Spielzeit von 73 Minuten. In Zeiten, wo Bands und Künstler eher auf pandemische Schnellschüsse und bewusste Reduktion setzten eine motivierte Kampfansage, die aber zwangsweise Längen mit sich bringt.

Keine Qualitätskontrolle
Schon die erste Single-Auskoppelung „Black Summer“ war mehr ein Dahinplätschern als ein ergreifendes Rauschen und auch ein Großteil der folgenden Songs findet nie richtig in die Spur. In „Aquatic Mouth Dance“ probiert man es mit Bläserzusatz, „Not The One“ und „The Great Apes“ verwenden Anleihen an den Jazz und das ausgeruhte „She’s A Lover“ enerviert mit einem zahnlosen Refrain, der vor 20 Jahren garantiert durch keine Qualitätskontrolle der Band gegangen wäre. Immer wieder setzt Rhythmusrückgrat Flea seinen Bass prominent in den Vordergrund, gegen diese Selbstinszenierung kann noch nicht einmal der wirkmächtige Rauschebart Rubin ankämpfen. Lounge-Atmosphäre hört man auch zu Beginn von „These Are The Ways“, auch wenn man sich dann zu einem sommerlichen Foo-Fighters-Gedenkrocker aufschwingt, der aber trotzdem nie so richtig in Fahrt kommt. Ähnliches gilt für das krude „The Heavy Wing“.

Die fehlende Energie und das Verharren in der eigenen Statik ziehen sich durch das viel zu lange und perspektivenlose dahinplätschernde Album. Die typischen Stärken der Band wie Funk-Anleihen, Kiedis‘ unverwechselbares Organ und Fleas unikaler Bass sind zwar partiell vorhanden, doch Hits wie „Snow (Hey Oh)“, „Around The World“ oder „By The Way“ findet man zu keiner Zeit. Kiedis merkte im Gespräch mit dem britischen „NME“ an, dass er bewusst in „10.000 Richtungen schauen“ wollte, um sich neu zu orientieren, aber das geht schon aufgrund des markant mediokren Grundsounds in die Hose. Dass Rick Rubin bei der ersten Zusammenkunft ob der schönen Songs und nostalgischer Gefühle angeblich in Tränen ausbrach, sollte hier eher Warnung sein als Mitleid erregen. „White Braids & Pillow Chair“ klingt gar so, als hätten sich die senilen Beach Boys beim sonntäglichen Altersheim-Bingo unglücklich in ihren alten Instrumenten verhakt. Das evoziert vielleicht unfreiwilligen Humor, tut einer Band wie den Chili Peppers in ihrer schmerzhaften Durchschnittlichkeit aber alles andere als gut.

Schön anspruchslos
Die viel zitierten Grunge-Anleihen sind nicht so offensichtlich ausgeprägt, wie man es nach diversen Interviews erwartet hätte. Die Nirvana-Gitarren bei „Veronica“ etwa gehören dazu und immer dann, wenn man ein bisschen aus der biederen Balladenverliebtheit rausfindet und noch einen letzten Rest Eier zeigt, kratzen die Peppers auch tatsächlich annähernd an so manch feinere Großtaten aus der Vergangenheit. „Unlimited Love“ ist eine wichtige und auch sehr löbliche Botschaft in prekären Zeiten wie diesen, aber wenn die Liebe wie eine unspektakuläre Einbrennsuppe durch die Gehörgänge rinnt, dann taucht man vielleicht doch lieber gleich richtig in die Nostalgie und packt die alten Alben aus, auf denen Kiedis, Flea, Frusciante und Drummer Chad Smith in schöner Regelmäßigkeit bewiesen, warum man weltweit große Hallen füllt. Kurios: das letzte Drittel des Albums übertrifft die vorigen zwei um Längen und macht doch noch Lust auf mehr. Alles in allem ist „Unlimited Love“ ein Album zum Chillen am sommerlichen Badeteich. Eh schön, aber auch schön anspruchslos.

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