Freddy Quinn ist der vielleicht größte noch lebende Entertainer im deutschsprachigen Raum. In seiner Autobiografie „Wie es wirklich wahr“ (Hannibal Verlag) räumt er mit Lügen und Vorurteilen der Vergangenheit auf und zieht eine ehrliche Lebensbilanz. Zwar ungeordnet und etwas wirr, aber sehr intim und berührend.
Man kennt das Grundschema von Autobiografien großer Künstler. Eine Bestleistung jagt die nächste, der Held des Bandes wird metaphorisch in glitzernder Rüstung präsentiert und je weniger Reibungspunkte sich auftun, umso zufriedener ist der Promi. So ähnlich lief es auch mit der ersten, allerdings nur wenige Seiten langen Bio der Entertainment-Legende Freddy Quinn. Die Geschichte des einsamen Seemanns, der 1983 ein Fernsehteam nach Amerika mitnahm, um dort die Spuren seines wiedergefundenen Vaters zu verfolgen, ließ sich vor gut 40 Jahren wunderbar verkaufen. Der einzige Schönheitsfehler daran: Freddy Quinn hat seinen Vater nie kennengelernt und war zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal an diesem Ort.
Den Nerv der Nachkriegsgeneration getroffen
Mit stolzen 93 Jahren hat sich Quinn den „Bild“-Journalisten Daniel Böcking geholt, um mit ihm in langen Gesprächen und Rückblenden so gut als möglich die Wahrheit zu konstruieren. Die Mär des Einzelgängers, der auf der Suche nach seinem Vater die Weltmeere befährt und dabei stets dem inneren Glück nachjagte, hat mit dem realen Leben des gebürtigen Wieners nur wenig zu tun. Mit seinen wehmütigen Liedern über das Heimweh und der Suche nach Liebe traf er den Nerv der Nachkriegsgeneration, die sich nichts sehnlicher wünschte als etwas Geborgenheit nach Jahren grausamer Morde, Genozide und Repressionen. Über die möglicherweise dunkle Vergangenheit seiner Mutter hätte Quinn übrigens durchaus genauer recherchieren können – er entschied sich aber dafür, sie lieber liebend und fürsorglich in Erinnerung zu behalten. Man mag es ihm nicht verübeln.
Sehr wohl verübeln werden ihm viele Wegbegleiter aber die zahlreichen Lügen und Trugschlüsse aus seiner üppigen Karriere. Das Leben auf See und das Vagabundieren sind – wie Quinn ausführlich erläutert – zwar nicht frei erfunden, haben aber mit den Realitäten der ursprünglichen Geschichten nicht viel gemein. Seine langjährige Ehefrau hat er jahrelang versteckt, um dem Image des einsamen Wolfs gerecht zu werden und nicht Gefahr zu laufen, das einträgliche Geschäft mit der Wahrheit zu ruinieren. Quinn erzählt munter und frei von der Leber von Zeiten in der Fremdenlegion, vom Kartoffelschälen auf diversen Schiffen und der durch die vielen Reisen gewonnenen Mehrsprachigkeit, die ihm öfters in seinem Leben zum Vorteil verhelfen sollte.
Wirr wirkende Handlungssprünge
Der Sänger verspricht in seiner Lebensabrechnung die Wahrheit, lässt aber doch einige Details lieber im Nebulösen oder geht nicht auf alle Kapitel genau ein. Heldentaten und Leidenschaften erhalten Vorrang. Der 93-Jährige betont gerne, dass er der geborene Entertainer sei und sich neben dem Gesang auch im Schauspiel und der Artistik verdingt hat. Zuweilen geht er auch auf seine ruppigen Seiten im Umgang mit anderen ein, sucht bei den fortwährenden Themen Ungeduld und Respektlosigkeit gerne die Schuld bei anderen. Auch die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung sei aus reiner Unwissenheit und Schlamperei entstanden, wiewohl das dortige Waschen der Hände in Unschuld ein bisschen weit hergeholt klingt. Obwohl er professionelle Hilfe beim Schreiben des Buches bekommen hat, wirken die Gedankengänge und -sprünge von Quinn zuweilen wirr und schräg.
An viele Dinge könne sich der einstige Liebling aller Schwiegermütter nicht mehr erinnern, bei anderen Kapiteln hat man das untrügliche Gefühl, er möchte seine Zugänge aus bewussten Gründen möglichst völlig aus deinem Leben streichen. Freddy Quinns Biografie ist aber auch als zeithistorisches Dokument wertvoll und bietet interessieren, jüngeren Generationen eine Möglichkeit, das Wissen über eine längst vergangene Zeit aufzustocken. „Wie es wirklich war“ ist eine allumfassende und möglichst vollständige Subsumierung einer Weltkarriere, die von Wiener Hausfrauen bis zu Johnny Cash eine Zeit lang wirklich alle mitbekommen haben. Die Erzählstruktur sucht bemüht nach der Wahrheit und man muss dem Barden dieses Mal vertrauen, dass er sich wirklich bis ins letzte Detail geöffnet hat. Einen Einblick in das Leben einer Legende ist das Werk allemal wert.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.