Noch vor drei Monaten war Magnus Brunner kaum bekannt, dem türkisen Machtzentrum völlig fern und mit einer unglückseligen Aufgabe betraut. Jetzt trifft er Polit-Stars und hält Vorträge an Eliteunis. Die Geschichte eines rasanten, aber nicht unlogischen Aufstiegs.
Es gab wahrlich schon angenehmere Zeiten, um ranghoher ÖVP-Politiker zu sein: Ungustiöse Chat-Protokolle sind fast schon zur Routine geworden, Korruptionsvorwürfe von allen Seiten in viele Richtungen bringen die Parteispitze unter Druck, laut einer Umfrage verbindet gerade einmal jeder Zehnte die Volkspartei mit dem Wort „Anstand“ – und das alles bevor der „ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss“ überhaupt begonnen hat.
Die Beziehung zur Altkanzlerschaft ist bestenfalls ungeklärt; ganz zu schweigen vom Impfpflicht-Zinnober, in dem nun sogar schon Parteifreunde querschießen. Und dann gibt es Magnus Brunner.
Kollegiale Gespräche in London
Dessen politisches Leben nimmt nämlich wider alle Parteiturbulenzen gerade einen ziemlich guten Lauf, davon konnte man sich unter anderem am Mittwoch in der Londoner Innenstadt ein ganz gutes Bild machen. Begleitet von einer beachtlichen Entourage, wird der Finanzminister in der Downing Street empfangen, um dort seinen britischen Amtskollegen Rishi Sunak zu treffen - direkt neben Boris Johnsons berühmtem Premierminister-Amtssitz, in den Shootingstar Sunak vielleicht bald umzieht.
Vortrag an Eliteuni eine „Ehre“
Und Brunners Tag sollte noch einiges mehr zu bieten haben: Am Nachmittag hält er am Londoner King’s College - einer sündteuren Eliteuni, an der auch Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu studiert hat - einen Vortrag über „die zwei derzeit größten Herausforderungen“: die Pandemie und die Klimakrise. Bei Fragen von Studenten wird Brunner erzählt, welch „Ehre“, „Vergnügen“ oder gar „Privileg“ es denn sei, hier sprechen zu dürfen.
Am Abend ist er dann noch Stargast einer Botschaftsveranstaltung - „der größten seit Jahren“, wie der Hausherr frohlockt. Brunner wird in einem prunkvollen Saal nach aktuellen Maßnahmen gefragt, schließlich auch nach seinen „Visionen für den Standort“. Studenten im feinen Anzug schießen hernach Fotos mit ihm.
Aufstieg aus der zweiten Reihe
Was für ein Aufstieg: Noch vor drei Monaten war Brunner einer der unbekanntesten Regierungspolitiker und als Staatssekretär in der grünen Machtbasis, dem Umweltressort, mit einer unglückseligen Aufgabe betraut. Die Verfassung sah ihn dort als Helfer Leonore Gewesslers, die ÖVP als ihren Aufpasser – gewesen ist er letztlich weder das eine noch das andere. Das Klima zwischen den beiden war eisig, beim Ministerrat erfuhr er oft kaum eine echte Begrüßung, heißt es.
Als dann nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz jedoch Überlegungen angestellt wurden, das Wirtschaftsressort umzubesetzen, fiel plötzlich Brunners Name. „Dass er ein guter Mann ist und eher mehr als ein Staatssekretär, hat man recht schnell gesehen“, erzählt ein Türkiser. Weil dann allerdings auch Gernot Blümel den Hut nahm, erbte Brunner eben gleich das wichtige Finanzressort.
Croquet-Platz daheim, Couleurname „Hamlet“
Und seine erste Reise als Minister, abgesehen von EU-Pflichtterminen, führte ihn nun nach London – kein Zufall, denn für Brunner ist das ein Heimspiel. Der Vorarlberger durfte als Teenager in die auch von Johnson besuchte Eliteschmiede Eton gehen, studiert hat der promovierte Jurist später auch am King’s College – dort, wo er nun Jahrzehnte später als Minister auftrat.
Rückkehr der „schwarzen ÖVP“?
Überhaupt verkörpert Brunner wohl das, was man seit der türkisen Ära „schwarze ÖVP“ nennt: Seine Familie brachte es in der Textilbranche zu Wohlstand, heute betreibt man mehrere Buchhandlungen. Auch seine Söhne besuchen aktuell Privatschulen in England. Und: Bei Brunners zu Hause ging es zumindest sportlich äußerst nobel zu, die Familie verfügte über einen der wenigen Croquet-Plätze Kontinentaleuropas.
Für alle Nicht-Kenner: Bei dem jahrhundertealten Spiel werden Bälle auf feinst getrimmtem Rasen durch Metallbügel bugsiert. In jungen Jahren war der Kurzzeit-Verbandschef verheißungsvoller Tennisspieler – mitsamt positiver Bilanz gegen den späteren „US Open“-Sieger und Wimbledon-Finalisten Julian Knowle. Schon als Schüler trat er einer katholischen Verbindung bei, sein Couleurname im Cartellverband: Hamlet.
„Er ist ein netter, ruhiger Typ“
Allein, der Name scheint nicht allzu passend: „Er ist ein netter, ruhiger Typ“, sagt selbst ein politischer Widersacher. Allerorten wird Brunner als „gescheit“ und „politisch auf allen Ebenen gut ausgebildet“ bezeichnet, eher geduldig statt übertrieben ehrgeizig. „Ich kenne eigentlich niemanden, der sich je hart mit ihm gestritten hat“, erzählt ein Bekannter.
Brunner, der erst für Vorarlbergs früheren LH Herbert Sausgruber, dann für Karlheinz Kopf im ÖVP-Wirtschaftsbund arbeitete und schließlich Energiemanager und Bundesrat wurde, scheint politisch jedoch recht klare Überzeugungen zu haben - die nicht gerade türkis klingen: Inhaltlich sozialisiert wurde der Wirtschaftsbündler unter Sausgruber und Wolfgang Schüssel.
„Klassisch liberal-konservativ“, sei er, sagt ein Wegbegleiter, „und nicht PR-getrieben“. Zu seinen Lieblingsautoren zählt Türkis-Blau-Kritiker Michael Köhlmeier, von Pensionszuckerln der letzten Jahre dürfte Brunner wenig halten, sagen Vertraute. Harte Migrationsaussagen sind von ihm nicht überliefert; und in puncto Klimaschutz klingt er mehr grün als türkis, wenn er wie in London davon spricht, dass mehr Geld im Kampf gegen den Klimawandel vonnöten sei – wenn auch aus privaten Händen durch eine Art Öko-Staatsanleihe.
Und vom türkisen Machtzentrum im Kanzleramt war er, der 2020 über Harald Mahrer in die Regierung kam, ohnehin Lichtjahre entfernt: Sebastian Kurz kannte er vor seiner Regierungszeit gar nur flüchtig. „Wir hatten so gut wie keinen Kontakt zu ihm“, heißt es aus dem Vertrauensreis des Altkanzlers.
In Zeiten, in denen Chat-Affären für die ÖVP zur Routine werden, wohl kein Nachteil.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.