Knapp zwei Jahre nach dem Aufkeimen der Corona-Pandemie kämpft die Welt immer noch mit der Eindämmung des Virus. Die Österreicher sind in der Zeit jedenfalls zu „Hobby-Virologen“ mutiert, erklärte der Wiener Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. In der Aufklärungsarbeit der offiziellen Stellen ortet er zahlreiche Fehler - es gelte nun, zwischen Wahrheit, Halbwahrheit und Fake News unterscheiden zu können. Dabei ist insbesondere auch die Politik gefragt, die aber zunächst wieder das Vertrauen gewinnen muss.
Keine Frage für den Politikwissenschaftler, „Corona“ hat die Einstellungen der meisten Menschen verändert. „Ich verstehe nichts von Medizin. Ich betätige mich nicht als Hobby-Virologe oder Hobby-Infektiologe. Davon haben wir wahrlich genug. Sämtliche Möchtegern-Fußballtrainer von früher scheinen auf Hobby-Virologe oder Hobby-Infektiologe umgesattelt zu haben“, sagte Filzmaier bei der Veranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (OEGIT).
Evidenz-basierte Politik gefragt
Bei somit mittlerweile sprichwörtlich an die neun Millionen „Experten“ scheint jedenfalls eine Mischung zwischen Wahrheiten, Halbwahrheiten und Fake News charakteristisch für die öffentliche Debatte zu sein. Die Politik hätte es durchaus schwer, habe aber in Österreich erhebliche Fehler in der Kommunikation gemacht, betonte Filzmaier.
„Es geht um Evidenz-basierte Politik. Am 5. November hat der Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, Günther Platter, gesagt ‘Wir wollen keinen Fleckerlteppich‘. Am 12. Dezember endete der Lockdown - und jedes (Bundes-)Land hatte verschiedene Regeln. Und das (Bundes-)Land mit den höchsten Inzidenzen, Vorarlberg, hat am schnellsten und am meisten gelockert. Wien mit den geringsten Inzidenzen hat am wenigsten und am langsamsten gelockert. Wie soll man das kommunizieren?“
Verlust an Vertrauen „dramatisch“
Die Politik hätte laut Experten der Universität Wien mit ihrem Austrian Corona Project Panel durch wiederholte Umfragen eines gleichbleibenden Bevölkerungssamples enorm an Vertrauen eingebüßt. Filzmaier: „Während am Beginn der Pandemie drei Viertel der Bevölkerung von der Richtigkeit, Angemessenheit und Effizienz der Maßnahmen der Regierung überzeugt waren, sind es jetzt noch 25 Prozent, bei manchen Fragestellungen deutlich weniger.“ Der Verlust an Vertrauen in die Bundesregierung sei dramatisch. „Das erklärt zum Teil, dass kein Verschwörungsmythos zu blöd ist, dass er nicht geglaubt wird.“
Unter diesen Umständen sei es für die Politik sehr schwer, die Einhaltung von Maßnahmen wie Abstandhalten, Kontakte zu reduzieren und die Notwendigkeit der Impfungen durchzubringen. Hier sollte mit den Politikern „eine Berufsgruppe überzeugen, die die schlechtesten Vertrauensdaten von fast allen Berufsgruppen hat. Schlechtere Vertrauensdaten haben nur noch das älteste Gewerbe der Welt, damit meine ich die Zuhälter, und die Waffenhändler“, sagte Filzmaier.
Kritik auch an Ex-Kanzler
Auch Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung: „Der zweite Fehler: Jeder wird jemand kennen, der an Corona gestorben ist.“ Die Prognose von womöglich 100.000 Todesopfern durch Covid-19 sei faktisch und in ihrer Auswirkung falsch in mehrfacher Hinsicht gewesen, genauso die Aussage zum falschen Zeitpunkt, wonach die Pandemie bereits überwunden worden sei. In Krisen würde sich die Bevölkerung - egal ob in Demokratien oder in Diktaturen - „um den Fahnenträger“ sammeln. „Dieser Effekt ist aber nicht nachhaltig“, sagte der Politikwissenschaftler.
Sein Fazit: Angstmachen wirke schlechter als sachliche Information, konsistente Aussagen und nicht das Übernehmen inadäquater Rollen würden eher Vertrauen schaffen. „Warum sollte ich einem Bundeskanzler etwa Medizinisches glauben?“, meinte der Politologe.
Widersprüchliche Pressekonferenzen „kontraproduktiv“
Transparenz bei der Darstellung der Situation und in der Entscheidungsfindung sei im Pandemie-Krisenfall für die Kommunikation gefragt, betonte der Experte. Beratergremien sollten auch konsistent und personell möglichst stabil gehalten werden. „Das hat nicht funktioniert“, sagte Filzmaier. Einander widersprechende Pressekonferenzen, zum Teil sogar zeitlich parallel, seien eindeutig kontraproduktiv.
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