Jaguar Land Rover hat für den neuen Defender ordentlich Gegenwind eingefleischter Offroad-Fans bekommen. Nun hauchen sie ihm eine Art Rückenwind ein - in Form eines Elektromotors, der den Verbrenner unterstützt. Der Defender P400e ist ein Plug-in-Hybrid und kann daher wahlweise lautlos oder kraftvoll. Auf jeden Fall ist er ganz groß im Posen. Und so ziemlich das Gegenteil des klassischen Defender.
Der alte Defender ist schon ein echt cooler Knochen, mittlerweile längst ein Lifestyle-Fahrzeug für Hipster, die stark im Nehmen sind. Man muss leidensfähig sein in diesem Offroader, den sie fast 70 Jahre lang ohne wirklich grundlegende Änderungen gebaut haben. Der äußere Arm von Fahrer bzw. Beifahrer samt zugehöriger Schulter hat keinen Platz, wenn das Seitenfenster geschlossen ist, bei höherem Tempo kommuniziert man wegen der Geräuschkulisse besser per Whatsapp als per gesprochenem Wort und Lenkung/Fahrwerk/Bremsen sind nichts für Anfänger. Dafür ist er ein sprichwörtlicher Unstoppable-Offroader, vor allem weil nicht viel an ihm dran ist, das kaputtgehen kann. Und wenn doch was passiert, lässt er sich selbst im entlegensten Winkel der Welt wieder zusammendengeln. Aber auch nach einer problemlosen Offroadfahrt ist die körperliche Unversehrtheit nicht garantiert, blaue Flecken und eventuelle Beulen unterm Haupthaar sind nichts Ungewöhnliches.
All das fasst der neue Defender als Idee zusammen, spielt mit den Entbehrungen von Generationen von Defender-Fahrern und gießt es in eine Form, die an den Klassiker erinnert und auf eine Art verstörend schön ist. Abgesehen von dem Mund-Nasen-Schutz an der Front vielleicht. Der ist eher nur verstörend. Runde Scheinwerfer in eckigen Rahmen, seitliche Dachfenster, kantige Rückseite mit außen angebrachtem Reserverad (das mittlerweile auch von den Parksensoren berücksichtigt wird) und eine seitlich angeschlagene Hecktür (mit optionaler Soft-Close-Funktion) halten das Gedenken hoch. Massive Haltegriffe im Innenraum und offen zur Schau getragene Schrauben auch.
Der Defender als Offroader
Tatsächlich hat der Neue aber nicht viel mit seinem Vorgänger gemein: Er ist mächtig, geräumig, komfortabel, modern, elegant und sogar luxuriös. In Offroadparks kommt er weiter als jeder andere Land Rover und kann sich auch mit anderen geländetauglichen SUVs messen, wobei die Insassen zur Not sogar auf den Deckel ihres Coffee-to-go-Bechers verzichten könnten, ohne sich anzuschütten. Veranstalter von Hardcore-Offroad-Touren, bei denen man nicht auf den Deckel, sondern überhaupt auf den Coffee to go verzichten muss, lassen den neuen Defender oft nicht zu. „Die sind zu anfällig mit ihrer ganzen Elektronik, es können Sensoren und Leitungen abreißen und wenn das passiert, dann kann das da draußen niemand reparieren“, heißt es gerne.
Die serienmäßige Luftfederung hebt den P400e auf 29 Zentimeter Bodenfreiheit, lässt Durchfahrten in bis zu 90 Zentimeter tiefem Wasser zu, die Elektronik sorgt für Kraftübertragung über alle vier Räder, samt Untersetzung.
Der Antrieb des Defender P400e
Das alles sogar ohne Antriebsgeräusch, denn der PHEV-Defender kraxelt auch mit Untersetzung elektrisch. Okay, manchmal springt aus unerfindlichen Gründen der Vierzylinder an, aber prinzipiell kommt man ein ganzes Stück weit durchs Outback, ohne Abgase zu verbreiten. Wie weit, hängt von der Art des Geländes ab, auf der Straße reichte der netto 15,4 kWh speichernde Akku für 37 Kilometer (WLTP-Angabe: 43 km).
Der E-Motor stellt 105 kW/143 PS bereit und darf alleine bis auf 140 km/h beschleunigen. Der Zweiliter-Benziner leistet 300 PS. Gemeinsam erbringen die beiden eine Systemleistung von 404 PS sowie ein Systemdrehmoment von 640 Nm und erlauben eine Spitzengeschwindigkeit von 191 (oder je nach Ausstattung 209) km/h. In nur 5,6 Sekunden lässt sich der serienmäßige 2,5-Tonner offiziell auf Tempo 100 wuchten. Der Testwagen bringt mit seinen diversen Sonderausstattungen allerdings gut 2,7 Tonnen auf die Waage.
Was der P400e vielen Plug-in-Hybriden voraus hat: Er ist schnellladefähig. Das bedeutet, er kann sich nicht nur mit 7 kW an den Wechselstrom hängen, sondern lädt Gleichstrom mit bis zu 50 kW. Damit reicht eine kurze Pause für einen nennenswerten Stromstoß, also rund 30 km Realreichweite in einer Viertelstunde. Verzichtet man darauf, kann man dem Vierzylinder beim Schlucken zuschauen, unter 10 Liter auf 100 km geht gar nichts, eher spürbar mehr. Das Motörchen hat halt durchaus was zu schleppen. Da ist es gut, dass Land Rover nicht am Tankvolumen gespart hat: Mit einem 90-Liter-Spritfass schreckt einen der Verbrauch gleich viel weniger.
Das einzig Störende am Antrieb ist ein deutlich vernehmbares Surren aus der Elektronik im Heck, nach dem Betätigen des Startknopfes. Hier in diesem kurzen Video zu hören.
Er war nicht als Plug-in-Hybrid geplant
Dafür, dass der Defender gar nicht als Plug-in-Hybrid geplant, war geht das in Ordnung. Der kommende Range Rover kann das besser, er schafft eine elektrische Reichweite von 100 Kilometern. Außerdem wird er seinen Akku wohl eleganter unterbringen, als es der Defender kann. Hier erzeugt die Batterie einen uneleganten Buckel unter dem Riffelblech-Plastik des Kofferraums, der damit sehr zerklüftet wirkt. Praktisch ist das nicht. Abgesehen davon, dass er mit zwei Kabeltaschen, der abnehmbaren Anhängerkupplung und dem Verbandskasten schon halb voll ist. Hängt man die Anhängerkupplung ein, darf man übrigens Anhänger mit bis zu 3 Tonnen (gebremst, ungebremst 750 kg) ziehen. Die reinen Verbrenner sind für 3,5 Tonnen zugelassen.
Allzu viel Gepäck hat da unter der mit vier Schlaufen eingehängten Abdeckung nicht mehr Platz, auch wenn die offiziellen Angaben Platz ohne Ende suggerieren: mit aufrechten Rücksitzlehnen 853 Liter (dachhoch), flachgelegt 2127 Liter. Auf den Sitzen kann man sich allerdings ausbreiten, es ist gefühlt locker doppelt so viel Platz wie im Ur-Defender. Das ist einer der Gründe dafür, dass man sich beim Offroad-Geschaukel nicht den Kopf stößt.
Die Preise
Zu etwas Unangenehmem: Der Basispreis für den Land Rover Defender 110 P400e beträgt 76.624 Euro, einige Extras (darunter die Ausstattung SE und die elektronisch geregelte Differenzialsperre für die Hinterachse) trieben den Preis des Testwagens auf 95.800 Euro. Als 90-Version mit kürzerem Radstand und nur zwei Türen ist der PHEV nicht erhältlich. Die gute Nachricht: Weil er dank seines Normverbrauchs von 3,3 l/100 km von der NoVA befreit ist, ist der P400e einer der billigsten aktuellen Defender. Nur zwei deutlich schwächere Motorisierungen kosten weniger: Der D200, das Einstiegsmodell mit 200 PS starkem Sechszylinder-Diesel, kommt auf 69.789 Euro, der D250 auf 75.824 Euro. Der nominell etwa gleich starke Sechszylinder-Benziner P400 kostet 96.734 Euro.
Fahrzit:
Ist der Defender an sich schon ein guter Poser, weil er einfach auffällt und mit seiner Optik Sympathien weckt, verstärkt sich der Effekt noch, wenn man lautlos einhergleitet. Klar würde ein V8 mehr auf dicke Hose machen, aber in der aktuellen Zeit wird das immer weniger gesellschaftstauglich (falls man ein Argument braucht, nicht 185.676 Euro plus Extras auszugeben). Gewissermaßen ist Elektro die neue dicke Hose. Zum Glück wird der Klang auch dann nicht peinlich, wenn der Vierzylinder anspringt, das haben sie gut hinbekommen. Wie auch der ganze Defender alles andere als peinlich ist, egal mit welcher Motorisierung. Es sei denn, man befindet sich gerade gemeinsam mit Ur-Defendern in echtem Gelände fern der Heimat und die Elektronik streikt. Dann ist die Gelände-Legende im Gelände am Ende.
Warum?
Zum Posen viel angenehmer als der Ur-Defender
Der Hybrid-Antrieb ist eine angenehme Motorisierung
Warum nicht?
Geringe Elektro-Reichweite
Eingeschränkter Kofferraum
Oder vielleicht …
… der P300. Sonst prinzipiell Mercedes G-Klasse oder Jeep Wrangler - den gibt’s auch als PHEV
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