In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. In dieser Woche hat er sich mit dem Bootsbauer Gernot Kulhay getroffen.
Wer am Bodensee ein Boot sein eigen nennt, darf sich schon als etwas Besonderes fühlen. Wenn er auch noch einen Wasser-, zumindest einen Trockenliegeplatz hat, darf er den Kopf noch höher tragen. Auf einen Wasserliegeplatz wartet man inzwischen nämlich fast 15 Jahre lang. Das Bootsvolk vom Bodensee ist very special. Eine Mischung aus „eppas Bessrs“ und exklusiv. Diese besondere Klientel mit ihren Wünschen, Sorgen und Wehwehchen hat der Bootsbauer Gernot Kulhay jahrzehntelang beliefert und betreut. Er ist zu einer Legende geworden, weil kaum jemand im Bootsbau so viel Sachkenntnis und Geschick mitbrachte wie er - besonders im Fertigen so zeitlos eleganter Rennsegelyachten wie dem Lacustre, einem Boot, das ideal ist für Binnenseen, schnell bei mäßigen, seetüchtig bei härteren Winden und eben: bestechend schön.
Vor mir steht ein drahtiger Herr mit glattem, schwarzem Haar, den man bedeutend jünger schätzen würde als er es ist. Der 68-Jährige wirkt immer noch sehr jugendlich und voller Elan. Im Jahr 2013 hat er seine Werft in Fußach verkauft, wobei der, seit seiner Lehre langjährige Mitarbeiter Markus Bilgeri an Bord blieb, der dann das Unternehmen vom neuen Besitzer pachtete.
In Vaters Fußstapfen
Angefangen hat die Geschichte der ehemaligen Yachtwerft Kulhay mit Gernots Vater, der in Hard ab 1957 Motorboote in Holz nach eigenen Plänen und ab 1963/64 in der neuen Yachtwerft in Fußach, Segel- und Motoryachten bis zu 13 Meter Länge, zum größten Teil aus Holz baute. Die alte Werkshalle aus dem Jahr 1963 steht noch. „Die väterliche Linie stammt ursprünglich aus Böhmen, obwohl mein Vater schon ein waschechter Bregenzer war“, sagt Kulhay. "Eigentlich hat er im Flugzeugbau angefangen. Er ist noch mit einem zerlegbaren Segelflieger vom Pfänder gestartet und dann auf den Mehrerauer Wiesen gelandet. Den Bootsbau hat er bei der Yachtwerft Portier in Meilen am Zürichsee von der Pike auf gelernt.
Gernot selbst war zuerst zwei Jahre in der Tischlereifachschule in Hallstatt. Den Meisterkurs hat er auf der Reichenau absolviert. Sein Gesellenstück war die Anfertigung eines Stevens mit Sponung, Kiel und Stevenknie für eine Zweimann-Jolle “Pirat„. Eine sehr knifflige Angelegenheit, weil in der Sponung die Planken in unterschiedlichsten Winkeln einlaufen und genau angepasst werden müssen, wobei am Übergang zu Steven und Kiel äußerste Präzision gefragt ist.
Wir fahren in die alte Werkshalle und treffen dort den jetzigen Pächter Markus Bilgeri. Er ist zwar sehr in Eile, nimmt sich aber dennoch die Zeit, mir Laien die hoch komplexe Bauweise eines Lacustre zu erklären. Ein langer, elegant ausbuchtender Schiffsrumpf breitet sich vor mir aus. Es handelt sich um die Negativschale, dem sogenannten Verleimblock, jener legendären Rennsegeljacht vom Genfer See, deren Herstellung rund 3000 Arbeitsstunden in Anspruch nehmen wird. Bilgeri faltet einen Bauplan auseinander, bei dessen Anblick mir Hören und Sehen vergeht. Hunderte von Aufmaßen in winzigen Zahlen stehen auf dem Plan. Die Yacht muss schließlich ganz genauen Bauvorschriften genügen. “Jedes Bauteil wird exakt abgewogen„, damit es die Norm der Klasse erfüllt.
Stück für Stück
Das gesagt, muss Herr Bilgeri schon zum nächsten Termin sausen, und ich folge wieder Gernot Kulhay, der erklärt, wie früher die Haupt- und Hilfsspanten eingepasst wurden. „ Die Hilfsspanten hat man in einem Dampfkasten eingedämpft, damit sie weich werden. Dann musste man schnell sein, das Stück einbiegen und mittels Schraubzwinge bis zur Abkühlung befestigen. Die Hauptspanten wurden mehrschichtig verleimt.“ Man spürt, wie Gernot richtig ins Schwelgen gerät. Anhand von zwei Beispielen erläutert er die unterschiedliche Art der Beplankung. Die Klinker-Beplankung (überlappende Planken) und die Karweel-Beplankung, bei der die Planken Fuge an Fuge liegen und genau angepasst sind, wodurch der Rumpf eine glatte Oberfläche erhält. Um die Boote dichtzuhalten, wurden sie früher kalfatert, ein Begriff, der aus dem Arabischen stammt und Pech bedeutet. Ganz früher waren die Dichtmaterialien Werg, Baumwolle und eben Pech. Weiter geht es beim Rundgang durch die Halle über eine Treppe auf eine Art Zwischenebene.
Dort hängen unzählige Schablonen für Bodenwrangen an der Wand. Das sind die Querträger im Bodenbereich eines Bootes. Gernot Kulhay reinigt so eine Schablone vom Staub der Jahre, betrachtet sie lange. Es ist, als würden Erinnerungen in ihm hochsteigen. Er kennt jede einzelne Schablone und ihre Geschichte dazu. Wir klettern noch höher. Auf einer steilen “Hühnerleiter„ geht es in den Dachboden. Dort liegt noch der uralte Holzbug einer Knickspant-Jolle, Pirat genannt. Als er das Stück nach allen Seiten wendet, wird er wieder sehr still und fast träumerisch. Eines ist mir klar geworden, nachdem ich mich von Gernot Kulhay verabschiede. Ich durfte eine Stunde lang eine Ahnung von der Passion bekommen, mit der dieser “Herr der Boote", der selber über 50 Jahre lang segelte, sein Handwerk ausgeübt hat.
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