Das Wunder von Gries

Unter Lawine: „Hörte zwischendurch Handy läuten“

Tirol
09.04.2021 07:00

„Es war, als würde sich ein Gefäß von oben füllen.“ - Wolfgang T., der am Karfreitag nach fünf Stunden aus einer Lawine gerettet wurde, schildert der „Tiroler Krone“ das Osterwunder von Gries im Sulztal.

Bekannte hatten dem pensionierten Techniker der Telekom aus Hall und seiner Lebensgefährtin von den Verhältnissen auf der Rodelbahn von der Amberger Hütte nach Gries über Längenfeld vorgeschwärmt. Grund genug, am Karfreitag dorthin aufzubrechen.

„War ein sehr warmer Tag“
„Es war ein sehr schöner, sehr warmer Tag, die Strecke kannten wir von Radtouren im Sommer“, erzählt der Vater von zwei erwachsenen Töchtern der „Tiroler Krone“ daheim in Hall. Die Rodelbahn war offiziell geöffnet, nichts deutete auf eine Gefahr hin.

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Ich habe die Schneemassen schließlich wie einen Lavastrom voll auf mich zukommen sehen.

Wolfgang T.

Gegen 11.30 Uhr starteten er und seine Partnerin von Gries Richtung Amberger Hütte. Die beiden haben gleich am Beginn eine Familie mit drei Kindern überholt, mit der sich die Frau unterhielt. Wolfgang T. ging allein voraus. „Bei der Abzweigung zur Nisslalm habe ich auf meinem Handy nach der Uhrzeit gesehen - es war 11.58 Uhr“, erinnert sich T. Unmittelbar danach vernahm er von oben ein dumpfes Rauschen: Plötzlich donnerte wenige Meter vor ihm eine Nassschneelawine über den Weg. Sie wurde immer breiter und massiver. „Ich habe die Schneemassen schließlich wie einen Lavastrom voll auf mich zukommen sehen“, erzählt er.

Instinktiv drückte er sich - wie im Sommer als Schutz vor Steinschlag - zum oberen Rand der Wegböschung. „Ich habe mich irgendwie hingekauert und einen Buckel gemacht.“ Anschließend schoss die Lawine über ihn hinweg. „Es war wie in einem geschlossenen Gefäß, das sich füllt. Dann wurde es dunkel.“

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Es war wie in einem geschlossenen Gefäß, das sich füllt. Dann wurde es dunkel.

Wolfgang T.

„Wenn es nicht sein soll, dann eben nicht“
Der Haller versuchte erfolgreich, seinen rechten Arm freizubekommen, an der Böschung spürte er Moos. „Das war wohl der Luftraum, der mich überleben ließ.“ Ansonsten hatte die Lawine seinen Körper quasi einzementiert. Es gelang ihm, mit der rechten Hand eine Art Kamin nach oben frei zu graben, sodass er Helligkeit wahrnahm. „Ich war zuversichtlich, dass man mich findet. Sagte mir aber auch: Wenn es nicht sein soll, dann eben nicht.“

Wolfgang T. begann zu hyperventilieren, die einsetzende Schwäche des Körpers verhinderte weiteres Graben. Es folgten Schüttelfrost, der Haller verlor das Bewusstsein. „Ich habe anschließend von der Rettungsaktion nichts mehr mitbekommen. Allerdings vernahm ich zwischendurch zweimal das Läuten meines Handys und Hubschraubergeräusche.“

Wenige Minuten nach dem Unglück war die Lebensgefährtin von T. zur Lawine gekommen, von der sie nichts bemerkt hatte. Sie rief nach ihm und nahm an, dass er umgedreht und zur Nisslalm gegangen sei. Anrufen konnte sie ihn nicht, denn sie hatte kein Handy mit.

Die Partnerin ging dann selbst Richtung Nisslalm, ein entgegenkommender Skidoofahrer wusste freilich nichts von einem Rodler auf der Strecke. Die Frau drehte wieder um, an der Abzweigung war bereits die Suchaktion in Gang. Auch die Hoffnung, T. sei bei der Amberger Hütte, zerschlug sich. Angst machte sich breit.

Nur noch Warten und Hoffen 
Nach bangem Warten bei der Unglücksstelle wanderte sie zurück nach Gries. Die ersten Bergretter kehrten ebenfalls retour, die Frau wurde von ihrer Tochter abgeholt. Es blieb nur noch banges Warten und Hoffen.

Gegen 17.40 dann der kaum noch erwartete Anruf der Bergrettung: Suchhund „Barik“ hatte Wolfgang T. nach rund fünf Stunden gefunden, er sei stark unterkühlt, jedoch stabil und offenbar nahezu unverletzt. „Ich habe erst wieder auf der Intensivstation das Bewusstsein erlangt“, schildert der Haller. Schon am Ostersamstag wurde er auf die Normalstation verlegt, am Ostersonntag durfte er heim nach Hall.

Eine Woche nach der unglaublichen Rettung muss er Körper und Seele freilich noch etwas Ruhe gönnen. Damit das Tiroler Osterwunder eines von Dauer ist.

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