Das große Interview

„Die Steirer brauchen wieder Perspektiven“

Steiermark
15.03.2021 07:00

Die Psychiatrie und Psychotherapie am LKH Graz II, Standort Süd hat eine neuen Leiter. Wir haben Primarius Michael Schneider zum Gespräch gebeten, zentrales Thema: Burn-outs.

Welche Schwerpunkte werden Sie als Primar setzen, Herr Schneider?
Ich will die Psychotherapie weiter etablieren. Sie ist eine wichtige Säule der Psychiatrie und hilft den Menschen, wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu finden. Andererseits ist eine fundierte Ausbildung in Psychotherapie für junge Ärzte attraktiv und wirkt so einem Facharztmangel in unserem Bereich entgegen.

Worum geht es Ihnen in der Psychotherapie?
Die Menschen müssen lernen, im Jetzt zu leben, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und keine Angst vor der Zukunft haben. Was der Sinn des Lebens ist? Sinnlich zu leben.

Wie erklären Sie einem Laien ein Burn-out?
Stellen Sie sich einen Duracell-Hasen vor, der immer in Bewegung ist. Irgendwann geht aber auch ihm die Energie aus.

Wie belastend ist die Corona-Krise für die Menschen?
Vor allem für Junge und Alte sehr. Die Jugend braucht dringend wieder die Möglichkeit, Beziehungen zu führen. Die Persönlichkeitsentwicklung wurde lange genug gestört. Schließlich entsteht das Ich im Du!

Und die Älteren?
Ein Beispiel. Ein Mann hat vor fünf Jahren seine Frau verloren. Durch seine vielen Aktivitäten hat er diese persönliche Krise gut gemeistert. Aber jetzt ist der Mann verzweifelt, alles ist weggebrochen, er hat keine Kontakte, vereinsamt. Er spricht sogar von Suizid.

Was kann die Menschen so weit bringen?
Es fehlen jegliche Perspektiven. Die Verzweiflung ist enorm, es gibt eine innere Leere, einen Zustand der tiefen Trauer. Die Menschen fühlen sich lebend tot.

Was können Sie Menschen sagen, die das Thema Burn-out nicht ernst nehmen?
Ich vergleiche das gerne mit einem Knochenbruch. Vereinfacht gesagt, gibt es eine Störung der neurobiologischen Systeme. Das bedeutet, dass das Gehirn nicht so funktioniert, wie gewohnt. Sätze wie ’Reiß dich zusammen’ helfen genau so wenig wie bei einem Kochenbruch.

Wie belastend ist die aktuelle Situation?
Sehr. Die Bevölkerung braucht Perspektiven. Im ersten Lockdown haben wir gezeigt, wie gut wir als Gesellschaft mit einer Krise umgehen können. Aber dieses ewige Auf-Zu geht gar nicht. Unser Gehirn ist dafür nicht gemacht, wir suchen immer nach Lösungen.

Welche psychischen Probleme treten durch die Corona-Krise konkret auf?
Erstens: Der Virus als Unbekannte. Trifft es mich? Wann? Wie stark? Zweitens: Existenzielle Sorgen. Angst um den Arbeitsplatz, finanzielle Probleme. Und die Überdigitalisierung. Ein vereinsamtes Leben mit einem Computer – dafür sind wir nicht geschaffen. Und natürlich die soziale Komponente: Wir suchen immer nach Beziehungen. Jetzt droht die Vereinsamung, das löst Depressionen, Ängste aus. Diese Fälle steigen rapide an.

Wie merken Sie das?
Unsere Abteilungen sind gut gefüllt, auch die Privat-Ordinationen werden gestürmt. 30 Prozent der Erwachsenen erfüllen Kriterien für psychische Erkrankungen: Angststörungen, Depressionen oder eine Alkoholkrankheit.

Wie erklären Sie sich die zunehmende Radikalisierung in der Gesellschaft?
Das entsteht aus einer Mischung von Angst und Überforderung. Die Gesellschaft wird gespalten. Die einen verleugnen das Virus, andere ziehen sich zurück. So entstehen eigene Milieus.

Was läuft derzeit schief?
Die Regierung hat in den Menschen die Hoffnung geweckt, dass im Frühjahr die Krise vorbei sei. Jetzt erkennen sie, dass es nicht so ist. Auch beim Thema Impfen läuft offenbar nicht alles rund. Und, dass es für bereits Geimpfte keine Lockerungen gibt, ist eine Enttäuschung.

Welchen Weg wollen Sie in Ihrer Funktion gehen?
Einen gemeinsamen. Ich bin ein Teamplayer. Wir müssen uns Zeit nehmen, für Patienten da sein, aufrichtig zuhören. Und wir müssen für eine Entstigmatisierung von psychischen Krankheiten sorgen, aufklären.

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