IV-Chef Ohneberg

„WHO hat keinen guten Job bei Pandemie gemacht“

Vorarlberg
01.01.2021 15:30

Industriellenvereinigung-Chef Martin Ohneberg spricht im großen Neujahrs-Interview mit „Krone Vorarlberg“-Redakteurin Sonja Schlingensiepen über die Gefühlslage in der Ländle-Industrie, den Präsidentenwechsel in den USA, was im neuen Jahr wichtig sein wird und vieles mehr.

Ein turbulentes Jahr ist vorbei. Wie ist die Gefühlslage in der Vorarlberger Industrie?

Die meisten Unternehmer sind froh, dass es vorbei ist. Im Großen und Ganzen kommt die Industrie mit einem blauen Auge aus der Krise. Natürlich gibt es einzelne Betriebe, die - abhängig vom Endmarkt - stark betroffen sind und noch länger betroffen sein werden.

Was gibt Ihnen Hoffnung?

Die Märkte in Asien, den USA und teilweise auch in Europa haben sich erholt. Die ersten Studien zeigen, dass 2021 eine starke Erholung möglich ist, wenn man die Pandemie in den Griff bekommt. Es darf also durchaus von Optimismus gesprochen werden.

Wie wird sich der Präsidentenwechsel in den USA auswirken?

Ich glaube nicht, dass es unmittelbar positive oder negative Auswirkungen geben wird. Die Diskussionen sollten konstruktiver werden, aber die Auseinandersetzungen zwischen den Kontinenten werden bleiben. Die Chinesen haben sich das Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren autonom zu werden. Die Amerikaner haben ein massives Handelsbilanz-Defizit und eine massive Überschuldung.

Wie wird Joe Biden damit umgehen?

Ich hoffe, dass er mehr auf die supranationalen Organisationen hört, dass es eine stärkere WTO, WHO und UNO gibt. Deren Wirken hat in den vergangenen Jahren komplett gefehlt. Ich habe das Gefühl, die Organisationen sind nur mehr dominiert von Eigeninteressen und teilweiser Korruption.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die WHO hat keinen guten Job bei der Pandemie gemacht - man hätte viel früher auf die Anzeichen aus Asien global reagieren müssen. Die WTO hat in den vergangenen Jahren für alles was Strafzölle und Ähnliches angeht, keine Lösung gehabt und war zudem handlungsunfähig - auch weil die Amerikaner über Jahre alles blockiert haben.

Was muss sich innerhalb der EU weiterentwickeln?

Wir brauchen ein großes Europa und deshalb vernünftige, qualitativ hochwertige Abkommen mit Russland und der Türkei. Ich rede nicht über Vollmitgliedschaft, aber Europa muss gestärkt gegenüber Asien und den USA auftreten, denn bevölkerungstechnisch wird es langfristig keine große Rolle spielen.

Was braucht es konkret?

Irgendwann muss es eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geben. In den Bereichen Digitalisierung und Innovation muss Europa endlich Farbe bekennen. Der „Green Deal“ ist in Summe positiv. Nur muss Europa aufpassen, dass es nicht am Ende des Tages zu Lasten des eigenen Kontinents geht. Es sollte gelingen, industriell relevant zu bleiben - die Industrie ist national und international Garant für Wohlstand und Beschäftigung.

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Eine Vollmitgliedschaft halte ich für unmöglich, weil schon allein die Türkei uneins ist.

IV-Chef Martin OHNEBERG

Glauben Sie, dass es ein Abkommen mit Russland und der Türkei geben kann?

Nochmals: Eine Vollmitgliedschaft halte ich für unmöglich, weil schon allein die Türkei uneins ist. Aber was den Handel angeht, könnte ich mir eine Zusammenarbeit gut vorstellen. Erdogan wird erkennen, dass eine geschlossene Volkswirtschaft langfristig nicht erfolgreich ist. Die Türkei hat - ähnlich wie Russland - ein Riesenpotenzial. Wer konstruktiv in die Zukunft schaut, sollte großes Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Zudem zeigt die Vergangenheit: Je größer und intensiver wirtschaftliche Verschränkungen sind, desto geringer ist das Risiko von größeren Konflikten.

Was wird für Vorarlberg in diesem Jahr wichtig sein?

Die Entwicklung Europas und „Foreign direct Investments“, also Investitionen von Vorarlberger Unternehmen im Ausland. Wir können stolz sein, dass die Exportquote hoch ist. Ich glaube aber, dass es für die exportorientierten Länder in Zukunft wichtiger wird, vor Ort Produktionen aufzubauen. Das wird ein neuer Trend werden.

Was macht Sie so sicher?

Wer in die Schweiz schaut, wird sehen, dass die Eidgenossen viel globaler aufgestellt sind als Vorarlberg. Wir haben es während der Pandemie gesehen: Wer nicht vor Ort Verkaufsniederlassungen oder Produktionsstätten hatte, hatte ein Problem, weil die Grenzen geschlossen waren. Die nationalistischen Bestrebungen oder die Verteuerung von Logistik unterstreichen die Notwendigkeit.

Aber die Pandemie wird ja irgendwann vorübergehen?

Es ist dennoch wichtig, Investitionen im Ausland vorzunehmen. Einerseits, weil es verstärkt nationalistische Bestrebungen gibt, andererseits, weil die Verfügbarkeit von Grund und Boden sowie von Arbeitskräften begrenzt ist. Das heißt nicht, dass man nicht im Inland investieren soll, im Gegenteil. Aber allein die Exportquote als Messgröße für den Erfolg der Vorarlberger Wirtschaft ist langfristig zu wenig. Jeder investierte Euro auch im Ausland schafft Beschäftigung im Inland.

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Alpla ist sicherlich ein Unternehmen, das bezüglich Internationalisierung extrem gut aufgestellt ist.

IV-Chef Martin OHNEBERG

Ist Alpla das Vorzeigeunternehmen in Sachen „Foreign direct Investments“?

Alpla ist sicherlich ein Unternehmen, das bezüglich Internationalisierung extrem gut aufgestellt ist. Mit weltweit 180 Tochtergesellschaften sind sie überall dort, wo der Kunde ist. Das ist in einer Welt der Isolation sicherlich klug. Bei Alpla hängt diese Strategie natürlich auch mit den Produkten an sich zusammen.

China boomt. Was machen die Chinesen besser?

Die Rahmenbedingungen sind ganz unterschiedliche. In China gibt es ein Regime, in dem es einfacher ist, Dinge konsequent durchzusetzen. Die Demokratie ist aus unserer Sicht natürlich das wünschenswertere und das menschlich verträglichere Konzept, aber sie macht den Prozess der Entscheidungsfindung auch aufwendiger.

Worin muss sich Europa einig werden?

Beim Datenschutz. Dinge, die in Asien selbstverständlich sind, sind hier gar nicht umsetzbar. In Asien ist es normal, dass Fingerprints oder die Face-ID erfasst werden. Das muss diskutiert werden. Wenn die Gesellschaft das nicht will, muss sie sich eingestehen, dass vieles nicht möglich sein wird und künstliche Intelligenz und Digitalisierung eingeschränkte Bedeutung haben werden.

Ist die europäische Wohlstandsgesellschaft zu satt?

China hat einen generalstabsmäßigen Plan, welche Industrien ins Land geholt werden sollen. Und natürlich haben die Chinesen Wachstumsnachholbedarf, während Europa eher eine saturierte Gesellschaft ist. In Asien gibt es einen Leistungswillen, der in Europa nicht mehr in diesem Ausmaß vorhanden ist. Auf der anderen Seite müssen sich die Europäer nicht verstecken.

Ihr Wunsch für 2021?

Die Krise schnell in den Griff bekommen und bis dahin lernen, mit der Pandemie vorübergehend zu leben. Man kann diskutieren, ob Masken, Testungen oder Apps verpflichtend sein sollen, aber am Ende gibt es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten gegenüber der Gesellschaft. All die bisherigen Maßnahmen kosten viel Geld und die Schulden, die wir jetzt aufbauen, müssen unsere Nachkommen abzahlen.

Fakten

Zur Person: Martin Ohneberg ( geb. am 9. Februar 1971 in Bregenz) ist seit 2015 Präsident der Vorarlberger Industriellenvereinigung (IV). 2011 übernahm er mehrheitlich die „HENN GmbH & Co KG“ in Dornbirn. Das weltweit tätige Unternehmen produziert Schnellkupplungen für den Bereich Ladeluft und Kühlwasser.

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