Interview

„Wenn ich kalte Füße habe, dann singe ich“

Vorarlberg
01.03.2020 11:00

Sängerin, Komponistin, Rednerin für Hochzeiten und Verabschiedungen: Christine Nachbauer hat viele Talente - und setzt diese mit Leidenschaft ein. Robert Schneider sprach mit ihr im Rahmen seiner „Gespräche zur Fastenzeit“ über über Liebe, Tod und Leben.

Frau Nachbauer, was ist das erste Bild in Ihrem Leben, das Ihnen noch präsent ist?

Ich war vielleicht vier oder fünf Jahre alt und hörte in der Küche ein Gewirr von Stimmen. Ich öffnete leise die Tür und sah alle am Tisch sitzen: Meine Oma aus der Steiermark, meine Oma aus dem Silbertal, Papa und Mama, Onkel und Tanten. Sie sangen. Und trotz der unterschiedlichen Dialekte, der hohen und tiefen Stimmlagen, der so entgegengesetzten Charaktere und Typen, herrschte eine wundervolle Harmonie. Ich lauschte und bekam dabei warme Füße. Das ist mir unvergesslich in Erinnerung geblieben. Wenn ich heute kalte Füße habe, dann singe ich.

Erinnern Sie sich an eine Kränkung aus Kindertagen? Wie sind Sie damit umgegangen?

Meine Oma aus der Steiermark hat mich abgöttisch geliebt, und ich sie. Für mich war sie eine wunderschöne Frau mit ihren durchfurchten Händen, dem zahnlosen Mund und den krummen Beinen. „Oma, wenn du stirbst“, hab ich immer zu ihr gesagt, „mag ich auch nicht mehr leben.“ Diese Liebe war so tief, dass sie manchmal weh getan hat. Gleichzeitig habe ich meine ältere Schwester sehr geliebt. Wir waren wirklich ein Herz und eine Seele. Jetzt musste ich feststellen, dass Oma meiner Schwester nicht die Zuneigung entgegenbringen konnte wie mir. Ich hatte das Gefühl, dass sie die Liebe bewusst dosiert. Das konnte ich nicht verstehen. Wie kann man Liebe einteilen? Für mich war das schlimm, weil ich gesehen habe, wie sehr meine Schwester unter der Ablehnung gelitten hat. „Gel, Oma, du hast meine Schwester auch gern“, habe ich fast gebettelt. „Nit so wie di, Christerl“, hat sie geantwortet. Ihre Ehrlichkeit tat unglaublich weh und tut es heute noch. Sie konnte nicht anders.

(Bild: lisamathis.at)
(Bild: lisamathis.at)

In jedem Leben gibt es Wege und Irrwege. Haben Sie einen Weg in Erinnerung, der sich später als Irrweg herausgestellt hat?

Mein verstorbener Mann Gert und ich hatten ein Tonstudio. Wir saßen beisammen und redeten über Trends auf dem Musikmarkt. Mein Mann war der Auffassung, ich müsste ein anderes Styling ausprobieren, mehr Sexappeal, andere Musik, englisch, mehr Beats, härter, usw.. Ich hatte Zweifel, war aber gleichzeitig auch neugierig. Also haben wir andere Arrangements gemacht. In dem Moment, als ich mit der neuen Produktion auf der Bühne stand, wusste ich: Das bist nicht du, Christine. Was hampelst du da herum? Das können Andere besser. Du verbiegst dich einer Marktanalyse wegen. Ich hab die Reißleine gezogen, die Produktion sofort gestoppt und natürlich viel Geld in den Sand gesetzt. Das war ein Irrweg. Und trotzdem denke ich, dass Irrwege dazu da sind, um uns zu unserem authentischen Selbst zu führen.

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So verrückt es klingt, aber in der tiefsten Dunkelheit habe ich plötzlich so etwas wie Dankbarkeit verspürt. Daran hielt ich mich fest.

Christine Nachbauer

Gab es jemals eine Situation, eine dunkle Stunde, in der Sie sich tief verlassen fühlten?

Das war, als wir wegen Überschuldung unser Haus verkaufen mussten. Ich habe das Verlassensein auf zweifache Weise erlebt. Einerseits, weil ich den Weg, den ich so viele Jahre nach außen gegangen bin, verlassen musste und es für jeden offenbar wurde. Andererseits, weil Menschen, die mir nahe standen, plötzlich völlig verunsichert waren. Es passierte nämlich folgendes: Mein scheinbarer Untergang löste im Gegenüber unglaubliche Ängste aus und die Frage: Welche Fassade versuche ich zu kitten und zu halten, die eigentlich schon längst nicht mehr zu kitten und zu halten ist? In dieser Zeit hatte ich eine liebende, heilende Freundin. Das war die Örflaschlucht in Götzis. Jeden Tag bin ich stundenlang dort gewandert. Sie hat sich alles von mir angehört. Und der Emmebach, der durch die Örfla fließt, hat alle meine trostlosen und düsteren Gedanken mitgenommen und reingewaschen.

Was würden Sie einem Menschen raten, der gerade verzweifelt ist und das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels nicht mehr sehen kann?

Ich kann nur aus meiner Erfahrung sprechen. Es waren die „Little Habits“, die kleine Rituale, die mir wieder Kraft gegeben haben. Bei mir war es das Laufen. Wenn ich nicht mehr konnte, habe ich trotzdem meinen Körper vorausgeschickt und gesagt: Geh schon mal voraus, ich komme dann nach. So verrückt es klingt, aber in der tiefsten Dunkelheit habe ich plötzlich so etwas wie Dankbarkeit verspürt. Daran hielt ich mich fest. An einer flüchtigen, aber herzlichen Begegnung zum Beispiel. Und ich habe angefangen, sorgsam mit mir umzugehen und mich meiner Verantwortung zu stellen, so gut ich es eben konnte. Im Tunnel ohne Licht habe ich gelernt, den bedrohlichen Phantasien keine Nahrung mehr zu geben. Sobald ich anfing, mich diesen Gespenstern hinzugeben, wurde der Trichter immer enger.

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Wenn ich etwas fürchte, dann mächtige Menschen. Jemand, der eine ungeheuerliche Macht auf sich als Person vereinigt.

Christine Nachbauer

Wofür haben Sie sich in Ihrem Leben am meisten geschämt?

Es war in einem ausweglosen, dunklen Moment in meinem Leben. Da sagte ich zu meinem Kind: Es wäre einfacher, wenn ich nicht mehr da wäre. Dass ich sowas meinem Kind zugemutet habe, dafür habe ich mich definitiv geschämt.

„Der Schmerz rettet das Leben“, sagt Nietzsche. Wie würden Sie diesen Satz interpretieren?

Jeder Mensch durchlebt mehrere Geburten in seinem Dasein. Wie der behütete Raum, in dem das Kind gelebt hat, irgendwann zu eng wird und es ausbrechen will, so ist es auch mit uns Erwachsenen. Bloß tun wir uns viel schwerer, aus unserem Ego, aus den toten Mauern herauszutreten. Draußen ist die Veränderung, die Ekstase, nach der wir uns sehnen, aber diese Veränderung macht gleichzeitig Angst. Sich verändern heißt, alte Gewohnheiten aufgeben, Bezugsfelder. Das schmerzt. Die Gegenwart drückt und die Zukunft ist noch unbekannt. Nun geht es aber darum, diesen Schmerz zu bestehen, damit das Leben in seiner Fülle wieder spürbar wird. So verstehe ich diesen Satz.

(Bild: lisamathis.at)

Wenn Sie in die Welt blicken, Frau Nachbauer: Was bereitet Ihnen gegenwärtig die größte Sorge?

Wenn ich etwas wirklich fürchte, dann sind es mächtige Menschen. Jemand, der eine ungeheuerliche Macht auf sich als Person vereinigt. Es müsste eine Machtpolizei geben, die irgendwann sagt: Du hast den Bogen überspannt. Das ist einfach zu viel Macht, die du hast. Jetzt wirst du sie abgeben und teilen. Ich halte allerdings nichts von dem weit verbreiteten Ohnmachtsgefühl, man könne eh nichts ändern. Das ist eine Ausrede. Ich kann in meiner Familie, an mir, in meinem Bekanntenkreis enorm viel ändern. Ich kann meine kleine Welt zu einem schöneren „Plätzle“ machen.

(Bild: lisamathis.at)

Mit welchem Bild vor Augen möchten Sie sterben, wenn Sie die Möglichkeit hätten, zu wählen?

Ich würde dann gerne in die Augen meiner Kinder schauen und sehen, dass sie ihren Sinn im Leben gefunden haben. Und dass sie wissen, sie hatten am Ende eine glückliche Mama.

Robert Schneider

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