Klimaforscher Gottfried Kirchengast aus Graz ist der einzige Wissenschafter im 46-köpfigen Klimaschutzkomitee von Österreich. Mit der Politik geht er hart ins Gericht, Vorschläge für Wege aus der Klimakrise gebe es zur Genüge. Die „Steirerkrone“ traf ihn zum großen Interview.
„Krone“: Sie sitzen als einziger Wissenschafter im Klimaschutzkomitee. Sagt alleine das nicht schon viel über den Zugang der österreichischen Politik zum Klimaschutz aus?
Gottfried Kirchengast: Wissenschaft bindet man dann ein, wenn man faktenbasierte Politik machen möchte. Entscheidet man lieber freihändig, sind aufgeklärte Menschen nicht unbedingt die besten Berater. Österreich ist diesbezüglich noch sehr unterentwickelt.
21 Grad wurden diese Woche im kanadischen Alert, der nördlichsten Siedlung der Welt, gemessen. Ein Rekordwert jagt den nächsten, dennoch gibt es immer noch Klimawandel-Skeptiker.
Extreme Wetterausprägungen wie diese sind eindeutig Fingerabdrücke des Klimawandels. Sowohl in der Lufthülle als auch in den Weltmeeren sammelt sich mehr und mehr Wärme an; das ist keine Glaubensfrage, das sind Ergebnisse zweifelsfreier Messmethoden.
Ist das das Fieber der Erde, von dem Sie gerne sprechen?
In der Regel nehmen Menschen Klimaveränderungen ja nur in ihrem eigenen, regionalen Kontext wahr. Wenn man aber, so wie ich, seit Jahrzehnten mittels Satellitendaten den Blick darauf hat, glauben Sie mir, diese Eindrücke sind furchterregend, da finde ich fast keine Worte dafür.
Was ist Ihre größte Sorge?
Treibhausgase sind primäre Treiber der Erderwärmung. Solange die Anreicherung von Treibhausgasen in der Lufthülle stattfindet, solange werden auch die Temperaturen steigen. Die einzige Möglichkeit, dies abzubrechen, ist, die Pariser Klimaziele umzusetzen. Also erst mal die Emissionen bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Dazu gibt es einfach keine Alternative.
Danach schaut es aber so gar nicht aus. Statt die Emissionen zu reduzieren, was den meisten EU-Staaten schon gelingt, steigen diese in Österreich sogar noch an.
Weil es bei uns bisher keine wirksame Klimaschutz-Politik gibt, das ist blamabel. Die Argumente fürs Nichtstun bestehen aus einer Mischung aus Beschönigung, Irreführung und Ignoranz.
Dabei heften sich aktuell ja schon alle Parteien den Klimaschutz auf die Fahnen. Eine Politik der Scheinheiligen?
Also wenn man sich zum Beispiel das neue Klimaschutz-Konzept der Bundes-ÖVP ansieht, hat man es klar mit unernsthaftem Werbematerial zu tun. Dem Handlungsbedarf wird in keiner Weise sinnvoll Rechnung getragen. Am Anfang ist zwar von CO2-Neutralität die Rede, aber danach widerspricht der Text krass diesem Ziel. Das ist, verzeihen Sie die Härte, ein Musterbeispiel von Schönfärberei und Irreführung.
Sie haben schon drei Briefe ins Kanzleramt geschrieben und Unterstützung der Wissenschaft angeboten. Gab es Reaktionen?
Null ernsthafte Reaktion.
Haben Sie die Hoffnung, dass die künftige Regierung größere Pflöcke für den Klimaschutz einschlagen wird?
Es sieht derzeit so aus, dass die kommende Regierung eine ähnliche ist wie die bisherige. Insofern bin ich besorgt, dass das Versagen weitergeht. Ex-Kanzler Kurz hat nach unserer Analyse derzeit weder das staatsmännische Format noch den Willen zur Kehrtwende.
Vom politischen zum privaten Problem Klimaschutz: Gerne werden die gas-, öl- und kohlefördernden Konzerne dieser Welt angeprangert. Dabei sind es ja wir, Sie und ich, die das Benzin verfahren, den Strom verbrauchen.
Lebensstil und Verhalten jedes Einzelnen sind natürlich von Bedeutung, hängen aber auch ganz stark von den Rahmenbedingungen des Landes ab, in dem man lebt.
Verbote und Besteuerungen sind also unumgänglich.
Natürlich, nur so befreien wir uns. CO2-Verbrauch muss etwas kosten, fossile Fahrzeuge dürften ab dem Jahr X nicht mehr neu zugelassen werden usw. Es geht aber nicht darum, die Menschen zu belasten.
Die Öko-Avantgarde, also jene, die von sich aus klimafreundlich handeln, wird die Erde nicht retten können?
Nein. Wir wissen, das sind nur zehn bis 15 Prozent. Als breite Bevölkerung kommen wir nur durch bessere Rahmenbedingungen zu einem veränderten Verhalten.
Österreich macht zwei bis drei Promille der weltweiten Emissionen aus. Ein kleiner Fisch im großen Teich?
Jeder Fisch ist gleich wichtig. Beispiel Straßenverkehr: Nur, wenn sich jeder an die Regeln hält, gibt es Sicherheit für alle. Sagt nur ein Promille, für mich gelten keine roten Ampeln, herrscht Lebensgefahr für alle. Beim Klimaschutz ist das nicht anders. Auch ein kleines Land muss seinen Beitrag leisten.
Was machen Sie persönlich für ein besseres Klima?
Ich halte mich an das Verbrauch-die-Hälfte-Prinzip. Ich überlege mir, was mache ich nur jedes zweite Mal, was brauche ich halb so intensiv usw. Und setze um.
Einladungen zu Konferenzen lehnen Sie auch ab?
Viele sogar. Mein CO2-Jahresbudget enthält maximal zwei Fernflüge. Privat fliege ich schon lange nicht mehr
Alle weiteren wissenschaftlichen Informationen finden Sie unter www.wegcenter.at/downloads
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