"I'm Not There"

Auf den Spuren von Pop-Ikone Bob Dylan

Kino
27.02.2008 16:36
Androgyne Gestalt, fein geschnittenes Antlitz, kreativer Wuschelkopf. Der Blick verbarrikadiert sich hinter dunklen Gläsern. Gespielte Anonymität in "I'm Not There". Unter Regisseur Todd Haynes schlüpfen sechs Hollywoodstars, darunter Christian Bale, Richard Gere, Cate Blanchett (!) und auch der im Jänner verstorbenen Heath Ledger, in Bob Dylans rätselhaft-facettenreiche Persönlichkeit.

Bob Dylan probte an jenem Abend mit seiner Band irgendwo im amerikanischen Süden, als sich eine Frau und Oscar-Preisträgerin am Lido von Venedig auf großer Leinwand seiner Person annahm, um ihm, Dylan, dem sperrig-homerischen Barden, dessen poetische Balladen von Highways und Schienen, von Tankstellen und Güterzügen, von schwerem Whisky, von am Wegesrand gepflückten Lieben und oft bereuten Abschieden erzählen, ihr Gesicht zu leihen - und irritierte Folkpuristen mit elektrifizierten Rocksongs zu schocken, kettenrauchend, mit einer Stimme, als käme sie über die Mauern eines Tuberkulose-Sanatoriums.

Dass Cate Blanchett, die auf fast beängstigende Weise in die Haut Dylans schlüpft und ihm, dem jungen flamboyanten Star, der Dylan 1966 war, in Sprache und Attitüde gerecht wird, ist Teil einer schillernden Collage, eines raffiniert recherchierten filmischen Features, das sich da "I'm Not There" nennt.

Ein multidimensionales Porträt unter der Regie von Todd Haynes, das Bob Dylans rätselhaft-facettenreiche Persönlichkeit auf sechs Charaktere und Hauptdarsteller verteilt, die ihn alle, wenngleich unter anderem Namen, ein Stück des Weges, seines Weges, begleiten. Ein Experiment zwischen nachinszenierten Filmdokumenten mit Originalaufnahmen und fiktionaler Handlung.

Heath Ledger in einer seiner letzten Rollen
Da erinnert der kindliche Marcus Carl Franklin an Dylans Anfangszeit in New York, spielt Christian Bale den politisch motivierten Folk-Helden, da wird Ben Whishaw zu Arthur Rimbaud, der Dylans poetische Ader zum Klingen bringt. Da ringt Heath Ledger, der vor kurzem tragisch-mysteriös aus dem Leben schied, mit den düsteren wie verbittert-verletzlichen Seiten des Musikers, während abermals Christian Bale den Troubadour zum religiösen Fundamentalisten mutieren lässt, bis schließlich Richard Gere den gealterten, lebensweisen Outlaw gibt.

Am faszinierendsten: Chamäleon Cate. Was unterscheidet ihre Bob-Dylan-Figur von der Interpretation der anderen fünf Schauspieler? Blanchett: "Todd Haynes Musiker-Biopic 'I'm Not There' ist ein Ensemble-Film mit multipler Dylan-Strategie, in dem wir alle ein und dieselbe Person spielen, ihr uns annähern. Das Besondere an meiner Rolle ist, dass Dylan in der Phase, in der ich ihn spiele, auf die elektrische Gitarre umstieg und zur Ikone wurde." Ist es interessanter, als Frau in eine Männerrolle zu schlüpfen? Blanchett: "Es ist nur gerecht! Zu Shakespeares Zeiten spielten schließlich die Männer alle Rollen, auch die der Frauenfiguren. Ich denke, wir könnten viel voneinander lernen, wenn wir uns ab und an - auch im Beziehungsalltag - auf so einen Rollentausch einlassen würden..."

"Brüste flachgebunden und viel geraucht"
Wie muss man sich die Vorbereitung für diesen Part vorstellen? C. Blanchett: "Ich habe mir nächtelang Dylan-Songs angehört, alles, was ich in die Finger kriegen konnte. Und der durch meine Kinder bedingte Schlafmangel war die ideale Voraussetzung für diese elektrisierende Zeit in Bob Dylans Leben. Tagsüber, am Set, hab ich mir dann die Brüste flachgebunden und viel geraucht."

Gibt es einen bestimmten Lieblings-Dylan-Song? C. Blanchett: "Das hängt von meinem Seelenbarometer ab. Bob Dylan kann dich verdammt hinabziehen, aber auch trösten. Es ist seine Lyrik, die so trostvoll ist. Worte wie ,Reine Liebe kidnappt dein Herz und gibt es nur gegen Lösegeld wieder frei...' (aus "Watered Down Love", Anm.). Wer seine Liedtexte und Songbooks bewusst studiert, denkt irgendwann: Dieser Mann ist ein Literat!" Dass die Liebe zur Schauspielerei schon vor langer Zeit Cate Blanchetts Herz gekidnappt hat, macht sie mit diesem Oscar-nominierten Part einmal mehr deutlich. Und ist nicht Liebe der Anfang des Wissens, so wie Feuer der Anfang des Lichts?

Von Christina Krisch, Kronen Zeitung

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