Chemikalien-Kauf

Norwegischer Geheimdienst hatte Breivik im Visier

Ausland
26.07.2011 09:47
Norwegens Geheimdienst PST war wegen eines Chemikalienkaufs bereits im März auf den Attentäter Anders Behring Breivik aufmerksam geworden. Das bestätigte Geheimdienstchefin Janne Kristiansen am Montag im TV-Sender NRK. Allerdings sei seine Spur nicht verfolgt worden. Zuvor war der Attentäter dem Haftrichter vorgeführt worden. Rund 200.000 Menschen beteiligten sich in Oslo an Trauermärschen für die Opfer (siehe Video). Die Zahl der Toten wurde von 93 auf 76 korrigiert.

Breivik habe im März bei einem polnischen Händler namens "Keten Chemicals" Chemikalien für etwa 15 Euro bestellt, berichtete der PST. Deshalb sei er auf einer entsprechenden Geheimdienst-Liste aufgetaucht. Die geringe Bestellsumme habe aber nicht für das Einleiten einer Überwachung ausgereicht.

Der Attentäter hatte sich für die Herstellung von Sprengstoff auch Aluminium aus Schweden besorgt. Im Frühjahr holte Breivik drei Pakete zu je 50 Kilogramm persönlich beim Terminal einer Speditionsfirma im schwedischen Karlstad ab. In seinem Manifest beschreibt er, wie er die Aluminiumstäbe zu feinem Pulver vermahlen hat. Das Pulver gehört zu jenen Materialien, die zur Herstellung von starken Bomben verwendet wird, wie jene, die am Freitag im Regierungsviertel von Oslo acht Menschen tötete, rund 30 verletzte und große Verwüstungen an Gebäuden anrichtete.

In seinem Schreibwerk erklärt er außerdem, dass er die Pakete unter dem Deckmantel einer seiner eingetragenen Firmen, einem angeblichen Unternehmen für Bootsreparaturen, bestellt habe. Aluminiumpulver wird auch als Beigabe für Bootsfarben zum Lichtschutz verwendet.

Laut Polizei handelt es sich bei dem 32-jährigen Breivik um einen "christlichen Fundamentalisten" mit Kontakten zu Rechtsextremen. Im Internet tauchte nach der Tat sein 1.500-seitiges Manifest auf. Neben Angaben zur Vorbereitung der Anschläge enthält es Passagen, die die Islamfeindlichkeit des Autors beschreiben (siehe auch Zusammenfassung 1, Zusammenfassung 2, Zusammenfassung 3).

Jugendliche greifen Breivik-Konvoi an
Nach den Anschlägen mischt sich in Norwegen mittlerweile auch Wut in die Trauer. Aufgebrachte Jugendliche stoppten am Montag in Oslo einen Konvoi, mit dem Breivik zum Haftrichter gebracht wurde. Die tobende Menge trat gegen die Wagen und schlug auf die Scheiben der Jeeps ein. Erst die Polizei konnte den Tumult auflösen.

"Verdammter Verräter", schrien die Jugendlichen laut Augenzeugen-Berichten, ehe die Polizei einschritt und die aufgebrachte Menge von den Wagen wegdrängte. Anschließend konnte der Konvoi seine Fahrt fortsetzen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sagte einer der Angreifer: "Alle hier wollen ihn tot sehen."

"Ich wollte ein Signal senden"
Bei dem Termin sagte der Attentäter, er habe nicht das Ziel gehabt, so viele Menschen wie möglich zu töten. Vielmehr habe er ein starkes Signal senden wollen, das nicht missverstanden werden könne. Er wollte nach eigenen Angaben der regierenden sozialdemokratischen Arbeiterpartei größtmöglichen Schaden zufügen. Sie sei für die massenhafte Einwanderung von Muslimen verantwortlich und habe dafür bezahlen müssen, gab der Norweger an. Breivik sprach ferner von "zwei weiteren Zellen in unserer Organisation". Weitere Einzelheiten wurden dazu nicht mitgeteilt. Nach Angaben des Gerichts sei nach der Anhörung gesichert, dass Breivik in Terrorabsicht gehandelt habe. Den genauen Wortlaut der Justiz-Erklärung findest du in der Infobox.

Der Richter setzte eine achtwöchige Untersuchungshaft für Breivik an - doppelt so viel wie normalerweise maximal üblich. Dies hatten die Ermittler beantragt, um mehr Zeit für die Aufklärung der Tatumstände zu haben. Die ersten vier Wochen der Untersuchungshaft soll Breivik in vollkommener Isolation verbringen, um die Ermittlungen der Polizei in dem Fall nicht zu stören. Außerdem soll der 32-Jährige psychiatrisch untersucht werden, um seine Zurechnungsfähigkeit zu überprüfen.

Breivik hatte den Bombenanschlag in Oslo und das Massaker auf der Insel Utöya damit begründet, dass er die sozialdemokratische Partei Norwegens möglichst hart treffen wollte. Bisher sei eine derartige Anklage aber nur "eine Möglichkeit", berichtete die Zeitung unter Berufung auf Staatsanwalt Christian Hatlo. Ein Polizeisprecher sagte derweil, es sei nicht ausgeschlossen, dass sich auch die Polizei auf weitere Tatbestände berufen werde.

Polizei korrigiert Zahl der Toten nach unten
Am Montagabend korrigierte die Polizei die Zahl der Toten nach unten. Nach Angaben der Beamten können bislang 76 Opfer bestätigt werden. Zuvor war von 93 Toten die Rede gewesen. Acht Personen seien demnach bei dem Bombenattentat von Oslo ums Leben gekommen, 68 beim Amoklauf auf der Insel Utöya. Allerdings würden noch immer Menschen vermisst, außerdem schwebten viele der Verletzten in Lebensgefahr. Die Polizei plant außerdem, die Namen der Todesopfer zur veröffentlichen.

Indes wurde bekannt, dass die rechtsextreme ungarische Jugendbewegung "64 Burgkomitate" einen Tag vor dem Blutbad ein E-Mail des Attentäters erhalten hat. Der Chef der Organisation, Laszlo Toroczkai, sagte am Montagabend im ungarischen Privatsender TV2, dass auch andere nationalistische Organisationen ähnliche Mails erhalten haben könnten. Breivik habe die Botschaft von seiner eigenen E-Mail-Adresse verschickt. In dem Mail habe Breivik einen "Aufruf an die europäischen Patrioten" gestartet und den Islam als "Feind Nummer eins" bezeichnet. Zugleich habe er auf sein 1.500-Seiten-Pamphlet aufmerksam gemacht, das unter dem Titel "2083 - eine europäische Unabhängigkeitserklärung" im Internet zu finden ist. Konkrete Tatandeutungen habe es aber nicht gegeben.

Um 12 Uhr Mittag stand Norwegen still
Ebenfalls am Montag wurde in Norwegen der überwiegend jugendlichen Opfer des beispiellosen Verbrechens mit einer Schweigeminute gedacht (siehe Video in der Infobox). Überall im Land ließen die knapp fünf Millionen Bürger um 12 Uhr die Arbeit ruhen. Alle Eisenbahnzüge wurden zum Halten gebracht, in der Hauptstadt Oslo ruhte auch der Straßenverkehr. König Harald V. und Ministerpräsident Jens Stoltenberg leiteten das stille Gedenken in der Aula der Osloer Universität ein. Sie trugen sich als Erste in ein Kondolenzbuch für die Opfer des Attentäters ein. Mindestens 100.000 Menschen beteiligten sich außerdem in Oslo an den Trauermärschen, "Blumenzüge" genannt. In der Hauptstadt füllte die Menschenmenge weite Teile der Innenstadt, als Kronprinz Haakon zweimal ausrief: "Heute sind unsere Straßen mit Liebe gefüllt."

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