Kampf um Slawjansk

“Haut ab!”: Bevölkerung schützt Stadt vor Armee

Ausland
02.05.2014 21:26
Die ukrainische Armee hat ihre Gangart gegen die prorussischen Milizen im Osten des Landes am Freitag verschärft und einen Angriff auf die Rebellen-Hochburgen Slawjansk und Kramatorsk gestartet. Beide Seiten beklagten mehrere Tote, die Regierungstruppen verloren zudem zwei Kampfhubschrauber. Der selbst ernannte Bürgermeister von Slawjansk rief nun auch die Einwohner zum Kampf auf - und diese folgten dem Befehl. Der Vormarsch ukrainischer Truppen wurde von menschlichen Schutzwällen gestoppt.

"Haut ab!", riefen in der Stadt Slawjansk wütende Bürger, die sich zu Hunderten auf den Zufahrtsstraßen versammelt hatten. Busse karren derzeit Junge, Alte und Familien an den Stadtrand, wo sie sich den gut ausgerüsteten Einheiten von Armee, Nationalgarde und Innenministerium entgegenstellen.

Der Volkszorn kocht. Mit einer Ikone fuchtelte die Pensionistin Valentina vor den Regierungstruppen herum. "Nachts um vier bin ich vom Geschosslärm aufgewacht", erzählte die 58-Jährige, die gleich an einer Straßensperre lebt. Alle Bewohner hätten das Haus verlassen und sich auf den Boden legen müssen, schilderte Valentina einem Reporter der Nachrichtenagentur dpa den Beginn der Offensive.

Unterstützung für die Milizen wächst
Bereits auf dem Weg von der Gebietshauptstadt Donezk nach Slawjansk wird deutlich, dass die Zentralregierung im weit entfernten Kiew kaum noch Kontrolle über das russisch geprägte Gebiet hat. Andauernd unterbrechen Sperren aus Reifen und Sandsäcken die Fahrt auf der Hauptstraße. An den Posten weht die Fahne der selbst ernannten Volksrepublik Donezk. Neben dem Großteil der örtlichen Bevölkerung scheint auch die Verkehrspolizei gemeinsame Sache mit den prorussischen Kräften zu machen.

Überall packen Zivilisten mit an, schichten neue Barrikaden auf, verstärken alte. Lastwägen liefern immer wieder große Ladungen Reifen. "Wir sind eine eigenständige Region", betonte Pensionistin Valentina. "Wir wollen Kiew und die Westukraine nicht länger füttern." Die vom Kohlebau geprägte Region wirkt deutlich wohlhabender als weite Teile der Ex-Sowjetrepublik.

Soldaten: "Wir werden euch nicht töten"
Wütend halten Anrainer Patronenhülsen in den Händen. "Das blüht uns also!", schimpften sie in Richtung der Sicherheitskräfte. Sie fühlen sich bereits wie im Krieg. Das Mobilfunknetz breche immer wieder zusammen, es gebe kein Brot mehr, die Bankomaten seien leer. "Wir haben Angst", meinen viele. Die zum Teil vermummten Truppen wirken martialisch, doch ihre Gewehrläufe halten sie gen Boden. "Wir werden euch nicht töten, ihr seid unbewaffnet", meinte ein Uniformierter. "Wir erfüllen nur unsere Pflicht", ergänzte er.

Die prowestliche Führung in Kiew will in der Region endlich die Lage wieder in den Griff bekommen, die ihr schon vor Wochen entglitten ist. Vor der Präsidentenwahl, die für den 25. Mai geplant ist, soll Ruhe herrschen. In zahlreichen Städten halten prorussische Milizen staatliche Gebäude besetzt. Slawjansk, wo der selbst ernannte Bürgermeister Wjatscheslaw Ponomarjow auch deutsche Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gefangen hält, wird komplett von den Separatisten kontrolliert.

Regierung verkündet laufend Erfolgsmeldungen
Der Angriff auf die Stadt soll, so hat es den Anschein, symbolische Wirkung haben. Von der "aktiven Phase der Antiterroroperation" sprach Innenminister Arsen Awakow. Immer wieder verkündet seither die Führung Erfolgsmeldungen. Mehrere Kontrollposten seien erobert, zwischendurch räumen auch die Aktivisten den Verlust der Fernsehstation und des Bahnhofes ein. Schließlich gab der Geheimdienst SBU bekannt, Slawjansk sei zum Großteil unter Kontrolle.

Miliz: "Sie haben nur einige Gassen eingenommen"
Dies wiesen die Aktivisten empört zurück: "Wir haben die Stadt weitgehend unter Kontrolle." "Der SBU lügt die ganze Zeit", sagte ein Milizsprecher der russischen Staatsagentur Ria Nowosti. Und ein anderer höhnte: "Sie haben nur einige Gassen in den Vororten eingenommen. Die Eroberung der Stadt ist gescheitert."

Die Lage scheint weiter völlig unübersichtlich, zumal laut Kiew die Separatisten in Slawjansk Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Aus diesem Grund gehe der "Antiterroreinsatz" nur langsam weiter, betonte der ukrainische Interimspräsident Präsident Alexander Turtschinow.

Präsident: "Terroristen bekämpften, Bevölkerung schützen"
"Unsere Sicherheitskräfte kämpfen mit Söldnern fremder Staaten, Terroristen und Kriminellen, die Geiseln nehmen, töten und foltern, die mit Waffen in der Hand die territoriale Einheit sowie die Stabilität der Ukraine bedrohen", so Turtschinow. "Unser Hauptziel ist, die Menschen zu schützen und Opfer in der Bevölkerung zu verhindern." Der prowestliche Politiker kündigte an, dass der Angriff "gegen die Terroristen" fortgesetzt werde.

Der Interimspräsident forderte zum wiederholten Male die moskautreuen Kräfte zur Aufgabe auf. "Wer die Waffen niederlegt und nicht in schwere Verbrechen verwickelt war, hat nichts zu befürchten. Mörder und Folterer werden bestraft", kündigte er an. Turtschinow forderte Russland auf: "Stoppt die Drohungen und Einschüchterungen." Moskau müsse seine Provokationen einstellen.

Moskau beantragte UN-Sicherheitsratssitzung
Der UNO-Sicherheitsrat kam am Freitag in New York auf Drängen Russlands zu einer weiteren Sondersitzung zusammen. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon teilte mit, dass er kommende Woche seinen Stellvertreter Jeffrey Feltman zu Gesprächen nach Moskau und Kiew entsenden werde. Ban äußerte sich "zutiefst besorgt" über die sich verschlechternde Situation im Osten und Süden der Ukraine.

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