Das freie Wort

Europa unter Beobachtung

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius lässt Eurofighter an Polens Ostgrenze stationieren – „zum Schutz der NATO-Ostflanke“, wie es heißt. Ein Satz, der wie Routine klingt, aber den Beigeschmack alter Parolen trägt. Europa, das sich einst für ein Friedensprojekt hielt, fliegt wieder Kampfschichten – nur diesmal im Namen der Stabilität. Der Himmel wird erneut zur Bühne für jene, die Stärke lieber demonstrieren, als sie zu definieren. Natürlich ist Russland schuld – wer sonst, oder? Doch während man auf Moskau zeigt, um Entschlossenheit zu beweisen, wird im Westen fleißig modernisiert, aufgerüstet und moralisch gerechtfertigt. Pistorius spricht vom „kalten Krieg ohne Schüsse“. Das ist beruhigend, bis man merkt, dass man auch ohne Schüsse genug Pulver verbrennt: Geld, Vertrauen, Glaubwürdigkeit. „Europa unter Beobachtung“ – das klingt nach Drohnenalarm, bedeutet aber vor allem Selbstbespiegelung. Wir starren auf Radarschirme und meinen, damit Verantwortung zu übernehmen. Tatsächlich gleichen wir einem Patienten, der Fieber misst, statt die Krankheit zu behandeln. Wer Sicherheit ausschließlich durch Überwachung definiert, verwechselt Kontrolle mit Stärke und Abschreckung mit Frieden. Und Österreich? Wir üben Neutralität wie andere Yoga – schön anzusehen, aber ohne echte Spannung. Dabei bräuchte Europa dringend jene ruhige Stimme, die sagt: Vielleicht muss nicht jeder Konflikt ein militärisches Fitnessprogramm sein. Neutralität wäre, richtig verstanden, kein Zaun, sondern ein Spiegel – einer, der zeigt, was wir längst vergessen haben: dass Sicherheit zuerst ein menschliches, nicht ein militärisches Bedürfnis ist. Europa steht unter Beobachtung – nicht nur durch Drohnen, sondern durch die Geschichte selbst. Wenn wir weiter aufrüsten, um uns sicher zu fühlen, verlieren wir irgendwann das, was uns wirklich schützt: Vernunft. Und wer nur noch den Himmel bewacht, während der Boden unter den eigenen Werten bröckelt, wird am Ende feststellen, dass kein Eurofighter der Welt uns vor uns selbst verteidigen kann.

John Patrick Platzer, Viktring

Erschienen am Fr, 17.10.2025

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