Es wird Zeit, dass unser toller Sozialstaat einmal unter die Lupe genommen wird. Es handelt sich um einen Fall aus meinem allernächsten Umfeld. Wie kann es sein, dass eine Frau mit ausschließlich österreichischen Wurzeln hin- und hergeschoben wird wie ein zweitklassiges Etwas? Eine Frau, die nach dem Tod ihres Mannes zwei kleine Kinder großgezogen hat, es geschafft hat, aus eigener Kraft, ein halb fertiges Haus unter hohen Entbehrungen fertigzustellen und den Kindern die bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen. Nun ist es passiert, dass diese Frau einen unglücklichen Unfall hatte, über zwei Stufen stolperte, und sich nebst einem Handbruch auch noch einen Bruch am Sprunggelenk zuzog. Auch ist ihr künstliches neues Kniegelenk in Mitleidenschaft gezogen worden. Wie kann es sein, dass diese Frau vom ersten Krankenhaus abgewimmelt wurde, aus Gründen des Personal- und Ärztemangels? Diesen kann ich mir nicht erklären, wenn man bedenkt, wie viele Medizinstudenten (anscheinend ewige) es gibt. Nachdem sie im zweiten Krankenhaus Aufnahme gefunden hatte, wurde sie allerdings nach drei Tagen in eine Therapieeinrichtung transportiert, wo sie lernen sollte, mithilfe von Krücken mobil zu werden. So weit, so gut, aber sogar mein nicht medizinisch geschulter Hausverstand sagt mir, dass ein Mensch, dessen komplette linke Körperhälfte außer Gefecht ist (Arm, Bein, Knie), nicht auf Krücken gehen kann. Das hat sich auch das Personal dieser Einrichtung gedacht, woraufhin sie diese Frau in ein Pflegeheim verfrachtet haben, in welchem ihr gleich einmal gesagt wurde, dass 80% ihrer Pension für die Pflege dort in Anspruch genommen werden. Doch das Wort „Pflege“ dort in den Mund zu nehmen ist alleine schon eine Frechheit. Bei einem Besuch dort musste ich feststellen, dass ein Mensch nicht mehr den Wert bzw. die Wertschätzung erfährt, die er verdient. Wie kann es sein, dass jemand, der beim Essen das Personal bittet, mit ihm auf die Toilette zu gehen, als einzigen Kommentar hört: „Mach in die Hose! Du hast ja ohnehin eine Windel an.“ Ich bin es leid, als einzigen Kommentar immer das Wort „Personalmangel“ zu hören. Es mag schon so sein, aber ist das wirklich ein Grund, Menschen wie lästigen Ballast zu behandeln und nur des Geldes wegen aufzunehmen? Wenn man bedenkt, wie gut es Ausländern und Langzeitarbeitslosen (ich meine diejenigen, die arbeiten könnten) in unserem Land geht, muss ich mir wirklich die Frage stellen, ob Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und ihren Beitrag über lange Zeit geleistet haben, nur noch „zweite Klasse“ sind. Traurig, aber wahr!
Ingrid Tuppinger, Gurk
Erschienen am Sa, 12.11.2022
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