"Rhythm & Hymns"

Mattafix im krone.at-Interview

Musik
30.11.2007 01:55
Das britische Duo Mattafix ist seit dem sensationellen Debütalbum "Signs Of A Struggle" ein Renner auf den Dancefloors und gleichzeitig ein Garant für abwechslungsreiche und tiefschürfende Songs geworden. Mit "Rhythm & Hymns" stellen die beiden Musiker ihr mit Spannung erwartetes zweites Album vor. krone.at traf Sänger Marlon Roudette zum Interview.
kmm

Mattafix (karibischer Slang für "The matter has been fixed") landeten 2005 mit "Big City Life" einen Megahit, der sie international bekannt machte. Wer sich das Album "Signs Of A Struggle" zulegte, kam aber schnell dahinter, dass die Stärke des Produzenten-Duos nicht nur das Erfinden eingängiger Beats ist, sondern auch das Verpacken einer ernsthaften Message, wie man heute so schön sagt, in selbigen.

Auf "Rhythm & Hymns", dem "schwierigen zweiten Album", werden der Sohn eines Produzenten und Stiefsohn von Neneh Cherry, Marlon Roudette und das Londoner Musik-Wunderkind indischer Einwanderer, Preteesh Hirji, den Erwartungen gerecht, die man nach dem eindrucksvollen Debüt hegte. Bei der ersten Single "Living Darfur" sorgten sie gleich einmal für Respektbekundungen von vielen Seiten. 

Das Video (siehe oben) drehten sie in der afrikanischen Krisenregion Darfur, wo seit 2003 ein Krieg zwischen Rebellen und Regierung die derzeit größte humanitäre Katastrophe der Welt mit 400.000 Toten und mehr als zwei Millionen Vertriebener ausgelöst hat. Roudette und Hirji besuchten die Flüchtlingscamps, widmeten den Song den Vertriebenen und starteten ihr eigenes Hilfsprojekt, dem es in erster Linie um mediale Aufmerksamkeit und einer weltweiten Anerkennung der Krisensituation und den nötigen Handlungsbedarf geht.

All das verpacken sie in aufregend abwechslungsreiche Songs, die neben exotischen Soundsamples von Hirjis Rap und Marlons sanfter Stimme geprägt sind. Selbst hinter scheinbar verräterischen Songtiteln wie "Shake Your Limbs" oder "Angel" verbergen sich tiefsinnge Lyrics. Mattafix sind ihrem Credo in jeder Hinsicht treu geblieben. 

Was unterscheidet die „Hymne“ vom Popsong?

Marlon Roudette: Die Hymne an sich, hat zwei Bedeutungen. Eine offensichtliche religiöse (im Englischen bedeutet „Hymn“ auch Kirchenlied, Anmk.) und auf der anderen Seite ist es eine Kunstform, um jemanden oder etwas mit seinem Talent zu preisen. Wir meinen damit natürlich die zweite Bedeutung. Es muss aber nicht nur Musik sein, auch Malerei, Lyrik oder Performance. 

Also sind eure „Hymnen“ die kraftvollere Version eines Songs.

Marlon Roudette: Ja. Ich denke, dass wir auf diesem Album eine sehr positive Perspektive in den Songs rüberbringen. Die Bezeichnung „Hymne“ passt da sehr gut rein. 

Ihr kommt aus London, der nach Istanbul kosmopolitischsten Stadt Europas, wie man sagt; habt ihr trotzdem eine Art „Kulturschock“ gespürt, als ihr nach Darfur geflogen seid, um das Video für eure Single „Living Darfur“ zu drehen?

Marlon Roudette: Ja, irgendwie schon - obwohl ich es nicht als Kulturschock beschreiben würde. Wir haben drei Tage in den Flüchtlingscamps im Tschad verbracht und sind mit einer festen Überzeugung abgereist: Musik muss definitiv eine Rolle im Kampf um  die Rettung dieser Region spielen - egal, was uns andere vorschreiben wollen. Wir haben die Zustände mit unseren eigenen Augen gesehen und uns gefragt, warum über diesen Ort mit der wahrscheinlich höchsten Konzentration an menschlichem Leid auf dieser Welt, so wenig in den Medien berichtet wird. Wir wollen das ändern.

Seht ihr Musik als die vielleicht idealste Form, um hier eine Aufmerksamkeit zu erzeugen?

Marlon Roudette: Natürlich sehe ich das so, ich bin ja Musiker. Aber ich finde, dass jeder in seinem Beruf etwas beitragen kann. Ihr Journalisten zum Beispiel, ihr sprecht ja auch darüber und solltet das noch viel öfter tun. Am meisten sind wohl Politiker und Regierungen gefragt, die Hebel in Bewegung setzen und auch in der UNO Maßnahmen beschließen könnten. Ich habe als Musiker eine Stimme, die gehört wird und deswegen benutze ich sie auch. 

Wie groß war der Einfluss der Reise auf „Rhythm & Hymns“?

Marlon Roudette: Ich finde, dass mir jeder Trip dabei hilft, mich als Songwriter und Musiker weiterzuentwickeln. Erfahrung ist gerade beim Schreiben wichtig, wenn du Emotionen rüberbringen möchtest. Afrika hatte natürlich eine besonders große Bedeutung für das Album. Wir nahmen „Living Dafur“ in Johannesburg auf und die Stadt war ja lange Zeit Mittelpunkt ähnlicher Zustände. Die Spuren mit eigenen Augen zu sehen - das kann dich nur berühren! Man kehrt automatisch als veränderter Mensch nach Hause. 

Man spricht heutzutage schnell von einem „Charity-Syndrom“ unter Prominenten und Musikern, wenn sie zu oft mit dem Zeigefinger auf die dramatischen Zustände in Entwicklungsländern hinweisen und daneben ein luxuriöses Leben führen, in dem Dinge wie Fair-Trade-Kaffee nicht vorkommen. Mattafix hingegen hat in dieser Hinsicht eine längere Geschichte...

Marlon Roudette: Ja, es gehört für uns nicht bloß zum guten Ton. Die Hälfte der Songs auf „Signs Of A Struggle“ schrieben wir über den Krieg und soziale Ungerechtigkeiten. Mittlerweile sprechen uns viele Menschen an und bitten uns um Unterstützung, dadurch entwickelte sich das für uns mit der Zeit zu einem Schwerpunkt. Es ist mir auch wichtig. Ich möchte am Ende meiner Karriere einmal die Dinge zählen, die wirklich wichtig waren und etwas bewegt haben. Und das sollen nicht nur Goldene Schallplatten und ein paar tolle Videos sein. 

Siehst du dich als Aktivist?

Marlon Roudette: Möglicherweise als ein spezielle Form von Aktivist. Wir sind es bei unseren Gigs und benutzen unsere Musik als Sprache. Für mich ist ein Aktivist jemand, der Initiativen ergreift - und das haben wir immer gemacht. Wir sehen uns aber als Teil eines großen Kollektivs, Mattafix ist Wassertropfen einer großen Welle der Veränderung. 

Worin siehst du die Weiterentwicklungen beim neuen Album?

Marlon Roudette: Auf „Signs Of A Struggle“ waren wir sehr stolz, weil es unser erstes Album war. Wir sind damit unserer Jugend entwachsen. Wenn ich es mir jetzt anhöre, denke ich oft, dass es manchmal nicht schlüssig ist. „Big City Life“ klingt so anders als „Passer By“ und „Passer By“ wiederum passt so gar nicht zu „Cool Down The Pace“. Es kommt mir jetzt vor wie ein wilder Mix aus Songs, die wir in unterschiedlichen Phasen unseres Lebens geschrieben haben. „Rhythm & Hymns“ hat Kontinuität. Es klingt nach einem ganzen Album vom Anfang bis zum Ende und hat mehr Feinheiten in der Instrumentation. Wir haben mit großartigen Leuten aus allen Teilen der Welt zusammengearbeitet.

Ihr seid bekannt für exotische Samples. Was bietet ihr diesmal?

Marlon Roudette: Wir haben einen Flute-Box-Spieler (Beatboxing auf der Querflöte, Anmk. - siehe Infobox) auf einem Song, es gibt ein polnisches Volksmusik-Sample, das wir uns gekrallt haben, ein Zulu-Chor und viele südafrikanische Elemente.

Also nichts, was es nicht gibt?

Marlon Roudette: Genau! Wir wollten noch einen verrückten Funksong von 1973 sampeln, allerdings bekamen wir die Rechte nicht. 

Wie viele Kompromisse musstet ihr bei diesem Album im Vergleich zu „Signs Of A Struggle“ eingehen? Wann schiebt euch die Plattenfirma einen Riegel vor?

Marlon Roudette: Eigentlich sehr selten, muss ich sagen. Wir haben diesmal ziemlich genau das erhalten, was wir uns vorgenommen haben. Manchmal ist ein bisschen Hilfe von außen auch ganz gut. Wenn du vor einem Song sitzt und genau weißt, dass etwas nicht passt, aber einfach nicht dahinter kommst, bist du froh, wenn einmal jemand anderer kommt und eine Weile dran rumspielt, bis dein Kopf wieder klar ist. Aber dann ist war es ja eigentlich kein Kompromiss. Ich fühle mich in einer ausgezeichneten Position. Ich bin 24 und bekomme eigentlich keinen Druck der Plattenfirma zu spüren. 

Ihr folgt in euren Sounds vielen Trends bzw. gebt sie sogar vor. Dennoch sind die Inhalte überhaupt nicht das, was man sich zum Sound erwarten würde. Wo ziehst du beim Songschreiben die Grenze zum Mainstream aus „Bling-Bling & Bitches“? 

Marlon Roudette: Du hast das schon richtig erfasst. Unsere Lyrics grenzen uns von vielen anderen ab. Die Songs auf dem neuen wie „Got To Lose“ anhörst, wo es um ein Mädchen geht, findest du noch mehr darin.

Wie hält man sich davon ab, aus Tracks wie „Shake Your Limbs“ nicht mit ein paar Änderungen am Text einen Charthit zu machen, der einem in den USA so viel Geld einbringen könnte, dass man in Rente gehen kann? Die Waffen für so eine Art von Blitzkarriere hat Mattafix ja...

Marlon Roudette: Du meinst „Shake Your Ass“ statt „Shake Your Limbs“!? (lacht) Nie im Leben! Natürlich könnten wir zig-mal so viele Platten verkaufen, wenn wir bei diesem ganzen Bling-Bling-Quatsch mitmachen würden. Davon halten mich aber zwei Dinge ab. Erstens: Ich habe so etwas nicht und führe auch kein solches Leben. Wenn ich drüber schreiben würde, wäre es also eine Lüge. Und zweitens: Ich habe viele Künstler kommen und gehen sehen. Die, die ich in Erinnerung behalten habe, waren jene, die etwas zu sagen hatten. 


Interview: Christoph Andert

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