Morgendliche Razzia

Korruption: FIFA-Delegierte in Zürich festgenommen

Sport
27.05.2015 14:32
Unmittelbar vor dem brisanten FIFA-Kongress, bei dem es um die Wahl des neuen Präsidenten geht, sind Schweizer Sicherheitsbehörden Mittwoch früh gegen mehrere Funktionäre des Weltfußballverbands vorgegangen. Im Zürcher Hotel Baur au Lac wurden sieben aktuelle bzw. ehemalige Fußball-Funktionäre festgenommen. Die Vorwürfe: Korruption, Geldwäsche und Überweisungsbetrug. Die Verdächtigen sollen Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen haben, ihnen droht die Auslieferung an die Vereinigten Staaten. Im Video oben sehen Sie Aufnahmen vom Hotel-Hintereingang, wo versucht wird, FIFA-Offizielle zu verdecken. Indes hat die Schweizer Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren um die WM-Vergaben 2018 und 2022 eingeleitet.

Gegen die Funktionäre wird in New York wegen Annahme von Bestechungsgeldern und verdeckten Provisionen ermittelt. Angenommen haben sollen sie diese von den Neunzigerjahren bis heute. Im Visier der US-Justiz stehen insgesamt 14 Personen. Neun davon sind oder waren FIFA-Funktionäre, fünf sind Chefs von Sportmarketing-Firmen. Ihnen drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren wegen organisierten Verbrechens, Betrugs, Geldwäsche und Bestechung.

"Zwei Generationen von Fußballfunktionären haben ihre Vertrauensstellung zum persönlichen Vorteil missbraucht, meist in Zusammenarbeit mit skrupellosen Sportmarketing-Chefs, die Mitbewerber ausschlossen und sich lukrative Verträge sicherten, indem sie systematisch schmierten und bestachen", schrieb das US-Justizministerium, das den Angeklagten vorwirft, seit 1991 kriminell tätig gewesen zu sein.

Beträge über 150 Millionen Dollar
Dabei sollen die Fußballfunktionäre mehr als 150 Millionen Dollar (137,29 Mio. Euro) erhalten haben. Die kriminellen Machenschaften betreffen vor allem die nord-, zentral- und südamerikanischen Verbände sowie den karibischen. Das US-Justizministerium geht auch davon aus, dass bei der WM-Vergabe in Südafrika im Jahr 2010 und bei den FIFA-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2011 illegal Gelder flossen.

Rechte als Gegenleistung
Als Gegenleistung sollen Firmen an Fußballturnieren in den USA und in Lateinamerika Medien-, Vermarktungs- und Sponsoringrechte erhalten haben. Die Straftaten seien in den USA vorbereitet und abgesprochen worden, berichtete das Schweizer Bundesamt für Justiz (BJ) unter Berufung auf das Verhaftungsersuchen. Auch seien Zahlungen über US-Banken abgewickelt worden. Die Verdächtigten werden möglicherweise rasch an die USA ausgeliefert.

"New York Times"-Reporter vor Ort
Über die Festnahmen im Zürcher Hotel Baur au Lac berichteten auch zwei Reporter der "New York Times", die den Polizeieinsatz vor Ort mitverfolgten. Über Twitter verbreiteten sie unter anderem Bilder von Polizeibeamten in Zivil, die an der Rezeption Zimmerschlüssel holen. Zudem erkannten die Reporter in mindestens einem der Abgeführten einen FIFA-Funktionär.

FIFA-Vizepräsident Webb unter den festgenommenen Funktionären
Laut US-Justizministerium wurden folgende Personen festgenommen:
1) Jeffrey Webb (Cayman-Inseln/50 Jahre) ist FIFA-Vizepräsident, Präsident des Fußball-Verbandes von Nord- und Mittelamerika sowie der Karibik (CONCACAF), FIFA-Exekutivkomitee-Mitglied, Chef der Anti-Diskriminierungs-Task-Force der FIFA und Präsident des Verbandes der Cayman-Inseln.

2) Eugenio Figueredo (Uruguay/83 Jahre) ist FIFA-Vizepräsident, ehemaliger Präsident des südamerikanischen Fußballverbandes (CONMEBOL), FIFA-Exekutivkomitee-Mitglied und Präsident des uruguayischen Fußball-Verbandes.

3) Jose Maria Marin (Brasilien/83 Jahre) ist bei der FIFA zuständig für die olympischen Fußball-Turniere, ehemaliger Präsident des brasilianischen Fußball-Verbandes (CBF) und des Organisationskomitees der Fußball-WM 2014 in Brasilien.

4) Eduardo Li (Costa Rica) ist designiertes Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees und Präsident des Fußballverbandes von Costa Rica.

5) Julio Rocha (Nicaragua) ist bei der FIFA zuständig für Entwicklung und Präsident des nicaraguanischen Fußballverbandes.

6) Rafael Esquivel (Venezuela) ist CONMEBOL-Exekutivkomitee-Mitglied und Präsident des venezolanischen Fußballverbandes.

7) Costas Takkas (Großbritannien) ist der Attache des CONCACAF-Präsidenten Webb.

Zu den weiteren Angeklagten gehören laut US-Justizministerium Jack Warner (Trinidad und Tobago/72 Jahre), ehemaliger FIFA-Vizepräsident und Präsident der karibischen Fußballunion, und Ex-CONMEBOL-Präsident Nicolas Leoz (Paraguay/86 Jahre).

Zumindest Webb ist ein ganz enger Vertrauter des Schweizers Joseph Blatter. Der Präsident der Nord- und Mittelamerika-Konföderation (CONCACAF), vergleichbar mit der Position von UEFA-Boss Michel Platini in Europa, ist auch Chef der von Blatter hochgelobten Anti-Diskriminierungs-Task-Force und Mitglied des inneren Machtzirkels der FIFA. Das US-Justizministerium ordnete am Mittwoch eine Hausdurchsuchung am CONCACAF-Sitz in Miami an.

Strafverfahren rund um WM-Vergaben eingeleitet
Die Schweizer Behörden konnten bei Durchsuchungen im FIFA-Hauptquartier in Zürich zudem Festplatten und Dokumente sicherstellen. Die Bundesanwaltschaft hat rund um die Vergaben der Fussball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 ein Strafverfahren eingeleitet.

Die Staatsanwaltschaft gehe dem Verdacht nach, dass es bei der Vergabe an Russland und Katar zu Unregelmäßigkeiten und unrechtmäßigen Bereicherungen gekommen sei. Zudem habe man Hinweise auf Geldwäsche über Banken in der Schweiz erhalten. Die Ermittlungen würden nicht gegen konkrete Personen laufen, hieß es weiter. Bereits zuvor hatte die Schweizer Polizei auf Antrag der USA in Zürich sechs FIFA-Funktionäre festgenommen. Einen Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen gibt es laut Schweizer Behörden nicht.

"Blatter nicht involviert, Kongress und Wahl finden wie geplant statt"
In einer Pressekonferenz am Mittwoch stellte sich FIFA-Kommunikationschef Walter de Gregorio den Journalisten und teilte mit, dass die Wahl zum FIFA-Präsidenten ungeachtet der Festnahmen in Zürich wie geplant am Freitag stattfinde. Auch der Kongress werde wie vorgesehen am Donnerstag und Freitag abgehalten. "Das Eine habe mit dem Anderen nichts zu tun." Die Namen der festgenommenen Funktionäre wollte de Gregorio nicht kommentieren und betonte nur, dass Blatter nicht involviert sei.

FIFA versucht zu beruhigen
Konsequenzen, wie etwa eine Suspendierung gegen die verdächtigten Funktionäre, gebe es keine. "Es gelte die Unschuldsvermutung", so der Sprecher. "Wir sind in engem Kontakt mit der Bundesanwaltschaft. Am Abend werden wir ein neues Update liefern, aus Sicht der FIFA. Wir wissen auch nicht mehr als das, was man von der Pressemitteilung weiß", so de Gregorio. Was die WM 2018 und 2022 betrifft, sagte er, dass diese "wie geplant in Russland und Katar stattfinden werden. Ich fange nicht an zu spekulieren."

"Blatter wird nicht um Büro rumtanzen"
Weiters betonte der Kommunikationschef: "In diesem Fall ist die FIFA die geschädigte Partei. Das Timing ist nicht das beste, klar. Aber wir begrüßen die Entwicklungen und wollen mit den Behörden kooperieren." Auf die Frage, wie es Joseph Blatter im Moment gehe, antwortete de Gregorio: "Er ist auf den Kongress fokussiert. Der Stress-Faktor ist heute höher als gestern. Er wird sicher nicht in seinem Büro rumtanzen. Er ist ruhig, verfolgt, was passiert und kooperiert mit allen. Er ist heute nicht ein glücklicher Mensch. Aber er weiß, das sind die Konsequenzen, die wir selber initiiert haben." Forderungen nach einem Blatter-Rücktritt wies der FIFA-Sprecher entschieden zurück. "Warum soll er zurücktreten? Er wird nicht verdächtigt."

"Trauriger Tag für den Fußball"
Der 79-jährige Blatter geht als großer Favorit in die Wahl für eine fünfte Amtszeit beim FIFA-Kongress am Freitag. Einziger Gegenkandidat ist Prinz Ali bin al-Hussein aus Jordanien. Dieser hat nach den Festnahmen der FIFA-Funktionäre von einem "traurigen Tag für den Fußball" gesprochen. Mit Verweis auf den weiteren Verlauf der Untersuchungen und Maßnahmen sei es aber nicht angemessen, "zum jetzigen Zeitpunkt darüber hinaus" Kommentare abzugeben, hieß es in einer Mitteilung des jordanischen Verbandschefs.

"Geschockt, wie es in der FIFA zugeht!"
Ein Polizeibeamter wird zitiert: "Es scheint, als wäre Korruption institutionalisiert bei der FIFA! Wir sind geschockt, wie lange das schon vor sich geht und wie es fast jeden Teil der FIFA betrifft. Es wirkt, als würde es jedes Element des Verbandes durchdringen und wäre es die Art, wie sie Geschäfte machen."

UEFA-Reaktion: "Erstaunt und traurig"
Die Europäische Fußball-Union (UEFA) hat "erstaunt und traurig" auf die Ermittlungen und Festnahmen im Zuge des neuen Skandals um den Weltverband FIFA reagiert. Man warte "jetzt auf detaillierte Informationen", teilte der Kontinentalverband am Mittwoch mit. Ein informelles Treffen des UEFA-Exekutivkomitees sollte am Nachmittag vor dem Europa-League-Finale in Warschau stattfinden. "Weitere Stellungnahmen hierzu werden zu gegebener Zeit verlautbart", hieß es.

Schweizer Behörden sperren Bankkonten
Im Verfahren um Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der Fußballweltmeisterschaften 2018 und 2022 haben die Schweizer Behörden Konten bei mehreren Banken sperren lassen. Es handle sich um Konten, über die Bestechungsgelder geflossen sein sollen, teilte das Bundesamt für Justiz am Mittwoch mit.

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(Bild: KMM)



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