Die Sky-Doku „Rudi Völler – Es gibt nur einen“ (ab sofort abrufbar) gibt detaillierte Einblicke in das Leben und die Karriere einer der beliebtesten Deutschen der Fußballhistorie. Für das Projekt ließ der 65-Jährige die Verantwortlichen sogar tief in sein Privatleben blicken – der „Krone“ stand er im ausführlichen Interview Rede und Antwort.
„Krone“: Herr Völler, in Ihrer brandneuen Sky-Dokumentation „Rudi Völler – Es gibt nur einen“ wird noch einmal Ihr Leben aufgerollt und auf einige Aspekte besonders eingegangen. Als einer der beliebtesten Sportler Deutschlands – was bedeuten Ihnen Popularität und Beliebtheit in der Öffentlichkeit?
Rudi Völler: Meine Lieblingsantwort darauf ist immer: Es gibt viel Schlimmeres, als gemocht zu werden. Ich habe einfach immer versucht, so zu sein, wie ich eben bin. Egal ob als Sportler, als Trainer, als Sportdirektor oder als Geschäftsführer. Sie kennen das sicher, wenn Menschen plötzlich mit dem Erfolg die Bodenhaftung verlieren?
Natürlich, damit wurden schon viele Menschen konfrontiert.
Das habe ich immer versucht, zu verhindern. Wenn ich mal einen Schiedsrichter unangemessen kritisiert habe, dann habe ich eine ordnungsgemäß verhängte Geldstrafe an den DFB überwiesen und dann ging es wieder weiter. Das gefällt den Menschen wahrscheinlich aber auch an mir, dass ich Fehler mache. Ecken und Kanten habe. Kein Mensch ist vollkommen. Aber ich bin in der Lage, Fehler einzugestehen, wenn ich sie mache.
Ich glaube, die Authentizität ist auch ein wichtiger Teil von Beliebtheit. Der aktuelle deutsche Bundestrainer Julian Nagelsmann sagt in der Doku, Sie wären ein greifbarer Mensch, der mit allen auf Augenhöhe ist. War das auch mal anders? Gab es die Gefahr, übertriebene Höhenflüge zu erleiden?
Ich denke nicht, was aber sicher auch an den vielen tollen Menschen um mich herum liegt, die mich erden. Meine Frau Sabrina war da immer sehr rigoros. Sie ist Italienerin und entsprechend meinungsstark. Wenn sie das Gefühl hatte, dass ich geneigt war, irgendwo einmal abzuheben, hat sie mir ganz klar die Meinung gesagt. So gehört sich das ja auch.
Man muss diese Kritik aber auch annehmen können. Der Fußball hat Ihnen Geld und Ruhm, eine schöne Karriere, Ihre Ehefrau und viele Eindrücke auf der ganzen Welt beschert. Wofür danken Sie dem Sport am Ende am meisten?
Ich bin sehr demütig und dankbar, dass ich so viel Glück in meinem Leben hatte und der liebe Gott mir ein gewisses Talent in die Wiege gelegt hat. Wer kann schon behaupten, dass er aus seinem Hobby einen Beruf gemacht hat? Das ist den wenigsten möglich, und ich konnte damit auch noch Geld verdienen, mir ein Leben aufbauen und nach der aktiven Karriere in verschiedenen Funktionen weiter in diesem Geschäft bleiben. Was ich all den jungen Profis deswegen seit Jahr und Tag predigte, und zwar in jeder Funktion, in der ich mich irgendwann einmal befand: Hört ja nicht zu früh mit eurer Fußballkarriere auf! Das sage ich tatsächlich auch heute noch.
Der Fußball hat sich über die 40, 45 Jahre, als Sie mit Ihrer aktiven Karriere begonnen haben, fundamental verändert – auch hinter den Kulissen, wo Sie heute tätig sind. Fühlen Sie sich im Fußballgeschäft noch immer so wohl wie in Ihrer aktiven Zeit als Spieler?
Ich fühle mich anders wohl. Ich bin nicht derjenige, der sagt „früher war alles besser“. Die eigentliche Aussage ist: „Früher war nicht alles schlecht“. Es gab es keine Smartphones, kein Internet und keine Social-Media-Portale. Man war nicht immer erreichbar und sichtbar. In die heutige Welt musste auch ich erst mit der Zeit hineinwachsen. Jetzt ist auch viel mehr Geld im Umlauf, was einerseits an den Fernsehrechten liegt, andererseits an den vielen reichen Klubbesitzern aus aller Welt, die unglaubliche Summen in ihre Klubs stecken. Das Geld war aber auch schon früher ein Thema, nur in anderen Dimensionen. Natürlich gibt es schon Dinge von früher, die ich heute noch bevorzugen würde. Da bin ich „old school“. Ich treffe mich mit Journalisten zum Beispiel sehr gerne persönlich auf einen Kaffee zum Gespräch. Das kriegt eine ganz andere Dynamik, als wenn man miteinander telefoniert oder eine virtuelle Sitzung abhält.
Man sieht sich, man deutet, man versteht anders.
Meine Frau tickt da auch wie ich. Wir bevorzugen das Persönliche. Aber natürlich versuche ich immer, dazuzulernen und up to date zu bleiben. Ich habe insgesamt fünf Kinder, die allesamt erwachsen sind, mir aber immer wieder zeigen, was es am iPad oder sonst wo Neues gibt.
Dass Sie Ihre Wohnung, Ihre Frau und auch all Ihre Kinder in der Doku präsentieren, ist ein für viele sicher unerwarteter Aspekt. Was gab den Ausschlag dafür, das Sky-Team auch tief ins Private zu lassen?
Dazu muss ich etwas ausholen. Es gab früher schon oft Anfragen für Dokus oder Biografien und ich habe immer alles abgelehnt, weil ich das nie so richtig wollte. Ich bin ja sowieso schon so viel in der Öffentlichkeit. Dann kam die Anfrage von Sky und ich dachte, das passt jetzt, auch mit der Einbeziehung meiner Familie. Sie hat das auch mitgetragen, sie gehört ja unweigerlich zu mir. Beruflich war ich zu dem Zeitpunkt ein Teil einer Taskforce des DFB und wollte nach der letzten Europameisterschaft 2024 eigentlich aufhören. Dann kam Julian Nagelsmann und außerdem sind mir beim Verband so viele Leute wirklich ans Herz gewachsen. Da habe ich jetzt als Sportdirektor inzwischen schon zweimal verlängert.
Das klingt aber nach Stress.
Ich habe eigentlich die Doku nur zugesagt, weil ich - so war es vorgesehen - als Frührentner genug Zeit dafür gehabt hätte. Ich war vorher Aufsichtsrat bei Bayer 04 Leverkusen, da hätte ich noch ausreichende Kapazitäten für das Sky-Projekt gehabt. Dass es dann im DFB nochmal so zur Sache geht für mich, war nie geplant.
Bei vielen Entscheidungen in Ihrer Karriere auf und abseits des Feldes wirken Sie in Ihrer Entscheidungsfreude einerseits sehr spontan. Andererseits scheinen Sie ein ausgeprägtes „Helfer-Syndrom“ zu haben und sagen gerne zu, wenn der Hut brennt?
Ich bin da, wenn Hilfe benötigt wird. Gerade durchleben wir nach der guten Europameisterschaft wieder eine schwierigere Phase mit der Nationalmannschaft. In Deutschland gibt es Kritiker, die schnell ein bisschen direkter und härter sind, wenn etwas nicht perfekt läuft. Das ist für mich aber okay so. Wenn sie uns im Erfolgsfall feiern, ist es nur gerecht, dass man sich gegenteilig auch mit der Kritik auseinandersetzen muss.
Gab es während des Drehs der Doku auch Momente, wo Sie sich selbst neu kennengelernt haben?
Eigentlich nicht. Man sieht schon, wie ich bin. Zum Beispiel kann ich in der Küche unfallfrei einen wirklich köstlichen Espresso machen und den Tisch decken – sonst ist es überschaubar. Heute machen schon die Kinder das Mittagessen, da brauche ich nirgends mehr mitzureden. Wir haben die Doku in verschiedenen Schüben über etwa eineinhalb Jahre gedreht. Natürlich hat das schöne Erinnerungen in mir geweckt. Als wir zum Beispiel in meiner Geburtsstadt Hanau waren und der kleine Junge im Hinterhof Ball spielte – das hat mich total an mich selbst erinnert. Das erinnert mich wieder daran, was für ein alter Sack ich eigentlich schon bin. Wenn ich darüber nachdenke, dass gewisse Dinge schon 50 oder 55 Jahre her sind, wird mir ganz anders.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Aber hält das Fußballgeschäft nicht jung und aktiv?
Natürlich. Allein schon deshalb, weil man mit jüngeren Menschen arbeitet und von denen auch viel dazulernt. Meine Frau lässt das in der Doku gut durchklingen, dass es nicht immer einfach ist. Fußball ist mein Leben, und das ist heute noch so.
Gibt es eigentlich einen oder mehrere aktuelle österreichische Teamspieler, die Sie als Sportdirektor gerne im DFB-Team verankern würden?
Das ist jetzt natürlich eine Fangfrage, weil ich mit einer Antwort sofort die Positionen entblößen würde, auf der es möglicherweise Bedarf gibt. (lacht) Ihr habt viele Top-Spieler und die meisten spielen bei uns in der deutschen Bundesliga. Ich schätze vor allem Konrad Laimer sehr. Er kann auf so gut wie jeder Position spielen, ackert über das ganze Feld und hat trotzdem ein richtig hohes Spielniveau. Die Niederlage damals gegen euch im Freundschaftsspiel hat auch unserem deutschen Team weitergeholfen, weil in puncto Taktik und Personal einiges verändert wurde.
Manchmal muss man sich auch rekalibrieren, um den nächsten Schritt vorwärts zu machen. Sie zum Beispiel haben ihre Fußballer- und Werbeverträge immer selbst ausgehandelt und hatten früher keinen Manager. Liegt das daran, dass Sie niemandem vertrauen?
Ich hatte anfangs sogar einen Manager, mit dem ich ein ganz gutes Verhältnis pflegte. Ich habe mich auch gerne mit anderen Dingen beschäftigt und kurz bevor ich von Werder Bremen zur AS Roma wechselte, habe ich mich von meinem damaligen Berater getrennt. Ich hatte damals einen guten Anwalt in Bremen und gute Vorstellungen davon, was ich kann und verdienen möchte. Ich hatte aber auch das Glück, dass für mich immer viele Anfragen eintrudelten. Manchmal sind Berater auch wichtig, damit überhaupt jemand etwas von dir will – das Problem hatte ich zum Glück nicht. Ich habe auch anderen Personen gerne über die Schulter geschaut und dazugelernt. Einfach über den Tellerrand blicken - das hat mir geholfen.
Dass bei Ihrer letzten Station als Spieler, bei Bayer 04 Leverkusen, dazu geführt, dass Präsident Rainer Calmund Sie direkt vom Feld ins Büro beorderte.
Ich habe ihm da als Sportdirektor ein bisschen über die Schulter geschaut und viel gelernt. 2000 bin ich dann Bundestrainer geworden, was nicht geplant war, wofür ich aber gebraucht wurde. Das war ein Job mit einer gewissen Macht und einer Riesenverantwortung, das hat mich noch mehr abgehärtet für Weiteres. Ich wollte nicht so schnell Sportdirektor in Leverkusen, und schon gar nicht wollte ich Bundestrainer für den DFB werden. Trainer generell nicht, das ist mir alles passiert nach meiner Karriere. Ich habe mit 36 aufgehört, aktiv Fußball zu spielen. Irgendwann kommst du nicht mehr so schwungvoll und leicht an den gegnerischen Verteidigern vorbei. Das will man lange nicht wahrhaben, ist aber ein unumstößlicher Fakt.
War es denn essenziell, nie „nein“ zu sagen? Es wirkt so, als wären Sie in jedes kalte Wasser gesprungen, das irgendwie des Weges kam …
Es gibt Situationen im Leben, da kannst du gar nicht nein sagen. Etwa als ich 2000 den fest eingeplanten Christoph Daum als Bundestrainer ersetzen musste. Kurz danach war ich sogar noch für sechs Wochen Trainer bei Bayer Leverkusen und habe eine Zeit lang beide Jobs parallel gemacht – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich habe einfach immer gerne probiert und mich an etwas herangewagt, aber es ging natürlich nicht immer gut. Nach der EM 2004, viel später als geplant, bin ich dann als DFB-Coach zurückgetreten, mit Tränen in den Augen. Mein größter Fehler war, dass ich mich direkt auf das nächste Abenteuer als Trainer der AS Roma einließ. Vereinsikone Francesco Totti rief mich an, ich hatte dort als Spieler großartige Jahre und lernte einst auch meine Frau in Rom kennen. Cesare Prandelli musste aufhören, weil seine Frau schwer erkrankt war und später leider auch verstarb. Also sprang ich ein, kam aber schnell drauf, dass es nach dem DFB-Aus viel zu schnell ging und ich noch gar nicht wieder die Kraft für einen solchen Job hatte. Alle haben sich bemüht und wollten mir helfen, aber ich habe nach etwas mehr als zwei Monaten den Hut genommen und ihnen einen italienischen Coach empfohlen. Den Job anzunehmen war ein Fehler, aber auf gewisse Weise auch keiner. Ich bin dann wieder nach Leverkusen zurück, wo ich irgendwie immer hingehörte.
Ein schönes Bonmot ist auch eine Geschichte von der WM 1990, wo Deutschland Weltmeister wurde. Nach dem Spiel gegen die Niederlande in Mailand waren Sie und Mannschaftskollege Lothar Matthäus gesperrt. Sie sind per Flieger zum FIFA-Gericht nach Rom und wollten dagegen berufen. Das endete in einem gemütlichen Essen mit ein paar Flaschen Wein. Was würde denn der Trainer Rudi Völler zu einem solchen Verhalten sagen?
Da können wir wieder gut früher mit heute vergleichen. Das wäre heute gar nicht mehr möglich, aber damals gab es kaum Kontrollmöglichkeiten. Keine Handys und nichts. Wir haben Teamchef Franz Beckenbauer angerufen und ihm einfach gesagt, wir hätten unseren Flieger verpasst und müssten auf den nächsten warten. Dann sind wir in eines meiner römischen Lieblingslokale gegangen, um schön zu essen und ein Fläschchen Wein zu genießen. Das war zwischen Achtel- und Viertelfinale und wir hatten nichts verpasst – auch keine Trainingssession. Aber natürlich haben wir geflunkert.
Da kommt auch gut das Thema Freundschaft durch. Ein wichtiger und schöner Freund war Ihnen auch immer der leider schon verstorbene Spieler Andreas Brehme. Wie wichtig waren solche Freundschaften mit Menschen, die ähnliches erleben und auch ihr ganzes Dasein in der Blase Fußball verbringen?
Man braucht den persönlichen Austausch mit Menschen, bei dem auch mal knallhart die Wahrheit auf den Tisch kommt und nicht immer nur gestreichelt oder auf die Schulter geklopft wird. Den wichtigsten und engsten Austausch habe ich natürlich mit meiner Frau, aber wenn es am Ende des Tages wieder nur um den Fußball geht, spreche ich natürlich auch mit meinen Freunden darüber. Egal womit man beginnt oder worüber man redet – es endet auch im engsten Kreis ja doch immer alles dort. Beim Fußball.
Was sollen die Menschen denn von Rudi Völler mitnehmen, wenn sie sich diese Doku ansehen? Welches Bild würden Sie denn nach außen hin gerne verkörpern und reflektieren?
Ich hätte leicht verlangen können, dass ich in dieser Doku nur Dinge sehen möchte, wo ich gut aussehe oder jede Antwort toll rüberkommt – aber das ist nicht der Fall und es werden auch keine Dinge verschwiegen. Das sogenannte Skandalinterview mit Waldemar Hartmann, in dem es mir die Sicherungen schoss, oder der Streit mit dem holländischen Spieler Frank Rijkaard, der mich bei der WM 1990 auf dem Feld zweimal bespuckte, sind auch ein Teil der Doku und meines Lebens. Das habe ich auch lange mit meiner Familie besprochen: Wenn man schon so ein Projekt in die Hand nimmt, dann soll man es auch richtig machen. Die Leute müssen mich nicht alle mögen, aber sie können sehen, dass ich privat nicht anders bin als im Beruf und dass bei mir alles ehrlich und ungefiltert ist. Auf die oft zitierten und gezeigten Wutanfälle bin ich nicht stolz. Dass ich in der Küche nur Kaffee zubereiten kann, ist auch keine Heldentat – aber das bin ich, wie ich eben bin.
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