Die EU-Finanzminister haben wie erwartet die Eröffnung eines EU-Defizitverfahrens gegen Österreich beschlossen. Sie sind damit der Empfehlung der EU-Kommission gefolgt. Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) gibt sich betont gelassen. Er sehe keinen „Imageschaden“ für Österreich und auch keine Probleme auf den Finanzmärkten. Die „Krone“ beantwortet die wichtigsten Fragen.
1. Was ist ein Defizitverfahren und warum wurde ein solches gegen Österreich beschlossen?
Grund für das Defizitverfahren ist, dass Österreich mit seinem Budgetdefizit von 4,7 Prozent des BIP im vergangenen Jahr und den geplanten 4,5 Prozent heuer klar über der erlaubten Grenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung der sogenannten Maastricht-Kriterien der EU liegt. Die EU-Kommission hatte im Juni ein übermäßiges Defizit festgestellt und ein Verfahren empfohlen.
2. Warum greift die EU bei zu hoher Verschuldung bei einzelnen Staaten überhaupt ein?
Fehlentwicklungen in der Wirtschaftspolitik können Rückwirkungen auf alle Mitgliedstaaten haben. Um diese früh zu erkennen und gegensteuern zu können, gibt es das sogenannte Europäische Semester, einen Monitoring- und Koordinationsprozess. Die Regeln für diesen Prozess sind im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegt. Er ist der Rahmen für die Koordinierung und Überwachung der Finanzpolitik der einzelnen EU-Länder.
Im Vorjahr ist das Defizit in Rumänien auf über neun Prozent geschossen und da gibt die EU-Kommission jetzt erstmals einen neuen Korrekturpfad an Rumänien vor. Es steht auch erstmals im Raum, dass in der Folge Mittel aus dem EU-Budget für Rumänien suspendiert werden könnten, wenn es weiterhin keine Fortschritte gibt. Echte Sanktionen sind nämlich nur gegen Länder möglich, die auch den Euro als Währung haben. Das ist in Rumänien nicht der Fall und Sanktionen hat es tatsächlich auch noch nie gegeben.
3. Wann startet das Verfahren und wann wird es enden?
Die EU-Kommission gibt Defizitsündern einen Pfad vor, wie sie die Verschuldung in den nächsten Jahren abbauen können. Dieser Referenzpfad deckt einen Zeitraum von vier Jahren ab, der bei entsprechenden Reform- und Investitionsvorhaben auf Antrag eines Staats auf bis zu sieben Jahre verlängert werden kann. Österreich hat nun bis zum 15. Oktober 2025 Zeit, um aktiv zu werden und die notwendigen Maßnahmen vorzulegen. Danach muss Österreich mindestens alle sechs Monate über die Fortschritte bei der Umsetzung dieser Empfehlung berichten, und zwar im Frühjahr im Rahmen seines jährlichen Fortschrittsberichts und im Herbst im Entwurf des Haushaltsplans, bis das übermäßige Defizit korrigiert worden ist.
Geplant ist, dass Österreich im Jahr 2028 seine Neuverschuldung wieder so weit heruntergebracht hat, dass sie den EU-Regeln entspricht und dass dann im Jahr darauf das Defizitverfahren formal beendet werden kann.
4. Welche Vorteile hat ein Defizitverfahren?
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Holger Bonin haben sich für ein EU-Defizitverfahren gegen Österreich anstatt eines radikalen Sparkurses ausgesprochen, damit die Konjunktur nicht abgewürgt wird. Ein Defizitverfahren bietet in der Regel mehr Flexibilität, wenn außergewöhnliche wirtschaftliche oder finanzielle Krisen eintreten (z.B. Rezession, Naturkatastrophen oder unerwartete geopolitische Spannungen). In solchen Fällen erlaubt die EU, dass ein Land vorübergehend das Defizit überschreitet, um die Wirtschaft zu stabilisieren und notwendige Konjunkturmaßnahmen zu ergreifen. Eine strikte Begrenzung würde in solchen Zeiten zusätzliche Belastungen schaffen, da das Land möglicherweise gezwungen wäre, in einer Krise Kürzungen vorzunehmen oder Steuern zu erhöhen, was die Erholung verlangsamen könnte.
5. Gibt es Sanktionen, wenn Anforderungen nicht erfüllt werden?
Im Rahmen eines Defizitverfahrens können Sanktionen gegen einen Defizitsünder verhängt werden, wenn dieser die an ihn gestellten Anforderungen zur Korrektur eines übermäßigen Defizits nicht erfüllt. Bei Nichteinhaltung könnten am Ende Geldstrafen in Milliardenhöhe fällig werden – was allerdings noch nie vorkam.
Eine Troika wie damals in Griechenland wird in Österreich definitiv nicht anrücken. Natürlich ist es für das Bild nach außen nicht vorteilhaft, wenn ein Land wie Österreich, das auf EU-Ebene immer als besonders sparsam aufgetreten ist, jetzt ein Verfahren bekommt wegen zu hoher Schulden. Allerdings ist das auch nicht das Einzige.
6. Ist Österreich der einzige EU-Defizitsünder?
Nein, ganz im Gegenteil. Die EU-Kommission leitete im Juni 2024 gegen sieben Länder ein EU-Defizitverfahren ein. Darunter waren auch Frankreich und Italien – immerhin die zweit- und drittgrößte Volkswirtschaft innerhalb der Europäischen Union. Neben Frankreich und Italien sind auch Belgien, Ungarn, Malta, Polen und die Slowakei betroffen. Auch gegen Rumänien ist ein Verfahren anhängig.
Für Österreich ist es das zweite EU-Defizitverfahren. Das Erste war im Zuge der Nachwehen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 eröffnet worden.
7. Wie ist die Haltung der Regierung?
Vor allem die ÖVP von Bundeskanzler Christian Stocker hat lange versucht, ein EU-Defizitverfahren zu vermeiden. Finanzminister Marterbauer betont immer wieder, dass er keine Angst vor dem Verfahren habe und dieses auch kein Damoklesschwert über Österreich sei. Das Verfahren „bedeutet im Wesentlichen, dass wir mit der Kommission einen Abbauplan vorlegen und laufend Informationen austauschen“, wie den Fiskalstrukturplan. Dass auf der politischen Ebene von einigen von „Besachwaltung“ gesprochen werde, habe „nichts mit der Realität zu tun“.
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