Analyse und Kommentar

Israels Kalkül: „Iran wird einen Fehler machen“

Außenpolitik
15.06.2025 22:00

Israels Angriff auf das iranische Atomprogramm markiert eine historische Zäsur. Teheran steht in Flammen, Tel Aviv unter Beschuss. Was als Präventivschlag begann, droht zum unkontrollierbaren Flächenbrand zu werden.

„Ich hab seit 36 Stunden nicht geschlafen“, sagt die IDF-Sprecherin Tammy Shur zur „Krone“. „Und wir sind erst am Anfang. Vielleicht beantwortet das Ihre Frage.“ Ein Krieg, vielleicht ein langer, hat begonnen. Die letzten Tage markieren eine Zäsur. Israelische Kampfflugzeuge trafen nicht nur militärische Infrastrukturen, sondern auch das Herzstück iranischer Selbstbehauptung: das Atomprogramm.

Rauchwolken über dem Iran
Rauchwolken über dem Iran(Bild: AFP/ATTA KENARE)

An die hundert Tote soll es im Iran gegeben haben. Das Verteidigungsministerium stand in Flammen, über dem Land steigt Rauch auf. Der Iran antwortete in mehreren Wellen, Hunderte Raketen wurden Richtung Israel abgeschossen – so auch gestern. Das Resultat ist blutig: zehn Tote, über 200 Verletzte. Ministerpräsident Benjamin Netanyjahu kündigte an, der Iran werde „einen sehr hohen Preis zahlen“. Präsident Jitzchak Herzog sprach sogar davon, „nicht nur Israel, sondern die Menschheit“ zu verteidigen.

Tammy Shur wählte ihre Worte mit Bedacht. „Unser Ziel ist nicht, den Iran zu vernichten“, sagte sie, „sondern ihm die Fähigkeit zu nehmen, eine Atomwaffe zu bauen.“ Ein Ziel, das militärisch anspruchsvoll und politisch brisant ist – und ein kontrolliertes Eskalationsmanagement verlangt. Doch schon jetzt scheint klar: Eine Rückkehr zum Status quo wird es nicht geben. Nicht nach den Bildern aus dem Zentrum Teherans, wo das Polizeihauptquartier brannte. Nicht nach den Hunderten Toten, unter ihnen ranghohe Offiziere und mutmaßliche Atomwissenschafter.

In einem Vorort von Tel Aviv wurde ein Wohnhaus getroffen.
In einem Vorort von Tel Aviv wurde ein Wohnhaus getroffen.(Bild: AFP/AHMAD GHARABLI)

In Israel ist man felsenfest überzeugt: „Der Iran wird einen Fehler machen.“ Das sagt die frühere Knesset-Abgeordnete und Nahost-Expertin Ruth Wasserman Lande im „Krone“-Gespräch. Das Regime in Teheran steht unter Druck und wird antworten müssen – vielleicht härter, als ihm selbst guttut. Zugleich mahnt Wasserman Lande, den Blick nicht nur auf den Iran zu richten. Durch dessen Schwäche gerät das Gleichgewicht islamischer Strömungen in der Region ins Rutschen. Während die schiitische Achse geschwächt scheint, erstarkt andernorts die sunnitische. „Die Achse des Iran ist geschwächt. Aber das bedeutet auch, dass sunnitische Kräfte wie die Türkei oder Katar stärker werden. Das ist nicht ohne Risiko.“

Ob das so ist – oder ob sich hier ein Krieg mit unkontrollierbarer Eigendynamik entfaltet – wird sich zeigen.

„Krone“-Kommentar
Selbstschutz ist das oberste Ziel

Sie haben Angst. Die Generäle und Geheimdienstchefs, die letzten tragenden Säulen eines Systems, das durch Israels Operation „Rising Lion“ ins Wanken geraten ist. Die Angriffe auf die Nuklearzentren und weitere strategische Ziele offenbaren nicht nur die Überlegenheit Israels – sie treffen die Islamische Republik im Nervenzentrum ihres Selbstverständnisses.

Die iranische Antwort? Die Eskalation versprechend, doch dann kontrolliert: ein paar Raketen, einige Drohnen. Genug, um das Gesicht zu wahren. Diese Reaktion folgt einer bewährten Logik: Selbstschutz vor Ideologie. Seit Jahren geht das Regime bei Vergeltung nur so weit, dass dabei die eigene politische Ordnung nicht aufs Spiel gesetzt wird.

Ein offener Krieg? Zu gefährlich. Ein schneller Griff zur Atombombe? Technisch denkbar, politisch selbstmörderisch. Denn das Regime weiß: Ein umfassender Konflikt könnte jene Machtstrukturen zerstören, die es trotz innerer Zerrissenheit und bröckelnder Legitimität noch zusammenhalten.

Der wahre Feind aus Sicht Teherans ist nicht Israel, sondern der Kontrollverlust. Das Ziel ist nicht der Sieg, sondern das Überleben. Die größte Waffe des Regimes ist nicht die Rakete, sondern der Reflex des persischen Nationalismus, der selbst einem angeschlagenen System Rückhalt verschaffen kann. Und genau darin liegt die paradoxe Gefahr für Israel: Jeder präzise Schlag kann das Regime schwächen – oder es stabilisieren.

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