album „Pink Elephant“

Arcade Fire: Eine lauwarme Wiedergutmachungstour

Musik
14.05.2025 09:00

Vor drei Jahren stellte sich nach einem Missbrauchsskandal von Frontmann Win Butler bei den kanadischen Indie-Heroen Arcade Fire die Existenzfrage. Die schlimmsten Zeiten hat man durchtaucht, es bleibt ein schaler Beigeschmack. Das neue Album „Pink Elephant“ tritt zudem musikalisch auf der Stelle.

(Bild: kmm)

Viele Bands und Künstler sehnen sich gewiss zurück nach der alten Zeit, als noch nicht jedes „Schriftl ein Gift“ war und man mit menschenunwürdigem Rockstar-Verhalten nicht nur durchkam, sondern auch noch lautstark abgefeiert wurde. Sich in sexueller Hinsicht auszustellen und dabei das Machtverhalten des Stars für sich zu reklamieren, geht sich aber längst nicht mehr aus. Wenn man dann auch noch ein als sanftmütig geltender Indie-Musiker ist und kein mit einer Überdosis Testosteron ausgestatteter Stromgitarren-Ruderer, dann wirkt sich ein solches Fehlverhalten noch viel fataler aus, als es ohnehin schon der Fall wäre. Für Arcade-Fire-Frontmann Win Butler brach vor drei Jahren eine Welt zusammen, als Vorwürfe der sexuellen Belästigung aufkamen und die potenziellen Opfer noch dazu in einer Altersstufe am Rande der Legalität waren.

Anhaltender Wirbel
Mithilfe einer Krisenberaterin stritt Butler die Vorwürfe anfangs ab. Als dann Indie-Musikerin Feist von einer gemeinsamen Tour absprang, zog sich die Schlinge noch enger um den Hals des Künstlers. Irgendwann gab es dann doch ein öffentliches Statement mit dem Suffix, all das wäre in einer für ihn beschissenen Zeit passiert. Régine Chassagne, Band-Mitbegründerin und zudem Butlers Ehefrau, klammerte sich einstweilen an das Gelöbnis „Bis dass der Tod uns scheidet“ und hielt ihrem umstrittenen Mann die Treue. Das taten auch die Bandmitglieder, Bruder Will stieg schon im Jahr davor aus – inwieweit das eventuell mit den Vorwürfen zusammenhängt, kann freilich nur vermutet werden. Bei all dem Trubel um Win Butlers unentschuldbare Ausritte ging das – allerdings nur mediokre - Studioalbum „We“ ziemlich unter. Auch live fand die Band abseits von wenigen Festival-Auftritten erst wieder im Vorjahr zurück in die Spur.

Irgendwo in der Zwischenwelt von digitaler Hinrichtung, öffentlicher Empörung und persönlicher Reflexion blieb bei den Kanadiern dann aber doch noch Zeit, um die eigenen Wunden zu lecken, sich nach all den Ereignissen ein kollektives Interview-Verbot aufzuerlegen und sich wieder auf neue Musik zu konzentrieren. In puncto Prestige und Popularität haben Arcade Fire schon länger schweren Aufholbedarf. Wir drehen die Uhr zur inhaltlichen Komplettierung ein wenig zurück: Mit dem Debütalbum „Funeral“ werden die Kanadier 2004 über Nacht zu den größten Indie-Popstars des Planeten. So frisch, ungezwungen, eingängig und doch schräg klang keine andere Band – an dieses Meisterwerk kam die Truppe selbst nie wieder ran. „Neon Bible“ (2007) und „The Suburbs“ (2010) scherten in Richtung Barock-Pop aus, „Reflektor“ (2013) animierte bereits zum Anlegen der Tanzschuhe und mit „Everything Now“ (2017) wurde ihnen die Disco-Kugel endgültig wichtiger als die lässige Trainingsjacke.

Sakrale Live-Shows
Schon damals rümpften gar nicht einmal so wenige Fans von früher die Nase, doch Arcade Fire hatten noch ein wichtiges Trumpfass im Ärmel: ihre ausufernden Liveshows. Dass die Discokugel auch über den Bühnen schwang, hat zum Gesamtsetting gut gepasst. Der Frontmann mit Cowboy-Hut, die Ehefrau mit Hippie-Gestus und eine instrumental fitte Band, die wie eine Horde wildgewordener Affen über die Bühne tollt. Von Messen wurde gesprochen, fast schon sakralen Gestus würde eine Arcade-Fire-Show versprühen. Fans von Nick Cave wissen, was gemeint ist. Den Missbrauchs-Stress hätten sie freilich nicht gebraucht, das neben Dance-Pop aber auch verstärkt ins Folkloristische ausufernde „We“ wird in der opulenten Diskografie der Nordamerikaner trotzdem keinen positiven Kultstatus erreichen. Nach all den Querelen durften mehrere interne Krisensitzungen somit zu einer Richtungs-Rückbesinnung geführt haben - nur so lässt sich das mittlerweile siebente Studioalbum „Pink Elephant“ erklären.

Wenn Krisen zur Verunsicherung führen, dann beruft man sich gerne auf schöne, unschuldige Tage und steckt sich selbst in einen Wattemantel der Nostalgie. So macht das auch Butler, der beim Opener „Open Your Heart Or Die Trying“ und dem darauffolgenden Titelsong von Alarm-artigen Synthie-Sounds über Chorgesang bis hin zu stampfenden Indie-Gypsy-Rhythmen all das auffährt, was man an der Band in den guten alten Tagen so geliebt hat. In einem Statement zum Album sprach Butler davon, dass das Erstellen und Zusammenfügen von musikalischen Ideen zu den schönsten und glücklichsten Dingen im Leben gehört – vor allem auch dann, wenn die Fans sich mit den Songs identifizieren können und man das Gefühl mit einer begeisterten Masse teilt. Die im eigenen Studio in New Orleans eingespielten Songs beinhalten alles, was Arcade Fire in den letzten 20 Jahren auf Platten gepresst haben. Das ganze Produkt wirkt wie eine übergreifende, zusammengefasste und ineinander verwobene Werkschau, die ihr Heil in der Unschuld der eigenen Historie sucht.

Es stellt sich die Relevanzfrage
Allzu oft plätschert die Musik dabei aber im lauschigen Bach der Durchschnittlichkeit dahin. Songtitel wie „Circle Of Trust“, „Year Of The Snake“ oder das Interlude „Beyond Salvation” wirken im Kontext der jüngeren Vergangenheit fast schon entlarvend ehrlich, befinden sich inhaltlich aber bewusst in einem nebulösen Schwebezustand, der sich dem Erlebten in seiner Direktheit möglichst entzieht. Songs wie „Ride Or Die“ oder „I Love Her Shadow“ wären dabei in den guten alten Tagen nicht mehr als bessere B-Seiten gewesen. Man würde sich öfter Mut zum Ausbruch wünschen, wie etwa im eruptiven „Alien Nation“ oder dem biblischen „Year Of The Snake“, wo man sich an die alten Tage schmiegt und auf Erlösung hofft. Ob es die für Win Butler gibt, entscheidet die Öffentlichkeit. Für Arcade Fire als Band ist doch lieber zum gesicherten Griff in den Plattenschrank geraten, wo man sich an den Großtaten der frühen Tage krallen kann. „Pink Elephant“ ist nicht viel mehr als ein lauwarmer Aufguss eines ausgekochten Tees. So bleibt es weiter den Liveshows vorbehalten, die weiterführende Relevanz der Kanadier aufrechtzuerhalten.

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