Souveränität als Ziel

Separatismus im vereinten Europa nimmt zu

Ausland
20.11.2012 10:50
Während sich Europa trotz aller Zwistigkeiten in der Euro-Krise stets zusammenrauft und sich dabei auch noch zunehmend verschränkt, peilen immer mehr Regionen offen die Abspaltung von ihren Mutterstaaten an. Vom spanischen Baskenland über Katalonien (Bild), Schottland und Flandern bis Korsika streben immer mehr Regionen in Europa nach Unabhängigkeit. Auch Südtirol und Norditalien kochen ihre eigenen Süppchen.

Die finanziellen Turbulenzen in manchen Teilen des alten Kontinents spielen dabei mitunter eine durchaus bedeutsame Rolle. In Westeuropa handelt es sich vorwiegend um Regionen, die wirtschaftlich besser dastehen als der Staat, dem sie angehören. Daraus resultiert oft das Gefühl, zu viel Geld an die jeweiligen Hauptstädte abliefern zu müssen.

Die separatistischen Bestrebungen könnten schwerwiegende Konsequenzen für die Europäische Union haben: Denn spalten sich Regionen tatsächlich ab, würden sie damit aus der EU austreten und müssten erneut um eine Mitgliedschaft ansuchen. Eine einvernehmliche Trennung ist daher von zentraler Bedeutung, sonst könnte der ehemalige Mutterstaat ein Veto gegen die Aufnahme seiner ehemaligen Region einlegen.

Im Folgenden die wichtigsten Brennpunkte:

Spanisches Baskenland: Im Oktober trugen die gemäßigte Baskische Nationalistenpartei und die separatistische Gruppierung EH Bildu bei den Regionalwahlen im spanischen Baskenland einen klaren Sieg davon. Zwar nehmen Vertreter der Nationalistenpartei das Wort "Unabhängigkeit" selbst nicht in den Mund, im Wahlkampf legten sie aber ihre Vision dar, das Baskenland zu einer "europäischen Nation" zu machen. Es wird erwartet, dass die 2,2 Millionen Bewohner bis 2015 über eine Loslösung von Spanien abstimmen sollen. Das Baskenland hebt selbst Steuern ein und führt nur geringe Teile an die Zentralregierung in Madrid ab. Die Terrororganisation ETA, die gewaltsam für ein unabhängiges Baskenland in Nordspanien und im Südwesten Frankreichs kämpft, hat im Oktober 2011 das Ende ihres bewaffneten Kampfs verkündet. Eine Entwaffnung steht allerdings noch aus.

Katalonien: Die gut sieben Millionen Einwohner zählende Region im Nordosten gilt als Wirtschaftsmotor Spaniens. Die katalanische Regierung hat zuletzt die seit Jahren schwelenden Abspaltungsdiskussionen vehement befeuert: Regierungschef Artur Mas, ein gemäßigter Nationalist, forderte im Sommer Madrid dazu auf, die Steuerabgaben für seine krisengeplagte Region zu senken. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy lehnte dies erwartungsgemäß ab. Daraufhin kündigte Mas ein Unabhängigkeitsreferendum nach den Regionalwahlen am 25. November an. Zuletzt lag die Zustimmung für eine Unabhängigkeit unter den 7,2 Millionen Katalanen in Umfragen stets über 50 Prozent.

Schottland: Die Schotten werden im Herbst 2014 über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Schottland ist seit 300 Jahren Teil des Vereinigten Königreichs. Die Volksabstimmung wurde von der Schottischen Nationalpartei vorangetrieben, die bei der Regionalwahl 2011 die meisten Stimmen bekommen hatte. Umfragen zufolge gibt es derzeit aber keine Mehrheit für eine Loslösung von London. Die Nationalpartei argumentiert, dass Milliardeneinnahmen aus der Verarbeitung des Nordseeöls, das vor einigen Jahren entdeckt wurde, in die britische Hauptstadt fließen würden. Außerdem will sie in Schottland den Euro einführen.

Nordirland: Der jahrzehntelange Konflikt zwischen pro-britischen Protestanten und den an Irland orientierten Katholiken, der etwa 3.500 Todesopfer forderte, wurde im Jahr 1998 mit dem "Karfreitags-Abkommen" grundsätzlich beigelegt. Einzelne kleine Gruppen halten aber weiterhin an sporadischen Gewaltaktionen fest, und die katholische Sinn Fein tritt immer noch für eine "Wiedervereinigung" mit Irland ein. Die Politik hingegen hat aufgehört, den Konflikt zu schüren. Der größte Scharfmacher auf protestantischer Seite, Pfarrer Ian Paisley, zog sich weitgehend zurück. Sein einstiger Widersacher Martin McGuinness von Sinn Fein reichte jüngst sogar in einem viel beachteten Akt der britischen Königin Elizabeth II. die Hand der Versöhnung.

Flandern: Der Streit zwischen den Bevölkerungsgruppen Belgiens schwelt bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Hintergrund der gegenwärtigen Zwistigkeiten ist nicht zuletzt der Umstand, dass es dem flämischen Teil des Landes wirtschaftlich besser geht als der französischsprachigen Wallonie. Im Juni 2010 avancierten die flämischen Nationalisten, die einen unabhängigen Staat Flandern anstreben, zur stärksten politischen Kraft in Belgien. Nach der Wahl verhinderte ein Sprachenstreit monatelang die Bildung einer Zentralregierung in Brüssel. Erst nach mehr als einem Jahr einigten sich die Parteien und verhinderten vorerst eine drohende Aufspaltung Belgiens.

Korsika: Seit gut 20 Jahren kämpfen Separatisten mit Gewalt für eine Unabhängigkeit der Mittelmeerinsel von Frankreich. Bei ihren Anschlägen haben sie oft Villen von Festlandfranzosen und Ausländern im Visier, aber auch Verwaltungsgebäude, Politiker und Beamte. Erst im vergangenen Juli bekannte sich ein Kommando der Untergrundorganisation Nationale Befreiungsfront Korsikas zu einem Anschlag auf das Anwesen eines Pariser Bankiers. Die Befreiungsfront hatte zuvor die Verantwortung für eine Serie von rund 20 Attentaten auf der Insel übernommen.

Südtirol: Südtirol galt lange Zeit als Musterbeispiel für geglückte regionale Autonomie, zuletzt wird der Ruf nach einer Loslösung von Rom aber wieder lauter. Verantwortlich dafür ist vor allem die Landtagsfraktion "Süd-Tiroler Freiheit", die zuletzt mit einer neuen "Selbstbestimmungs-Broschüre" für die Abspaltung von Italien mobilisierte. Anhand von wirtschaftlichen Daten soll in der Broschüre aufgezeigt werden, "dass die Zugehörigkeit zu Italien in jeder Hinsicht eine Belastung für Südtirol darstellt". Südtirol war bis Ende des Ersten Weltkriegs ein Teil der Habsburgermonarchie, wurde aber im Herbst 1919 im Vertrag von Saint-Germain dem Königreich Italien zugesprochen.

Padanien: Jahrelang forderte die aus verschiedenen Autonomiebewegungen entstandene Lega Nord unter ihrem Chef Umberto Bossi von Rom die Unabhängigkeit Padaniens. Der Name leitet sich von der italienischen Bezeichnung "pianura padana" für die Po-Ebene ab. Bossi zählt die Regionen Lombardei, Aosta, Piemont, Ligurien, Trient-Südtirol, Venetien, Friaul-Julisch Venetien und Emilia-Romagna mit insgesamt 25 Millionen Einwohnern zu Padanien. Von 1994 an gehörte die Lega Nord mehreren Regierungen von Ministerpräsident Silvio Berlusconi an. 1996 wurde sogar eine "Bundesrepublik Padanien" ausgerufen, allerdings ohne Folgen. Im Zuge von Vorwürfen im Zusammenhang mit Veruntreuung, Betrug, Geldwäsche und illegaler Parteienfinanzierung trat Bossi im April 2012 als Parteichef zurück. Die Rufe nach der Errichtung Padaniens werden von Separatisten immer wieder erneuert.

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