"Bizarre Situation"

AMS erwartet 2013 leichten Anstieg der Arbeitslosenquote

Österreich
11.11.2012 12:28
Das Arbeitsmarktservice stellt sich für das kommende Jahr auf mehr Arbeitslose ein. Für 2013 erwartet das AMS einen Anstieg der nationalen Arbeitslosenquote von 7,0 auf 7,3 Prozent. In Europa sei Österreich "das gelobte Land " mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit, gleichzeitig habe man aber "für österreichische Verhältnisse eine hohe Arbeitslosenquote", sagte AMS-Vorstand Johannes Kopf. "Es ist eine bizarre Situation."

Am stärksten wird der Anstieg der Arbeitslosigkeit erfahrungsgemäß Personen mit Pflichtschulausbildung oder gar keinem Abschluss treffen. "Das Problem ist, die Hälfte der Arbeitslosen hat nur höchstens einen Pflichtschulabschluss", erklärte Kopf. Kritik übte der AMS-Chef am heimischen Bildungssystem: "Das Schulsystem produziert zu viele Pflichtschulabgänger." Vor allem in die frühkindliche Förderung müsse "massiv investiert" werden, um gleiche Startchancen zu ermöglichen.

Die Arbeitslosenquote bei Pflichtschulabgängern ist seit 1990 von 9,5 auf 17,9 Prozent im Jahr 2011 geklettert. Bei Personen mit Lehrabschluss ist sie in diesem Zeitraum hingegen nur von 4,5 auf 5,7 Prozent gestiegen, mit Matura von 3,0 auf 3,7 und mit Hochschulabschluss von 2,1 auf 2,4 Prozent.

Die einfachen Jobs für Hilfsarbeiter sterben in der modernen Wirtschaft zunehmend aus, erläutert Kopf, umso wichtiger sei die Ausbildung über den Pflichtschulabschluss. Eine Ausbildungsverpflichtung bis 18 Jahre würde vom AMS daher begrüßt.

2013 nur schwache Impulse für Arbeitsmarkt
Für 2013 erwarten die heimischen Wirtschaftsforscher des Wifo und IHS ein moderates reales Wirtschaftswachstum von 1,0 bis 1,3 Prozent und damit schwache Impulse für den heimischen Arbeitsmarkt. Das AMS rechnet im kommenden Jahr mit einem Anstieg des Arbeitskräfteangebots um 30.500 Personen (+0,8 Prozent) auf 3,756 Millionen. Die Zahl der unselbstständig Beschäftigten soll 2013 hingegen nur um 19.700 (+0,6 Prozent) auf 3,43 Millionen steigen. 

Mehr Arbeitskräfte in Österreich gibt es laut Kopf vor allem wegen der "Ostöffnung, Verschärfungen des Pensionsrechts und mehr Saisonarbeitskräften aus Ostdeutschland. Auch das zwölfmonatige Kinderbetreuungsgeld für besser verdienende Mütter bringe wieder mehr Frauen schneller in den Arbeitsmarkt retour.

"Natürlich machen wir Fehler"
Das Arbeitsmarktservice steckt jährlich knapp eine Milliarde Euro in die Schulung von Arbeitslosen. Die weitläufige Kritik an den Bewerbungstrainings lässt der AMS-Chef nicht gelten. Rund 30 Prozent der Teilnehmer an Bewerbungstrainings würden nach drei Monaten einen Job finden und rund 50 Prozent bei Qualifizierungen. "Natürlich machen wir Fehler, gibt es schlechte Trainer und Kurse." 

Im Schnitt sei eine Qualifizierungsmaßnahme fünfmal so teuer wie ein Bewerbungstraining. Große Hoffnungen setzt Kopf auf eine Modularisierung der Facharbeiterausbildung. Bei manchen Personen gelinge die Integration in den Arbeitsmarkt "nicht nachhaltig". Diese könnten etappenweise durch Module einen Lehrabschluss nachholen. Aus praktischen Gründen sei ein Modulangebot in großen Städten leichter.

Bildungskarenz "verantwortungsvoll genutzt"
Kopf verteidigt zudem die Bildungskarenz: Diese Maßnahme werden in hohem Maße "verantwortungsvoll" genutzt und für Weiterbildungsmaßnahmen eingesetzt, dies habe eine Evaluierung durch das IHS ergeben. Die Bildungskarenz findet in Österreich immer mehr Zuspruch. Derzeit kostet sie dem AMS mehr als 70 Millionen Euro pro Jahr. Kritiker bemängeln, dass nicht kontrolliert werde, ob die Weiterbildungsmaßnahme auch tatsächlich besucht bzw. mit Erfolg abgeschlossen werde.

In Einzelfällen würde die Bildungskarenz vielleicht als "Sabbatical" für eine individuelle Pause - etwa für eine Weltreise - verwendet, räumt Kopf ein. Auch als "individueller Sozialplan" werde die Bildungskarenz in manchen Fällen genutzt, wenn jemandem vor der Kündigung noch eine Weiterbildung ermöglicht werde. Damit kann der AMS-Chef leben: "Das halte ich nicht für verwerflich, wenn eine sinnvolle Weiterbildungsmaßnahme gesetzt wird."

Geringqualifizierte sollen Bildungsteilzeit nutzen
Das AMS sei daran interessiert, dass die Bildungskarenz stärker durch Geringqualifizierte genutzt wird. Die neue Möglichkeit der Bildungsteilzeit könnte dazu beitragen, meinte Kopf. Die nun von der Regierung vorgeschlagene Bildungsteilzeit wäre dafür eine Chance, denn durch die Teilzeitarbeit und den Entgeltausgleich durch Weiterbildungsgeld wäre in Folge der geringeren Besteuerung der Einkommensausfall für Geringverdiener gar nicht so groß. So könnten Hilfsarbeiter durch die Bildungsteilzeit eine Intensiv-Facharbeiterausbildung machen.

Trotz steigender Arbeitslosigkeit gebe es in Österreich in bestimmten Berufen Facharbeitermangel und in bestimmten Regionen Arbeitskräftemangel, insbesondere im Tourismus. Der AMS-Chef verteidigt die im Ausland durchgeführten Jobbörsen: Arbeitskräfte aus Ostdeutschland, Spanien oder Griechenland könnten in Saisonberufen und in Tourismusregionen mit großer Nachfrage eingesetzt werden. Arbeitslosen Österreichern werde dadurch kein Job weggenommen, versichert Kopf.

Jugendarbeitslosigkeit "ein europäisches Problem"
Die hohe Arbeitslosigkeit in Griechenland, Spanien, Portugal und besonders die hohe Jugendarbeitslosigkeit bereiten dem AMS-Chef große Sorgen. Wenn ein Viertel der Bevölkerung bzw. mehr als die Hälfte der jungen Menschen arbeitslos sei, habe das schwere Folgen nicht nur für die Krisenländer: "Das ist ein europäisches Problem." Die Radikalisierung der enttäuschten Arbeitslosen könne die Demokratie gefährden, ganzen Regionen drohe Verarmung. Je länger die Arbeitslosigkeit dauere, desto schwerer sei eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.

Als einzig mögliches Gegenmittel sieht Kopf Wirtschaftsförderung und Strukturveränderung, hin zu Flexibilität gekoppelt mit sozialer Sicherheit. Die in Griechenland durchgeführten Arbeitsmarktreformen sieht Kopf skeptisch. "Der Abbau im Arbeitsrecht geht zu weit." Hier würden soziale Errungenschaften weit zurückgedreht, wenn etwa unter 30-Jährige zu Löhnen 20 Prozent unter dem Kollektivvertrag in einer zweijährigen Probezeit ohne Anrecht auf Arbeitslosengeld beschäftigt werden könnten. Die einzige Lösung sieht Kopf in weiteren Finanzhilfen: "Wir müssen weiter Geld schicken."

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