„Dann kam Corona ...“

Großmutter starb: Enkel drohten zehn Jahre Haft

Gericht
12.01.2024 14:29

Zehn Jahre Haft drohten einem gebürtigen Niederösterreicher im Landesgericht Wien. Er habe seine Oma vernachlässigt, bis sie starb. Obwohl eigentlich seine Zwillingsschwester bei der 94-Jährigen wohnte, sie betreute - vor dem Richter nimmt der Zuckerbäcker aber alleine Platz ...

Im gepflegten blauen Anzug, mit zitternden Händen und brüchiger Stimme sitzt ein 47-Jähriger vor Richter Matthias Funk. Er ist Konditor, verheiratet, hatte noch nie Probleme mit dem Gesetz. Umso verständlicher ist jetzt sein nervöses Auftreten im Wiener Landesgericht. Denn letztendlich drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft bei einer anklagekonformen Verurteilung.

Angst vor Ansteckung in der Pandemie
Die Anklage wirft dem Zuckerbäcker vor, er habe seine wehrlose Großmutter vernachlässigt - sodass sie starb. Die 94-Jährige lebte zusammen mit der Zwillingsschwester des Angeklagten in einer Wohnung in Wien. Und das bereits 27 Jahre lang: „Sie haben gemeinsam aufeinander geschaut“, weiß Verteidiger Alfred Krenn. Sein Mandant brachte den beiden Frauen regelmäßig Einkäufe, besuchte sie immer wieder. „Und dann ist Corona gekommen. Die ältere Dame hat sich bewusst dazu entschieden, sich nicht impfen zu lassen“, erklärt der Anwalt. Der persönliche Kontakt wurde also weniger - aus Angst vor einer Ansteckung.

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Ich bin ins Wohnzimmer gegangen und hab mir gedacht, wo ist meine Großmutter? Da hab ich sie am Boden liegen sehen.

47-jähriger Angeklagter im Landesgericht Wien

Am 31. Oktober 2022 dann die böse Überraschung: „Ich bin ins Wohnzimmer gegangen und hab mir gedacht, wo ist meine Großmutter? Da hab ich sie am Boden liegen sehen“, erinnert sich der 47-Jährige. Im Krankenhaus starb die alte Frau. Sie hatte bereits entzündete Auflagegeschwüre, müsste dort mehrere Tage gelegen sein. Obwohl sie noch zwei Tage zuvor mit ihrem Enkel telefoniert hatte, ihm versicherte, es sei alles in Ordnung.

Und die Zwillingsschwester des Angeklagten, die ja schließlich mit der Pensionistin zusammenwohnte? Erst auf Anweisung ihres Bruders rief sie die Rettung. Mit dem strafrechtlichen Vorwurf sieht sich aber trotzdem der Konditor und nicht die gleichaltrige Frau konfrontiert.

Zwillingsschwester kann nicht zur Verantwortung gezogen werden
Verwunderlich für Prozessbeobachter, war sie doch diejenige, die für ihre Großmutter vordergründig gesorgt hatte. Gerichtspsychiaterin Sigrun Roßmanith klärt auf: Durch einen Sauerstoffmangel bei der Geburt und eine dadurch entstandene Hirnschädigung weist die Frau eine schwere Verhaltens- und Persönlichkeitsstörung auf. Diese äußere sich durch sehr undifferenziertes Denken, eine leichte Intelligenzminderung und die Unfähigkeit adäquates Verhalten an den Tag zu legen. Die Gutachterin ist überzeugt, sie hätte nach dem Sturz der Großmutter deswegen nicht angemessen reagieren können - die 47-Jährige sei nicht zurechnungsfähig.

§ 92 StGB Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen

(1) Wer einem anderen, der seiner Fürsorge oder Obhut untersteht und der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlos ist, körperliche oder seelische Qualen zufügt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer seine Verpflichtung zur Fürsorge oder Obhut einem solchen Menschen gegenüber gröblich vernachlässigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, dessen Gesundheit oder dessen körperliche oder geistige Entwicklung beträchtlich schädigt.

(3) Hat die Tat eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85) zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, hat sie den Tod des Geschädigten zur Folge, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

Erleichterung im Wiener Landl
Also blieb nur noch der Bruder, der eine Sorgepflicht gegenüber der 94-Jährigen hatte. Denn laut Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofs muss sich um Verwandte, zu denen ein Naheverhältnis besteht, gekümmert werden. Ein Jahr nach dem Vorfall klagte die Staatsanwaltschaft also den Konditor an. Ein Schreiben, das für den gebürtigen Niederösterreicher aus dem Nichts kam und ihn schon seit Monaten beschäftigt hatte. 

Von dieser Anklage blieb aber nach kurzer Beratung des Schöffensenats nichts mehr übrig: „Der Tatbestand ist im Grunde nicht erfüllt. Der Angeklagte hat sich um seine Großmutter gekümmert.“ Auch der Staatsanwalt nimmt die Entscheidung des Senats an - der Freispruch ist rechtskräftig. Die Erleichterung steht dem 47-Jährigen ins Gesicht geschrieben, als er mit Ehefrau und Schwiegermutter den Verhandlungssaal im Landesgericht Wien verlässt.

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