Unter dem Banner Miblu erzeugt die Wiener Schmuckdesignerin und Kunsthändlerin Miriam Orth-Blau sphärische Elektronik, die sich in unterschiedliche Substile aufsplittert und auch zu einem visuellen Highlight gerät. Sie hat lange an ihrem Debütalbum „Solitaire“ gefeilt, das 16 Songs stark und sehr inhaltsreich ausgefallen ist. Im „Krone“-Interview erzählt die 33-Jährige vom langen Arbeitsprozess, wie sich ihre beruflichen Welten verbinden und wieso Trauer und Freude im Leben gleichermaßen wichtig sind.
„Krone“: Miriam, dein Debütalbum „Solitaire“ hätte schon vor einiger Zeit erscheinen sollen. Warum hat es schlussendlich solange damit gedauert?
Miblu: Die Pandemie war schon eine kräftige Bremse, aber sie war insofern auch eine gute Zeit, um mich noch einmal richtig in die Musik hineinzustürzen und mir zu überlegen, welche ich Songs ich wähle. Ich konnte die Zeit gut nutzen, um das Album fertigzustellen. Es hätte 2022 rauskommen sollen, aber mir war klar, dass ich eine tolle Show dazu spielen wollte. Miblu lebt auch von der Live-Präsenz, aber das war in der Corona-Zeit noch zu unsicher. Ich habe schon noch einiges verändert, mir aber auch Platz und Zeit gegeben, alles so zu machen, sodass ich zu 100 Prozent zufrieden bin.
War das Album 2022 schon fertig? Kamen dann noch Songs und neue Ideen dazu?
Es war fertig, aber ohne Feinschliff. Wir hätten es schon veröffentlichen können, aber es würde ganz anders klingen als jetzt. Ich habe noch den einen oder anderen Song hinzugefügt, mich aufs Arrangement konzentriert und dann die letzten Meter genommen.
Gibt es Songs auf „Solitaire“, die du schon einige Jahre mit dir herumträgst?
„Adenaline“ oder „Footprints“ kamen schon als Singles raus und sind nun auch am Album. Ich hatte schon ein paar Veröffentlichungen, aber das Album hat noch einige Überraschungen parat.
16 Songs auf ein Album zu packen, das ist schon eine Ansage. War das nötig, um das Album als Projekt komplett darstellen zu können?
Genau, das ist gut auf den Punkt gebracht. Für mich ist das Album ein in sich geschlossener Kreislauf und würde eine Facette fehlen, wäre es nicht mehr komplett. Es ist lang, aber ich habe es so angelegt, dass man die Songs paarweise hören kann, wenn man möchte. Sie repräsentieren jeweils eine eigene Stimmungslage. Damit wollte ich zeigen, dass man die Schnelllebigkeit des Lebens einfangen und trotzdem ein großes Album machen kann. Man kann stellenweise dazu tanzen, genauer hinhören oder sich fallen lassen - je nach Song. Der Opener „Facettes“ etwa soll die Aufbruchsstimmung eines neuen Jahres einfangen, sodass man positiv vorangeht. Ich will aber nichts vorgeben, die Hörer sollen gerne selbst entscheiden und sich dabei ein gutes Gefühl abholen.
Schreibst du deine Songs auch in verschiedenen Stimmungslagen, die dann auf das fertige Produkt abfärben?
Natürlich macht die Stimmung etwas aus, aber ich nehme gerne den jeweiligen Moment her. Das Leben ist facettenreich und besteht nicht nur aus einer Stimmung - das ist ein wichtiges Thema des Albums. Ich nehme meine Stimmungen sicher in die Songs mit, aber es ist nicht so, dass ich nur dann schreibe, wenn ich traurig bin - ganz und gar nicht.
Deine 2019 erschienene EP „Too Close“ war wesentlich melancholischer und nachdenklicher. Hast du das Album stellenweise bewusst positiver und offener gestaltet?
Das Leben ist facettenreich und ich wollte all diese unterschiedlichen Themen und Farben lyrisch und musikalisch bestmöglich einfangen. Da dürfen positive Songs natürlich nicht fehlen. Tanzbarkeit, gute Laune und Selbstliebe waren sehr wichtige Stützpfeiler.
Ist „Solitaire“ im Endeffekt eine Reise durch dein eigenes Leben?
Durch mein eigenes Leben und auch durch Beobachtungen, aber es ist sehr viel autobiografisch und real. Die persönlichste Nummer ist „Josef“, die ich meinem leider verstorbenen Vater gewidmet habe. Das Thema habe ich bislang nicht öffentlich geteilt, aber mir war schon immer klar, dass ich einen Song für ihn schreiben möchte. Zum Leben gehört auch der Tod, das ist ein wichtiges Merkmal dieses Albums. Als ich den Beat von meinem Produzenten bekam, war das ein besonderer Moment, weil er mich sehr berührt hat. Es fühlte sich total natürlich und authentisch an und ich wusste, dass er so passt. Das ist echt und das bin ich - das ist „Josef“. Vom Gefühl her war schnell klar, dass ich diese Farbe meines Lebens schön getroffen habe. Ich lernte, mich auf das Bauchgefühl zu verlassen und dachte nicht mehr viel nach, weil es sich perfekt fügte. Der Song ist sehr intim, aber nicht übertrieben.
Hast du über die letzten Jahre und die von dir geschriebenen Songs zunehmend an Selbstsicherheit dazugewonnen?
Auf jeden Fall. Man entwickelt sich weiter und ist ständig im Fluss. Je älter man wird, umso mehr lernt man dazu. Das ist sehr angenehm zu beobachten. Wenn man sich erlaubt, ausreichend Zeit zu nehmen und vielleicht auch mal ein paar Schritte zurückzugehen, wird der Prozess noch viel schöner. Kunst braucht Zeit - gerade, wenn sie so persönlich ist und überall selbst involviert ist. Mich berührt es, wenn ich verstanden werde und meine Botschaften ankommen. Wenn ich jemandem Kraft oder ein gutes Gefühl geben kann. Die erste und die letzte Nummer, „Facettes“ und „Demons“, sind One-Takes. Teilweise wird man den Text nicht verstehen, weil ich in diesem Moment gar keinen Text hatte. Mir ging es um die Sprache der Musik und nicht darum, dass man den Song genau definiert. Das war spannend und ich habe dieses Gefühl, weil es so stimmig war, einfach so gelassen.
Eine schöne Imperfektion, die im elektronischen Segment, in dem du dich als Miblu hauptsächlich bewegst, eher selten ist …
Genau. Die Imperfektion hat ihre Authentizität und ihre Berechtigung. Niemand von uns ist perfekt, das will ich auch thematisieren. Raus aus der Schubladisierung.
Was war der Grund dafür, die Elektronik als herausstechendes Element zu wählen? Woher stammt die Liebe für diesen musikalischen Grundstil?
Am Wichtigsten sind bei mir die Musik und die Stimme. Die Stimme ist der rote Faden, der das Projekt zusammenhält. Ich habe mich getraut, sie als Instrument einzusetzen, etwa in Form von Chören. Manchmal habe ich fast Geigen imitiert und mich extrem damit gespielt.
Verschafft dir das Projekt Miblu eine besondere, eigene Ausdrucksform?
Ich bin ja auch Geschäftsfrau in der Wiener Innenstadt. Ich muss sehr viel vorarbeiten und bedenken, aber diese beiden Welten ergänzen sich schön. In der Musik ist das Leben im Moment viel stärker gegeben. Auf der Bühne zu stehen und zu performen ist etwas, was ich sonst in meinem Leben nicht habe. In beiden Berufen muss ich viel planen und durchtakten, aber auf der Bühne lebe ich ganz in der Gegenwart. Ich liebe es, es gibt für mich nichts Schöneres.
Du siehst die Musik also als Beruf? Nicht nur deine Hauptprofession im Kunsthandel?
Das stimmt. In erster Linie ist die Musik eine Leidenschaft und ich habe das große Privileg, sie zum Beruf machen zu dürfen. Ich habe jahrelang sehr hart dafür gearbeitet und ich bin sehr stolz darauf. Beide Berufe befruchten sich und gehen Hand in Hand. Die Musik als auch der Kunsthandel meiner Familie, mit dem ich aufwuchs. Unseren Betrieb gibt es seit 40 Jahren. Auf der anderen Seite habe ich schon als Dreijährige zu tanzen begonnen.
Und du brichst auch mit dem sehr oft widerlegten Klischee, Kreative würden bei Wirtschaftsthemen versagen.
(lacht) Es ist sehr wichtig, dass man auch diese Komponente beachtet. In der Musik stehe ich vorne, aber es sind so viele tolle, kreative Menschen involviert, ohne die das Album nie entstanden wäre. Das geht von meinem Produzenten über die Grafikdesigner bis hin zu den Videografen. Ich bin aber überzeugt, dass es sehr wichtig ist, wirtschaftlich gut aufgestellt zu sein und eine Ahnung zu haben. Man muss wissen, was man möchte und was nicht. Man muss auch nein sagen können und immer dazulernen. Ich habe mir ein Team zusammengesucht, das an mich und das Projekt glaubt und mir daher die beste Unterstützung gibt. Irgendwann kann man ein Projekt nicht mehr alleine schultern.
Du bist also auch eine Teamplayerin in der Musik, solange es nicht in deine persönlichen Texte geht?
Die Texte sind alle von mir, aber ich bin definitiv eine Teamplayerin. Das steht völlig außer Frage. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich von Anfang so viel Zuspruch und positive Unterstützung erfahren habe. Wir sind alle gemeinsam gewachsen und ich habe das Gefühl, dass ich jeden Schritt bewusst und schön miterlebt habe. Ich höre mir alles an, bin offen für jedes Gespräch und veränderte oft auch meine Entscheidungen.
Fasst der Albumtitel „Solitaire“ all die verschiedenen Bereiche und Facetten deines Lebens zusammen? Zudem hast du viele Wortspiele in deinen Songs …
Genau, er schließt die Klammer. „Foolmoon“ oder „Belle Air“ - schön, dass dir das auffällt. Ich mag Wortspiele sehr gerne. „Belle Air“ ist ein nicht sehr klassischer Break-Up-Song. Es geht um eine Beziehung, die nicht mehr funktioniert, aber man ist sich dankbar für die Zeit, die man hatte. Man wird gehen und sich vermissen, aber es ist auch gut so. „Foolmoon“ beschreibt den Vollmond und die Schlaflosigkeit, die damit einhergeht - das kennen viele von uns. Ich wollte dem Mond unbedingt einen Song widmen, weil er unser Leben so stark beeinflusst.
Ist es dir wichtig, vermeintlich schwere und schwer zugängliche Themen aufzubrechen und zugänglicher zu machen?
Definitiv ja. Das Traurig sein gehört zum Fröhlich sein dazu und ist in Ordnung. Ich bin prinzipiell eine Optimistin und finde es sehr schön, diesen Optimismus in eine Traurigkeit zu verknüpfen und damit etwas aufzumachen. Egal, wie schlimm die Zeiten sein mögen - es wird wieder.
Welche „Footprints“ möchtest du - angelehnt an den gleichnamigen Song - im Leben setzen?
Der erste große Footprint ist die Veröffentlichung von „Solitaire“. Es ist ein unglaublich schönes Gefühl ein Album in diese Welt zu schicken, das für immer bleibt. Wenn in 100 Jahren jemand dasitzt und darauf stößt, wäre das unglaublich. Diese Vorstellung finde ich wunderschön. Ich habe damit etwas Bleibendes in dieser Welt hinterlassen.
Der Song „Flawless“ hat einen sehr starken R&B-Touch, der zum Sound des Millenniums zurückgeht. Ist das ein Lied, dass Feminismus und Stärke propagiert? Gegen den öffentlichen Druck der ständigen Perfektion, dem Frauen oft unterliegen?
Das schwingt auf jeden Fall mit. Man ist gut so, wie man ist, das ist die wichtigste Botschaft dahinter. „Flawless“ bedeutet, ohne irgendeinen Fehler zu sein und das gibt es nicht. Jede Falte, jedes Muttermal und jedes Haar sind einzigartig. Der Song ist auch nicht wertend gemeint. Ich will diese Selbstsicherheit weitergeben und zum Nachdenken anregen.
Die jüngere Generation hat es schon ganz gut drauf, sich dem ständigen Druck von Instagram und Co. zu entziehen und zwischendurch bewusst in die analoge Welt zu flüchten.
Ich benütze Social Media auch, aber versuche immer die richtige Balance zu halten. Ich bin Jahrgang 1990 und habe noch erlebt, als es kein Handy gab. Als ich ins Gymnasium kam, ging es dann damit los.
Um welche „Demons“ geht es im letzten Song des Albums? Um jene, die dich manchmal heimsuchen?
Es geht allgemein um den inneren Tanz mit den Dämonen. Das kennen wir alle, weil wir alle mit ihnen zu kämpfen haben. Sie ziehen uns manchmal runter oder berühren uns unangenehm, aber mit diesem Lied kann man sich von dort raus tanzen. Ich bin manchmal auch unsicher und muss mit ihnen kämpfen, aber es geht nicht konkret um mich oder ein bestimmtes Gefühl. Es ist ein Allgemeinzustand, von dem man sich hinausbewegen kann. Der Song weist ein bisschen ein Augenzwinkern auf. Man tanzt mit seinen Dämonen, aber am Ende ziehen sie davon.
Was machst du, wenn du dich gerade einmal irgendwo verloren fühlst?
Musik machen. Das ist für mich ein unglaublich wichtiger Punkt in so einer Phase. Wichtig sind mir auch ausreichend Schlaf und ein gutes Essen. Wie Dinah Washington schon sagte: „What a difference a day makes, 24 little hours“. Sport ist auch immer gut, aber bevor ich joggen gehe, gehe ich ins Studio und verweile für viele Stunden. (lacht)
Dir ist bei den Miblu-Songs auch die visuelle Umsetzung sehr wichtig. Siehst du dich als interdisziplinäre Künstlerin?
Ich war in der Ottakringer Brauerei Vorband bei Elderbrook und hatte auch zwei Tänzerinnen auf der Bühne. Ich kann mir gut vorstellen, das Performative noch mehr hervorzuheben und auszubauen. Für mich ist dieses Album nun der erste Schritt für die nächste Arbeit, denn ich denke immer nach vorne. Ich habe sehr viele Ideen und hoffe, dass ich bald oft zum Livespielen komme.
Heute Abend, am 17. November, findet im Praterstraße/PRST deine Album-Release-Show statt. Worauf darf man sich freuen?
Es wird wirklich cool. (lacht) Ich habe einen Gitarristen und einen Drummer dabei, wir sind also zu dritt. Wir werden das gesamte Album in der richtigen Reihenfolge spielen und es wird natürlich eine Zugabe geben. Zudem habe ich sehr tolle Lichtleute und Bühnenbauer - aber mehr will ich gar nicht verraten.
Welche Künstlerinnen dienten dir musikalisch oder von ihrer Ausstrahlung heraus eigentlich als Vorbilder?
Ich höre sehr viel Musik und bin von verschiedensten Einflüssen geprägt. Für „Solitaire“ habe ich mir aber bewusst niemanden angehört, denn ich wollte die Musik aus mir heraus entstehen lassen. Das ist nicht an jemanden angelehnt, sondern das bin ich. Mein Sound, meine Ästhetik, mein erstes Baby. (lacht)
Welches Album von jemand anderen hättest du denn gerne geschrieben?
Gute Frage, da gäbe es mehrere. Jamiroquais „Travelling Without Moving“ wäre so eines. Er hat Futuristisches perfekt mit Elektronischem und Funk-Elementen verbunden. Das finde ich irrsinnig spannend und das Album habe ich rauf- und runtergehört. „Grace“ von Jeff Buckley war auch unglaublich. Er hatte ein einzigartiges, wahnsinnig tolles Gefühl. Ich liebe zudem „Vogue“ von Madonna - eine für mich ungemein wichtige Nummer.
Kann es Miblu in Zukunft auch einmal in reduzierter musikalischer Form geben, oder ist das völlig undenkbar?
Nichts ist für mich undenkbar. Ich bin sehr flexibel und vor allem fähig, mich schon jetzt auf ein Jazzfest, auf das Frequency und auf jedes Elektro-Festival zu stellen. Ich habe tolle Musiker und kann meinen Sound je nach Rahmen adaptieren. Ich habe sogar schon ein paar Ideen, wie man Musik reduzierter und akustischer machen kann. Etwa ein elektronisches Album mit einer Band komplett akustisch zu machen. Das Leben ist eine permanente Herausforderung und es ist großartig, diese auch anzunehmen.
Live in Wien
Heute Abend (17. November) findet im PRST/Praterstraße das Release-Konzert von Miblu statt.
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