Heilende "Stromkur"?

Jakarta: Rheuma-Therapie auf Gleisen der Eisenbahn

Ausland
14.08.2011 16:18
Jeden Morgen und Abend liegen Dutzende Menschen auf den Bahngleisen der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Doch diese leidgeplagten Kranken sind keineswegs lebensmüde, sondern suchen Heilung von Rheuma und Rückenschmerzen durch den Strom, der in den Schienen fließt. Der Trend "Eisenbahntherapie" bzw. "Stromkur" ist symptomatisch für den Zustand des indonesischen Gesundheitssystems. "Wer arm ist, wird nicht ernst genommen", erklären Kritiker.

Im Stadtteil Rawa Buaya sieht man Männer und Frauen, Jung und Alt, ihre Körper auf den Schienen ausgestreckt. Mit ihren Köpfen und Füßen schließen sie den Stromkreis, die "Eisenbahntherapie" kann beginnen. Der ungewöhnliche Trend begann nach Erzählungen damit, dass ein gelähmter Mann, der sich vor den Zug werfen wollte, plötzlich wieder laufen konnte, als sich die Garnitur näherte.

"Gott sei Dank bin ich nun geheilt"
Anwohner sind vom heilenden Effekt überzeugt. "Ich litt unter Rheumatismus und hohen Cholesterinwerten, aber Gott sei Dank bin ich nun geheilt", sagt etwa der 45 Jahre alte Mechaniker Rusdi Subhan. Zum Beweis krempelt er seine Hose auf und zeigt seine vormals wunden Beine. "Ich hatte viele Schmerzen, aber jetzt kann ich wieder schlafen."

Auch Sita Aminah lobt die wundersame Wirkung der gefährlichen Kur. "Meine Rückenschmerzen sind viel besser geworden", sagt die 50-Jährige. Seit fünf Monaten behandelt sie so ihren Rücken. Angst, vom Zug überfahren zu werden, hat sie keine: Sie kenne ja den Fahrplan.

Bevor sie auf den Schienen Heilung suchen, haben viele Kranke schon jahrelang unter ihren Schmerzen gelitten. Arme Patienten hätten es aufgegeben, ein vor drei Jahren von der Regierung ins Leben gerufenes Gesundheitsprogramm zu nutzen, sagen Kritiker. Um kostenfrei behandelt zu werden, müssen Bedürftige erst eine ganze Reihe von Nachweisen vorlegen. Und: "Oft müssen Patienten zuerst bezahlen, um in Notfällen behandelt zu werden", erklärt etwa der Aktivist Azas Tigor Nainggolan.

Armut, Gerüchte und "Wunderheiler"
Nach Angaben von Lily Sulistyowati vom Gesundheitsministerium in Jakarta gibt es allerdings keinen Beweis, dass die "Stromkur" wirklich funktioniert. In der indonesischen Gesellschaft "glauben die Menschen an Gerüchte und probieren gerne neue Dinge aus", anstatt Gemeindekliniken aufzusuchen, sagt die Beamtin.

Von Indonesiens 230 Millionen Einwohnern lebt nach Schätzungen der Weltbank etwa die Hälfte von weniger als zwei Dollar am Tag - und medizinische Behandlungen und Medikamente sind teuer. Etwa 50 Prozent der Bevölkerung haben keine Krankenversicherung, und von staatlichen Fördergeldern profitieren vor allem Reiche.

Viele Arme suchen daher Hilfe bei der Alternativmedizin oder bei Schamanen. So wandten sich im Jahr 2009 Tausende Menschen an Muhammad Ponari. Der neunjährige Bub war vom Blitz getroffen worden und - so hieß es - im Besitz eines Steines mit magischen Heilkräften. Ob dieser den Bittstellern tatsächlich half, ist nicht bekannt - stattdessen starben drei Personen bei einer Massenpanik in der Warteschlange vor dem Haus des kleinen "Wunderheilers".

"Patienten" ignorieren Verwarnungen
Bezüglich des nunmehrigen Trends "Eisenbahntherapie" ist der staatliche Bahnbetreiber PT Kereta Api zwar besorgt über die illegale Nutzung seines Schienennetzes, kann aber wenig gegen die Eisenbahn-Patienten unternehmen. "Diese Menschen gefährden ihr Leben und stören den Bahnverkehr", sagt Firmensprecher Mateta Rizalulhaq. "Unsere Beamten haben sie bereits mehrmals verwarnt - aber sie werden einfach ignoriert."

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