Neues Album „Jazzfest“

Pauls Jets: Songwürste für die Ewigkeit

Wien
21.02.2022 06:00

Mit ihrem dritten Album „Jazzfest“ entfesseln sich die Wiener Verweigerungs-Popper Pauls Jets endgültig von allen Normen. Hier wird dem Hedonismus und der Freude am Spiel gefrönt. Das macht Paul Buschnegg und Co. zur spannendsten und auch undurchschaubarsten Band der Gegenwart. Buschnegg und Kompagnon Kilian Hanappi erzählen im „Krone“-Talk mehr.

Der große Nachbar liebt unsere Popkunst. Wenn es neues Material von Wanda, Bilderbuch oder Paul Jets gibt, dann kommt die Fachpublikation „Musikexpress“ aus dem renommierten Springer-Verlag gerne ins euphorische Jauchzen. Und womit? Mit Recht natürlich. Das zum Quartett angewachsene Generation-Z-Projekt Pauls Jets hat zwar nicht die allesumfassende Popularität der beiden Mitgenannten, aber darauf haben sie gar keine Lust. Schon die beiden ersten Alben „Alle Songs bisher“ (2019) und „Highlights zum Einschlafen“ (2020) waren wunderbare Mischwesen aus Alltagsbeobachtung, Hedonismus, Verweigerungshaltung und Zeitgeist. Mit der Ruhe der Pandemie und einer schier unfassbaren Menge an Zeit haben sich Paul Buschnegg und Co. auf ihrem 18 Songs starken Drittwerk „Jazzfest“ endgültig von allen Normen freigespielt. Das hier ist Pop in seiner ganzen Pracht. Nur das Vorhersehbare, das sollte man sich nicht erwarten.

Das Experiment feiern
„Wir sind keine große Popband und wollten das nie sein“, erklärt Buschnegg der „Krone“ das Album im Gespräch, „unsere Musik fühlt sich nach außen hin vielleicht leicht an, aber sie ist sehr verworren, kunstgeistig und abgedreht. So ähnlich sehe ich auch ein Jazzfest. Im 21. Jahrhundert wirkt es wie etwas selbst Organisiertes und oftmals Durchgekautes.“ Wer jetzt glaubt, Pauls Jets würden sich über die musikalische Königsdisziplin der Improvisationskunst lustig machen, der irrt. Die Band hat ihre Aufnahmegewohnheiten radikal verändert, sich zu viert ins Studio eingeschlossen und in langen Sessions gejammt und aufgenommen. Ohne Entwürfe, aber mit viel Liebe zum Tun. Aus diesen langen „Songwürsten“ (O-Ton Buschnegg) wurden dann kurze Lieder herausgeschnitten. „Wie es Miles Davis gemacht hat“, fügt der Frontmann an. Kollege Kilian Hanappi pflichtet ihm bei: „Es geht darum das Experiment zu feiern. Nie aufzuhören und einfach immer weiterzumachen. Auch wenn man hin und wieder in etwas Geschmackloses tappt. Das passierte auch Davis oder David Bowie.“

Mit den Jahren öffnet sich der anfängliche Quasi-Alleinunterhalter Buschnegg immer stärker. „Wahrscheinlich wollten wir auch wegen der Corona-Isolation zu viert Musik machen. Eben das Gegenteil von davor, wo ich meist allein am Computer saß und an den Tracks arbeitete.“ Pauls Jets sind längst ein bisschen so wie das Mahavishnu Orchestra des Pop. Der Freiheit des Tuns wird alles andere untergeordnet. Das bei all der Liebe zum Verqueren und Experimentellen dann derart eingängige Nummern wie der Alternative-Chart-Hit „Baby“ herauskommen, wirkt fast schon wie Hohn für all jene, die auf Biegen und Brechen in die Radios kommen wollen. „So ganz kann ich mich nicht vom Gedanken loslösen ein Lied zu schreiben, das allen gefällt“, entfährt es Buschnegg fast schon entschuldigend, „aber was ist heute schon eingängig? Ich mag auch Dua Lipas Single ,Love Again‘. Man muss einfach was spüren. Das kann auch bei krachigen Songs passieren.“

Endlose Weiten
Pauls Jets verweigern sich bewusst dem Mainstream, obwohl sie selbst gerne Mainstream hören. Diese wie ein roter Faden durch alle Bereiche der Band gezogene Ambivalenz eröffnet ihr aber auch die Möglichkeit, sich von allem loszulösen und sich ständig neu zu erfinden. Auch etwas, wo Künstler wie Davis oder Bowie bahnbrechende Vorarbeit leisteten. „Wir denken das alte Material immer neu, das spürt man vor allem bei den Konzerten. Das einzig Gute an Corona war die viele Zeit, die uns geschenkt wurde. Wir hatten ganz verrückte Aufnahmephasen, aber das hat die Musik ungemein befruchtet.“ „Jazzfest“ ist ein Fest der Vielfältigkeit. Sehr viele 80er-The-Cure-Zitate. Überbleibsel des 90er-Gestus des Vorgängeralbums. Eingängige Pop-Momente, schräge Saxofon-Parts und endlose psychedelische Weiten, wie im mehr als zehnminütigen „Obstbaumwald“. Fast schon ein Beatles-esker LSD-Trip. „Der Song fast das Album gut zusammen. Es ist so, als würde man mit einer Axt reinschlagen und die Einzelteile des Prozesses splittern hier ab.“

Für Buschnegg war die Arbeit an „Jazzfest“ auch ein Abnabelungsprozess. So darf Romy Jakovcic etwa in „Therapy“ und anderen Songs stimmlich an die Front, Paul bleibt bewusst im Hintergrund. Auch die Texte entstanden zunehmend gemeinsam. „Es musste sein, dass ich Verantwortung abgebe. Wenn ich die Texte alleine schreibe, kippt das oft in so eine Indie-Boy-Melancholie. Die gibt es eh noch immer, aber es ist schön, dass man dem auch entfliehen kann, indem man das geistige Eigentum ein bisschen mehr teilt.“ Freigeistige Bands wie die Viagra Boys, Black Country, New Road oder die allgemein grassierende britische Postpunk-Nostalgiewelle waren starke Inspirationen. Pauls Jets sahen und sehen sich nicht als Sprachrohr für ihre eigene Generation Z, können sich dem Zeitgeist aber nicht entziehen. Wichtig ist Buschnegg dabei eine vielfältige Betrachtungsweise. Das Thema „Fliegen“ zieht sich quer durch viele Songs und Tracks wie „Lazy Generation“ oder „So richtig in Love“ sind relativ unmissverständlich geraten.

Inszenierungsqualen
„Ich beobachte in meiner Generation das Verlangen, ein Star sein zu müssen, weil es gar nicht mehr anders geht. Diese erzwungene Selbstinszenierung. Man muss immer alles herzeigen und präsentieren. Ohne Handy lebt man gar nicht mehr so richtig. Das ist einerseits geil, andererseits aber auch furchtbar. Ich will aber nicht alles verteufeln, was modern und zeitgenössisch ist. Man muss direkt mitspielen, um Dinge beurteilen zu können. Und schlussendlich kann ich mich selbst nicht aus dieser Welt herausnehmen, weil ich selber viel mache.“ Ganz im Gegensatz zur überbordenden Kreativität bereitet Buschnegg die Inszenierung von Pauls Jets oftmals Probleme. „Das mag ich am Wenigsten, will es aber auch an keine Agentur auslagern. Es ist ein schwieriges Thema, ein Serpentinenweg. Ich finde zum Beispiel den Insta-Auftritt von Yung Hurn origineller, kritischer und unterhaltsamer als den von Tocotronic, obwohl ich ein großer Fan von ihnen bin.“

Pauls Jets stehen auch nicht für Authentizität oder Realness. Das überlässt man lieber dem Folk oder dem Trap. „Es herrscht bei uns viel Schauspiel. Dadurch hat man mehrere Ebenen zur Verfügung und kann Dinge sagen, die man sonst nicht sagen würde. Ich bin sicher nicht der größte Schauspieler. Voodoo Jürgens oder Tobi von Isolation Berlin können das noch viel besser. Richtig gute, wie Udo Lindenberg, Nina Hagen oder Falco wussten ganz geschickt zu spielen und auch so gesehen zu werden. Denen kann man dann auch nicht böse sein.“ Das kann man freilich auch Pauls Jets nicht, denn hinter den Teenage-Angst-Texten und unfreiwilligen Generationshymnen steckt ihnen immer der Schalk im Nacken. Aber so subtil, dass es nicht platt wird. Und vielleicht wird der sanft mitschwingende Wunsch des Titeltracks ja wahr und Pauls Jets werden im gehobenen Alter selbst zur Jazzband. Im Buschnegg-Kosmos ist wirklich alles möglich.

Livetermine
Pauls Jets sind - coronabedingt - etwas verschoben am 3. Juni im Wiener Flex zu sehen. Bis in den Herbst hinein folgen noch weitere Tourdaten quer durch Österreich. Unter www.dq-agency-com gibt es alle weiteren Infos und die Tickets für alle Shows der Wiener Verweigerungs-Popper.

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