Filzmaier & Thalhammer

„Krone“-Analyse: Auf der Welle zur Impfpflicht

Politik
23.01.2022 09:47

In Kürze haben wir ein Covid-19-Impfpflichtgesetz. Angesichts von Zehntausenden Infektionen pro Tag geht es um unser aller Gesundheit. Letztlich zählt, dass hoffentlich wenige Menschen ernsthaft erkranken. Der Politikwissenschafter Peter Filzmaier diskutiert in der „Krone“-Serie mit dem Infektiologen Florian Thalhammer, wo wir in der Corona-Politik und bei der Pandemiebekämpfung derzeit wirklich stehen.

Florian Thalhammer: Darf ich den Spieß umdrehen und zuerst als Mediziner den Politikwissenschafter befragen?
Peter Filzmaier: Natürlich, gerne.

Thalhammer: Aus medizinischer Sicht kann ich sagen, dass eine höchstmögliche Zahl von Geimpften Menschenleben retten hilft. Genauso brauchen wir umso weniger Beschränkungen im Alltag, je mehr Geimpfte es gibt. Sie haben im Vorjahr richtig vorhergesagt, dass das zwangsläufig zu einer Impfpflichtdebatte führt, wenn es zu viele Ungeimpfte gibt. Aber halten Sie nun den politischen Prozess zur Einführung dieser Pflicht für gelungen?
Filzmaier:
 Unter dem Strich: Nein.

(Bild: APA/Robert Jäger)

Thalhammer: Obwohl Sie ein energischer Impfbefürworter sind?
Filzmaier: Das bin ich, weil ich zu 100 Prozent Ihrem Fachwissen vertraue und mich deshalb impfen lasse. Um im Fall des Falles nicht oder weniger schwer zu erkranken und mit geringerer Wahrscheinlichkeit andere anzustecken. So gesehen kann ich die Impfpflicht nachvollziehen, solange Appelle und Eigenverantwortung nicht für eine höhere Impfquote genügen.

Thalhammer: Wo ist also der Haken?
Filzmaier: Zum Beispiel war die Regierungskommunikation lange mangelhaft. Im letzten Sommer wurde die Impfkampagne gestoppt und die Pandemie nahezu für beendet erklärt. Als im November ein Lockdown verhängt wurde, hat man quasi in einem Aufwaschen eine Impfpflicht angekündigt. Das wirkte so, als würde es in einer Nacht-und-Nebel-Diskussion bei einem Treffen der Regierung mit den Landeshauptleuten am Tiroler Achensee ziemlich spontan beschlossen worden sein, um von eigenen Fehlern und Versäumnissen abzulenken.

Thalhammer: Ich stelle mir oft die Frage, ob uns nicht eine militärisch-logistische Planung der Impfungen wie in Portugal die Impfpflichtdiskussion erspart hätte. Mit fix zugeteilten Impfterminen für alle, ohne dass es eine Pflicht war, hinzugehen. Doch die Lissaboner Regierung hat anscheinend früher klarere Worte gefunden.
Filzmaier: Jetzt sollte man klar sagen, dass die Impfpflicht als nun beste Option trotzdem nicht der Stein der Weisen ist. Wahrscheinlich braucht man sie, doch es gibt noch keine Erfahrungswerte aus anderen Ländern, wie die praktische Umsetzung funktioniert. Da beruht politisch viel auf dem Prinzip Hoffnung.

Thalhammer: Ihr Job ist ja die kritische Analyse. Doch finden Sie bei so vielen Haaren in der Suppe nicht auch etwas in der Politik, das man loben kann?
Filzmaier: Was ich anerkenne, das sind die nunmehrigen Bemühungen des neuen Bundeskanzlers und des Gesundheitsministers, im Unterschied zu 2021 keine leeren Versprechungen vom Ende der Pandemie zu machen oder Lockdowns allzu vollmundig auszuschließen. Trotzdem müssen wir über die Zukunft sprechen.

(Filzmaier übernimmt die Rolle des Fragestellers.)

Filzmaier: Die Frage an Sie als Epidemiearzt, wie geht es weiter?
Thalhammer: Ein Lockdown sollte weder Ziel noch notwendig sein. Denn vor allem die dreimal Geimpften sind in der Tat wenig krank. Mit einer rinnenden Nase, kratzendem Husten und bloß erhöhter Temperaturen nähert sich diese Gruppe den „normalen“ Erkältungskrankheiten.

Filzmaier: Das würde bedeuten, mit mehr Impfen würde sich die Pandemie jetzt schon eindämmen lassen.
Thalhammer: In der Theorie ja, aber auch abgesehen von den Impfverweigerern: Wie sieht die Praxis aus? Wir erleben gerade die Folgewelle des ausgelassen gefeierten Skiurlaubs sowie abstandslos verbrachter Urlaube. Das zur sogenannten Eigenverantwortung. Das ist ja das Unwort des Jahres, oder?

(Bild: APA/BARBARA GINDL)

Filzmaier: Dennoch würde ich das aus Laiensicht als positive Perspektive sehen, nachdem die Omikronwelle irgendwann bricht.
Thalhammer: Die warme Jahreszeit wird uns das Leben wieder erleichtern, jedoch müssen wir längerfristig planen. Und zwar als Szenario des schlimmstmöglichen Falles. Nachlassen kann man dann immer noch. Also einmal nicht nachhinken, sondern schneller als das Virus sein. Dazu gehört übrigens kurzfristig – für die nächsten vier oder fünf Wochen – in allen systemrelevanten Bereichen ein Urlaubsverbot. Falls das angesichts der jetzigen Zahlen noch hilft.

Filzmaier: Besteht überhaupt die Chance, einer Infektion zu entgehen? Oder geht es nur noch darum, dass die Ansteckung zu keinen Folgen führt, weil man dreimal geimpft ist?
Thalhammer: Das wissen wir noch nicht bei Omikron. Die Langzeitschäden einer Infektion werden ein noch größeres Thema werden. Zu Recht, nur werden wir lernen müssen, echte Coronafolgen von unechten zu unterscheiden. Das ist wie bei der Borreliose nach Zeckenstichen. Ein Antikörperbefund alleine und „Allerweltssymptome“ sind zu wenig. Wir müssen besser werden, zielgerichtet zu helfen.

Filzmaier: Was ist mit der vierten Impfung? Wenn die Omikronwelle hoffentlich in, sagen wir, zwei Monaten Vergangenheit sein sollte, ist ja die Drittimpfung gerade bei den früh Impfwilligen schon länger her. Soll man sich vier Monate nach dem dritten Stich um einen vierten Stich bemühen? Sollte das nur für ältere Menschen oder Risikogruppen gelten, wer genau gehört da dazu?
Thalhammer: Diese Frage ist ein gutes Beispiel, wie schnell neues Wissen Empfehlungen verändern kann. Ob, wann und mit welchem Abstand eine vierte Impfung notwendig ist, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Die Frage ist auch, wie oft wir an Mutationen angepasste Impfungen benötigen. Denn auch jede Infektion ist ein immunologisches Ereignis. Eine sogenannte Hybridimmunität entsteht durch Infektionen und Impfungen. Ersteres ist jedoch russisches Roulette.

Filzmaier: Ich mag keine Glücksspiele mit Revolverkugeln! Haben Sie auch eine gute Nachricht?
Thalhammer: Ja! Wir haben inzwischen gute Therapieoptionen für Risikopatienten. Nur müssen wir diesen Menschen vermitteln, dass nach einer Infektion die Gabe der neuen Medikamente nur Sinn macht, wenn sie frühzeitig erfolgt. Also BEVOR nach einem positiven Test die ersten Symptome auftreten. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!

Zu den Personen

Florian Thalhammer ist Infektiologe an der Medizinischen Universität Wien, stellvertretender Ärztlicher Direktor und Epidemiearzt am Universitätsklinikum Allgemeines Krankenhaus (AKH) sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT)

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.

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