"Deepwater Horizon"

Ein Jahr nach der Katastrophe – was vom Öl blieb

Ausland
20.04.2011 08:05
Am 20. April 2010 explodierte vor der Küste der USA die Bohrinsel "Deepwater Horizon" und löste damit die größte Umweltkatastrophe in der US-Geschichte aus. Die Plattform war vom Ölkonzern BP geleast worden. Bei dem Unglück starben elf Menschen, zwei weitere fanden bei den anschließenden Rettungsarbeiten den Tod. Fünf Monate lang sprudelte Öl durch ein Leck in der Tiefe in den Golf von Mexiko. Die Sorge vor den Folgen beschäftigt die Bewohnern der betroffenen Gebiete bis heute, auch wenn das Öl mittlerweile verschwunden zu sein scheint.

Wenn die Natur dem Menschen seine Grenzen aufzeigt, führt das in den meisten Fällen unweigerlich zu einer Katastrophe. Als sich vor einem Jahr die Explosion auf der BP-Bohrinsel ereignete, ahnte wohl noch niemand, dass das nur der Anfang war. Denn das Sperrventil, welches das Ausströmen von Öl eigentlich verhindern hätte sollen, war defekt. Der 15 Meter lange "Blowout-Preventer" war nicht in der Lage, das Leck in 1.500 Meter Tiefe abzudichten und so strömte das Öl ungehindert ins Meer. 151 Tage sollte es von diesem Zeitpunkt an dauern, bis die US-Regierung das Ende der Katastrophe verkündete.

Doch die Folgen der Ölpest lasten bis heute auf der Golfregion: Rund 780 Millionen Liter Rohöl verseuchten das Gebiet. Rund 1.000 Kilometer Küste in den US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida werden von der rotbraunen Brühe verschmutzt. Hunderttausende Meeressäuger, Fische, Vögel und Schildkröten finden in der Ölpest den Tod. Die Menschen in der Region leben vielfach von der Fischerei, vielen wurde die Existenzgrundlage durch das ausströmende Öl vernichtet.

"Man schläft ein und denkt ans Öl"
Dean Blanchard, Besitzer eines Fisch- und Meeresfrüchte-Großhandels auf Grand Isle ganz im Süden Louisianas, hat immer noch mit den Gedanken an die Katastrophe zu kämpfen. "Es gibt keine Nacht, in der man nicht an Öl denkt. Man schläft ein und denkt ans Öl", sagt er. Ob die Touristen in diesem Sommer nach Grand Isle zurückkommen? "Ich weiß nicht, was passiert, das genau ängstigt einen ja so." Denn auch die Urlauberstrände waren lange gesperrt. Ob wieder die Kutter der Shrimps-Fischer rausfahren, wenn die Fangsaison Ende April beginnt? "Ich hoffe es."

Owen Langridge, genannt "Big O", Charterkapitän in Venice im südöstlich von New Orleans am Golf von Mexiko, war im August 2010 noch voll des Lobes für die Bemühungen von BP im Kampf gegen das Desaster, hatte sein Boot und seine Arbeitskraft an den Ölkonzern vermietet. Inzwischen klingt das anders: "Ich habe wirklich gedacht, sie wollen alles wieder in Ordnung bringen. Das haben sie nicht getan", kritisiert er. "BP sagt, alles wird wieder normal. Aber nichts ist wieder normal." Zwar werden seit jeher kleine Teerklumpen an die Strände Louisianas geschwemmt. "Aber jetzt gibt es immer noch viel mehr davon", erzählt der erfahrene Kapitän.

Erboste Fischer demonstrieren in London
Bei der ersten Jahreshauptversammlung des Ölriesen BP seit der Ölkatastrophe haben etwa hundert Fischer aus den USA und britische Arbeiter ihrer Wut über den Konzern Luft gemacht. Sie demonstrierten am Donnerstag in London unter einem Banner mit der Aufschrift "Schande über BP". Beteiligt waren insbesondere Fischer aus den US-Staaten Louisiana und Texas. Byron Encalade, Vorsitzender der Vereinigung der Austernfischer von Louisiana, sagte, er sei eigens über den Atlantik gereist, um seinen Ärger über die Verzögerung der Entschädigungszahlungen kundzutun. Wissenschaftlern zufolge werde es zehn Jahre dauern, bis sich die Austernkulturen von den Schäden erholt hätten. "Wir sind ruiniert."

Die Texanerin Diana Wilson, Fischerin in fünfter Generation, protestierte mit ölverschmiertem Gesicht. "Wir haben fünf Generationen gearbeitet - und alles, was wir geerntet haben, ist der Tod unserer Gemeinschaft", sagte sie und fügte hinzu: "Ich bin sauer. Ich bin schon lange sauer." Obwohl sie BP-Aktionärin sei, sei ihr den Zutritt zur Hauptversammlung verwehrt worden. Auch die anderen Demonstranten versuchten vergeblich, in das Gebäude hereinzukommen.

Schadenersatz-Gelder fanden skurrile Verwendungen
Für Schadenersatzforderungen und mögliche Strafgelder hält BP nach eigenen Angaben 40 Milliarden Dollar (27,7 Mrd. Euro) bereit. 1,14 Milliarden Dollar zahlte der Konzern nach eigenen Angaben an Regierungen des Bundes, der Staaten und Kommunen für deren Aufwendungen. Diese Gelder fanden allerdings teils skurrile Verwendung: iPads, Geländewägen und Elektrotaser für die Polizei wurden in manchen Städten um das Geld gekauft (siehe auch Story in der Infobox "Was mit dem Ölpest-Geld von BP gekauft wurde"). Bis März wurden aus dem von BP eingerichteten und vom Regierungsbeauftragten Kenneth Feinberg verwalteten 20-Milliarden-Dollar-Kompensationstopf rund 3,6 Milliarden an mehr als 172.000 Antragsteller gezahlt.

Um die Folgen der Katastrophe zu beseitigen, waren in Spitzenzeiten mehr als 48.000 Helfer im Einsatz. Zweitweise kämpften bis zu 10.000 Boote gegen das Öl, derzeit sind es noch etwa 180. Bei den Anrainern bleibt nicht nur die Sorge um das Öl, das sich laut Angaben von BP mit Hilfe von Bakterien aufgelöst haben soll. Unklar ist auch, welche Langzeiteffekte die chemischen Bekämpfungsmittel haben werden, von denen knapp sieben Millionen Liter ins Meer gekippt wurden.

Golf wieder fast so sauber wie vor Katastrophe?
Immer wieder für Erstaunen sorgte die Tatsache, dass die Ölkatastrophe von Wissenschaftlern weit weniger katastrophal eingestuft wird, als man eigentlich annehmen wurde. Wes Tunnell von der Texas A&M University stellt dem Golf von Mexiko ein positives Gesundheitszeugnis aus: "Mittlerweile ist das Meer fast so sauber wie vor der Katastrophe." Die Natur habe sich, so der Wissenschaftler, selbst regeneriert. Ähnlich sieht das auch Jane Lubchenco von der National Oceanic and Atomspheric Administration: "Dem Golf geht es weit besser, als man anfangs befürchtet hatte. Allerdings werden die tatsächlichen Auswirkungen erst zu sehen sein."

An der Oberfläche mag das Meer vielleicht bereits so wirken, als sei nichts passiert, doch das Problem liegt offenbar in der Tiefe. Die Wissenschaftlerin Samantha Joye entdeckte bei ihren Untersuchungen im September 2010 eine dicke Schicht ölverseuchten Schlamm am Meeresboden. Sie ist sich sicher: "Das Öl ist nicht weg. Es ist nur dort, wo wir es nicht sehen können." Die Meinungen über die Auswirkungen für die Umwelt gehen hier also auseinander. Die Tierwelt spricht hier eine eindeutigere Sprache. Die Fischbestände sind auf Jahre geschädigt, seit Jänner 2011 sind 155 Delphine und Zwergwale an der Golfküste gestrandet und verendet.

Robert Haddad von der US-Wetter- und Ozeanographiebehörde NOAA, dessen Abteilung die Schäden durch die Ölpest ermittelt und später Pläne für die Wiederherstellung der Natur entwerfen soll, wagt sich sogar an einen konkreten Zeitplan: "Wir hoffen, dass wir in den nächsten zwei Jahren ein gutes Verständnis vom Ausmaß der Schäden haben und dass wir beginnen, die Unwägbarkeiten zu verstehen." Wie lange es dauert, bis man mit einem Plan zur Beseitigung der Umweltschäden beginnt? "Ich glaube, es werden weniger als zehn Jahre ins Land gehen, bis die Wiederherstellung der Natur anfängt", sagt er. "Es ist ein langfristiger Prozess."

Wer trägt die Schuld?
Die US-Regierung hat mittlerweile Klage gegen BP und andere Unternehmen eingereicht. Der Ölkonzern selbst erklärte im September, dass die Bohrunternehmen die Verantwortung tragen müssten. Von der Regierung beauftragte Experten bestätigten das zwar, weisen aber BP eine Mitschuld zu. Auch die Behörden seien teilweise verantwortlich gewesen, heißt es. In Folge der Ölkatastrophe musste BP-Vorstandschef Tony Hayward seinen Hut nehmen. Wer sich letzten Endes tatsächlich für eine der größten Naturkatastrophen seit Menschengedenken verantworten wird müssen, werden die Gerichte entscheiden.

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