Fragen zu Japan

Wie man ein AKW kühlt – und warum das Wochen dauert

Wissenschaft
14.03.2011 13:54
Warum gibt man Borsäure ins Kühlwasser? Wie gefährlich ist der radioaktive Dampf, der aus den überhitzten Reaktoren im AKW Fukushima 1 derzeit immer wieder abgelassen wird? Und warum kommt es zu Wasserstoffexplosionen? Hier die Antworten des Wiener Atomexperten und ehemaligen Leiters des Atominstituts, Helmut Rauch, auf die brennendsten (technischen) Fragen zu den AKW-Störfällen in Japan.

Wie kommt es zur Wasserstoffexplosion?
"Bei mangelnder Kühlung kommt es zu einer Erhitzung der Brennelemente innerhalb des Druckkessels. Wenn die Brennelemente nicht mehr vollständig mit Wasser bedeckt sind, werden sie sehr heiß. Dadurch kommt es an diesen über 1.000 Grad heißen Stellen zur chemischen Zerlegung des Wassers, es entsteht Wasserstoff, der sammelt sich gemeinsam mit Wasserdampf innerhalb des Druckbehälters an. Ab einem gewissen Druck, das geht automatisch, wird der Dampf in das Containment ausgelassen. Das ist die aus Stahlbeton gefertigte zweite Hülle um den Stahlkessel herum. Auch dieses Containment hält dem Überdruck nur begrenzt stand, bei sechs oder sieben Bar muss auch hier der Druck abgelassen werden. Im Inneren des Reaktorgebäudes kann es dann zur Wasserstoffexplosion kommen. Das scheint so gelaufen zu sein, wobei das Containment offenbar nicht beschädigt wurde."

Ist das Ablassen von Dampf eine Lösung?
"Das ist nur eine temporäre Lösung. Solange sich im Inneren ständig Dampf nachbildet, kann man das nicht als Lösung sehen."

Der Dampf ist doch radioaktiv, oder?
"Ja, aber das sind geringe Mengen. Das ist nicht mit dem vergleichbar, wenn der innere Teil aufgrund des Drucks oder des Wasserstoffs explodieren würde. Dann würde die ganze radioaktive Malaise in die Atmosphäre geschleudert werden."

Aber es ist trotzdem etwas drin...
"Ja. Das Element, das am störendsten ist, sind verschiedene Jod-Isotope. Dann sind Cäsium, Strontium und Kobalt zu nennen. Und da, wo Mischoxid-Brennelemente eingesetzt werden, ist auch mehr Plutonium drinnen."

Wie wird eigentlich das Meerwasser eingeleitet?  
"Diese Frage stellen wir uns hier auch. Angezeigt wird oft eine Einleitung ins Containment, dass dieses von unten her geflutet wird. Wir glauben aber, dass zumindest ein Teil auch in den Druckbehälter hinein gebracht wird. Das ist sehr heikel, drinnen ist es irrsinnig heiß und es herrscht relativ hoher Druck. Da kann man nicht einfach mit einem Feuerwehrschlauch hineinspritzen. Und das Wasser muss sehr langsam hineingebracht werden, denn es bildet sich sofort wieder Dampf, der Druck steigt sofort wieder an. Ich habe das Gefühl, sie versuchen, auch das Containment anzufüllen und von außen den Druckbehälter zu kühlen."

Was passiert, wenn nicht genug gekühlt wird?
"Es kommt durch die Nachzerfallswärme zu einer Erhitzung der Brennstäbe und der Steuerstäbe auf rund 1.500 bis 2.000 Grad, sodass diese schmelzen. (...) Beim Unfall im US-Kernkraftwerk Three-Mile-Island 1979 ist auch der Kern geschmolzen und das Material hat sich unten im Druckbehälter gesammelt. Durch teilweise Kühlung von außen ist es dort erstarrt. Wenn es also schon zum Schmelzen kommt, wäre es das, was wir uns wünschen."

Was passiert bei einer Kernschmelze?
"Dann sammelt sich das geschmolzene Material der Brennstäbe am Boden des Druckbehälters und man wird sicher versuchen, diesen auch von außen zu kühlen. Sollte es durch den Druckbehälter durchschmelzen, ist das der Worst Case. Dann gelangt das Material in das Containment. Dieses hat sicher eine große Wärmekapazität und würde das Material sicher lange zurückhalten, sicher Wochen, sodass man auch hier Gegenmaßnahmen ergreifen könnte."

Warum muss Borsäure ins Kühlwasser?
"Wenn man Wasser in den Reaktor dazubringt, könnte es sein, dass die Kettenreaktion nochmals in Gang gesetzt wird. Weil Wasser bremst die Neutronen ab und begünstigt damit die Kettenreaktion. Daher läuft der normale Reaktor auch nur, wenn Wasser innerhalb des Reaktors ist. Je langsamer Neutronen sind, umso besser können sie mit dem Uran-Kern wechselwirken. Und die Borsäure ist ein Absorber, die frisst sozusagen die Neutronen parasitär weg."

Wie lange dauert die Kühlungsphase?
"Das kühlt relativ langsam ab. Man verliert von der Wärmeleistung derzeit ungefähr zwei Prozent pro Tag. Das heißt, dass der Kern noch Wochen gekühlt werden muss. Natürlich wird es aber immer einfacher. (...) Dampf ablassen muss man dabei nicht, wenn es gelingt, genügend Kühlwasser hineinzubringen, und es so gelingt, die Wärme abzuführen."

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