Neues Album „Tyron“

Slowthai: Die Pandemie als persönliche Rettung

Musik
11.02.2021 06:00

Nach seinem erfolgreichen Debütalbum geriet Tyron Frampton aka Slowthai etwas aus der Spur. In der Pandemie arbeitete er nicht nur an seinem brandneuen Werk „Tyron“, sondern reflektierte sich und seine jüngere Vergangenheit. Daraus entstand ein sehr intimes und persönliches Album - mehr dazu verriet uns der 26-Jährige im „Krone“-Gespräch.

(Bild: kmm)

Wenn es vor zwei Jahren einen Durchstarter in England gab, dann war es Tyron Kaymone Frampton aka Slowthai. Mit seinem Debütalbum „Nothing Great About Britain“ beförderte er nicht nur das in Undergroundkreisen gefeierte Subgenre Grime an die Mainstreamoberfläche, sondern lieferte auch die ehrlichste, authentischste und pointierteste Kritik an das Brexit- und Politdarsteller-geplagte Großbritannien ab. Im Gegensatz zu all den boomenden Post-Punk und Gitarren-Garagen-Bands zwischen London und Bristol kommt Slowthai aus dem industriell-kalten Northampton. Eine Stadt ohne Schönheit und große Hoffnung, die den leidigen Brexit samt seinen Folgen wie kaum ein anderer Ort visualisiert. Es folgten eine Nominierung für den Mercury Prize, Zusammenarbeiten mit den Gorillaz und Tyler, The Creator und medienwirksame Auftritte, wo er Theresa May unverblümt als „Dickhead“ bezeichnete und bei der Mercury-Preisverleihung mit einem abgetrennten Kopf von Boris Johnson herumlief und die Nation weiter spaltete.

Fluch und Segen
So richtig auf den Putz haute Slowthai dann kurz vor der Corona-Pandemie. Bei den „NME Awards 2020“ war der offensive Brite als „Hero Of The Year“ geladen und verspielte seinen hart erarbeiteten Kredit in wenigen Minuten. Stand-Up-Comedian Katherine Ryan attackierte er mit unnötigen sexuellen Anzüglichkeiten. Als ihn jemand aus dem Publikum der Misogynie bezichtigte, brach er fast eine Schlägerei vom Zaun und wurde von der Security des Saals verwiesen. Tags darauf folgte die reumütige Twitter-Entschuldigung Richtung Ryan und das Anbot, ihr seinen Preis zu überlassen. Ryan bleibt cool, doch der Shitstorm war heraufgebrochen. Kein Wunder, dass Slowthai im neuen Song „Play With Fire“ die Zeile „I hate the internet“ in den Vordergrund stellte. Die sozialen Medien, die den 26-Jährigen 2019 zum Superstar machten, wurden zusehends zum Bumerang und Frampton musste, wie so viele andere vor ihm, auf hartem Weg lernen, dass man mit Ungebührlichkeit im Musikbusiness nicht mehr so leicht davonkommt wie früher.

„Wenn du aus einer Gegend wie meiner kommst, dann musst du dich behaupten, weil du sonst unter die Räder kommst. Ich fühle mich manchmal missverstanden, weil ich auch viele nette Dinge tue.“ Slowthai ist per Zoom-Call zugeschalten, murmelt im breiten Akzent ungewollt neben das Laptop-Mikro und hat ein Dauerlächeln aufgesetzt, das nach frisch bekifft aussieht. Ein netter Junge im Keller/Studio seines Hauses, das er mit seiner geliebten Mutter und seiner Verlobten bewohnt, hinter ihm groß aufgezogen eine Flagge des britischen Fußballdrittligisten Northampton F.C. Ein Verein, der auf den ersten Blick ebenso farblos und trist wie seine Heimat wirkt. Da tut ein Troublemaker wie Slowthai vielleicht sogar gut, auch wenn ihn die Pandemie geläutert zu haben scheint. „Etwas zu backen oder vor dem Fernseher zu hocken und mir Filme reinzuziehen macht mir mehr Spaß als Ärger anzuzetteln und aggressiv durch die Gegend zu laufen“, fügt er schmunzelnd hinzu, „ich bin nicht hier, um irgendwelche Erwartungen zu erfüllen. Menschen werden älter und reifer, aber ich bin trotzdem so, wie ich bin. Ich bin auf meiner Reise und lade dich ein, ein Teil davon zu sein.“

Klammer geschlossen
Die Reise führt Slowthai zum mehrfach verschobenen Zweitwerk „Tyron“. Ein Album, das großteils während der Corona-Pandemie entstanden ist und dementsprechend ruhigere Töne anschlägt. Slowthai hat das Werk klanglich in zwei Hälften geteilt. Die ersten sieben Tracks klingen relativ harsch und wild, so wie man den Grime-Jüngling vom Debüt kennt. Die zweite Hälfte ist wesentlich introvertierter, intimer und beruhigter. „Tyron“ wirkt so, als würde Slowthai einerseits seine nicht immer unproblematische Vergangenheit abhandeln und in eine ruhigere, erwachsenere Zukunft einladen wollen. „Auf dem Album geht es darum, mich selbst zu verstehen und mich zu akzeptieren. Darum geht es doch im Leben. Diese Selbstfindung finde ich immer nebulös, weil ich stets neue Aspekte und Charakterzüge an mir entdecke. Wenn ich was gelernt habe, dann, dass man offenherzig sein muss und stets wachsam durchs Leben gehen sollte. Sieh dir die Welt genau an und entscheide selbst, was du von ihr nimmst.“

War das Debütalbum noch eine offensichtliche und offensive Anklage an eine untergehende Nation und das lähmende Gefühl, nichts dagegen machen zu können, geht es auf „Tyron“ um das diverse Innenleben des Protagonisten. Etwa in „I Tried“ um die Ängste aus der Kindheit, die ihm die nötige Kraft zum Weitermachen gaben. Auf „Feel Away“ arbeitet er mit Superstar James Blake den tragischen Tod seines Bruders Michael auf, der 2001 im Alter von sieben Jahren viel zu früh von der Welt ging. Das abschließende „ADHA“, sein bislang persönlichster Song, behandelt mitunter seine Rastlosigkeit und die Folgen, die daraus zu ziehen sind. „Ich musste mich in eine ganz spezielle Stimmung bringen, um den Song überhaupt schreiben zu können“, erinnert er sich nachdenklich zurück, „mit diesem Song hat sich der Ton im Studio wie automatisch verändert. Er fängt genau diesen besonderen Moment der Verletzlichkeit ein, den ich in diesem Moment gespürt habe.“

Kampf und Reflektion
Die Gästeliste, die neben Blake auch Kapazunder wie Denzel Curry, A$AP Rocky oder Skepta umfasst, stiehlt Slowthai nie die Show. Man hat auch nicht das Gefühl, die Features würden aus Marketinggründen stattfinden, weil sie die introspektiven Songs nur um eine neue Nuance erweitern. Die Sensibilität des reflektierenden Künstlers und der Pop-Appeal stoßen deutlich in den Vordergrund, die rigorose Anarchie des Debüts rutscht weit zurück. Selbst die wildere erste Seite ist von weichem Bedacht gezeichnet. „Jeder Mensch hat zwei Seiten“, erklärt Slowthai das Grobkonzept, „die Seite, die die Menschen an dir sehen oder sehen möchten und die Seite, die du wirklich repräsentierst. Ich bin Entertainer, Musiker, Bruder, Sohn oder Freund. Manchmal Rapper auf der Bühne, manchmal nur zuhause und mache Blödsinn. Manchmal lachst du über deine Fehler, dann quälen sie dich.“ Für Slowthai kam die Pandemie wohl tatsächlich zur rechten Zeit. Der Kampf gegen sich selbst und das Rampenlicht brachte ihn zum Reflektieren. Vom Staatsfeind Nummer eins zum melancholischen Denker in nicht einmal 18 Monaten. Niemand will den Grime-Anführer brav sehen - aber aus gewissen Fehlern zu lernen und zu reifen verdient Respekt. Er hätte sich auch hinter einer PR-Agentur verstecken können…

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele