Nach Nobelpreis

Chinas Regime geht verschärft gegen Aktivisten vor

Ausland
29.10.2010 16:12
Die chinesische Staatssicherheit ist in den drei Wochen seit der Vergabe des Friedensnobelpreises an den inhaftierten Bürgerrechtler Liu Xiaobo massiv gegen Aktivisten vorgegangen. Dutzende Personen wurden unter Hausarrest gestellt, verschwanden in Polizeigewahrsam oder wurden verhört. Die Frau des Preisträgers, Liu Xia, wird in ihrer Wohnung im Westen Pekings festgehalten - und darf nicht einmal telefonieren.

Sie konnte nur einen offenen Brief aus der Isolation schmuggeln: "Ich weiß nicht, wie lange dieser illegale Hausarrest andauern wird", schrieb die 50-Jährige. "Ich protestiere scharf und fordere die Regierung auf, sich an die Gesetze zu halten und sofort diese Behinderung meines normalen Lebens zu beenden."

Arztbesuch erst nach Protesten erlaubt
Auch der kritische Autor Yu Jie darf seine Wohnung nicht verlassen. Selbst als seine Frau am Donnerstag mit hohem Fieber erkrankte, hinderten die Zivilpolizisten beide daran, einen Arzt aufzusuchen. "Anweisung von oben", begründete ein Offizier. Nachdem Yu Jie über den Kurznachrichtendienst Twitter ihr Schicksal publik gemacht hatte, riefen Freunde allerdings den Notarztwagen. Auch eilten Bekannte wie der berühmte chinesische Gegenwartskünstler Ai Weiwei zu ihrem Haus, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Polizisten hätten jedoch den Zugang blockiert, berichtete Ai Weiwei: "Sie ließen mich nicht rein."

Nach massivem Protest lenkten die Sicherheitsleute schließlich ein: Yu Jies Frau durfte ins Krankenhaus - doch er selbst musste daheim bleiben. Schon am Nachmittag hatten die Beamten zwei Videokameras vor seiner Haustür angebracht. Er ist den Behörden ein Dorn im Auge, weil er nicht nur in der Untergrundkirche aktiv ist, sondern auch ein kritisches Buch über den Regierungschef geschrieben hat: "Chinas bester Schauspieler: Wen Jiabao". Das Buch ist in China verboten, doch hat es der im Hongkonger Exil lebende Verleger Bao Pu herausgebracht.

78-jähriger Kritiker seit drei Wochen unerreichbar
Dessen Vater Bao Tong ist ein scharfer Kritiker des kommunistischen Regimes. Als hoher Mitarbeiter des 1989 kurz vor der Niederschlagung der Demokratiebewegung gestürzten, reformerischen Parteichefs Zhao Ziyang war Bao Tong anschließend sieben Jahre in Haft gesessen. Der 78-jährige Bao Tong steht auch unter Hausarrest. Telefonisch ist er seit drei Wochen nicht erreichbar - selbst für seinen Sohn nicht. "So war es noch nie", sagte Bao Pu.

Ähnlich sieht das Renee Xia, der Direktor der Hongkonger Menschenrechtsorganisation China Human Rights Defenders (CHRD): "Ich höre von einigen Aktivisten, dass die gegenwärtigen Kontrollen und Belästigungen schlimmer sind als jene während der Olympischen Spiele oder nach der Veröffentlichung der Charta 08." Der frisch gekürte Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo war einer der führenden Kräfte hinter diesem Appell für Freiheit und Demokratie vom Dezember 2008, der ihm letztendlich auch die elfjährige Haftstrafe eingebracht hat.

Pensionierte Professorin samt Mann verschwunden
"Die anhaltende Verfolgung bestätigt die Ernsthaftigkeit der Menschenrechtsverletzungen in China und die Notwendigkeit, sich dagegen auszusprechen", sagte Sharon Hom, Exekutivdirektorin der in den USA ansässigen Menschenrechtsgruppe Human Rights in China (HRiC). Besondere Sorge bereitet ihr das Verschwinden der pensionierten Professorin Ding Zilin und ihres Mannes Jiang Peikun.

Das Ehepaar hatte bei dem Massaker am 4. Juni 1989 ihren 17-jährigen Sohn verloren. Beide stehen heute an der Spitze eines losen Netzwerkes von Familien der Opfer des Militäreinsatzes. Sie leben unter ständiger Bewachung in Peking, werden angeblich aber in der Stadt Wuxi in der Provinz Jiangsu festgehalten, wo sie Verwandtschaft haben.

Invalider Aktivist steht "immer noch unter Hausarrest"
Auch Qi Zhiyong, der bei dem brutalen Militäreinsatz 1989 ein Bein verloren hat, wird permanent beobachtet. Er würde nur zu gerne an der feierlichen Verleihung des Nobelpreises im Dezember in Oslo teilnehmen. "Aber ich stehe immer noch unter Hausarrest", berichtete der 54-Jährige in einer SMS-Nachricht. Der Aktivist muss häufig die Sim-Karten für sein Handy wechseln, weil sie immer neu gesperrt werden.

"Telefonleitungen zu unterbrechen und Handys wegzunehmen ist nicht neu, aber es scheint gegen eine größere Menge von Aktivisten angewendet zu werden, was die Angst der Regierung vor mehr Interviews und weiterer schlechter Publicity widerspiegelt", sagte Renee Xia von CHRD. Die Verfolgung demokratischer Kräfte werde länger andauern und könnte sich noch verschärfen, warnte er. Chinas Führer seien bereit, "zunehmend härtere Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die als destabilisierende Figuren betrachtet werden".

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