"Mein Arzt ist weg"

Ärztekammer geht gegen Reform auf die Barrikaden

Österreich
12.11.2012 13:45
Die geplante Gesundheitsreform von Minister Alois Stöger treibt die Ärzte auf die Barrikaden. Trotz heftiger Kritik vonseiten der Politik macht die Ärztekammer jetzt mobil, Präsident Artur Wechselberger (Bild) schloss am Montag sogar Streiks und Praxisschließungen nicht aus. Zunächst werden Plakate in den Ordinationen und Krankenhäusern aufgehängt, die sich mit den Folgen einer wie von Stöger vorgesehenen Reform befassen.

Bei einer außerordentlichen Vollversammlung der Ärztekammer am 21. November sei ein Beschluss für Protestmaßnahmen "durchaus denkbar", kündigte Wechselberger an. Neben weiteren Informationen an die Bevölkerung seien Schließungen von Ordinationen sowie Demonstrationen und Aufmärsche von Ärzten möglich. "Das steht alles im Raum." Der Beschluss werde von der Reaktion der Politik auf die Kritik der Ärzte an der geplanten Gesundheitsreform abhängen, erklärte Wechselberger.

"Wenn die Politik weiterhin nur mit Abblocken und Beschimpfungen reagiert, dann wird es schwierig", meinte der Ärztekammerpräsident unter Bezugnahme auf die heftigen Reaktionen von Bundes-, Landes- und Sozialversicherungspolitikern auf die Kritik der Ärzte. Außerdem werde man auch sehen, wie andere Gesundheitsberufe reagieren. Im Vorfeld hatten Politiker aller Fraktionen empört auf die Kritik der Ärzte reagiert.

Stöger: "Ärztekammer verunsichert Patienten"
Stöger hatte am Samstag erklärt, die Verunsicherung der Patienten solle abgestellt werden: "In diesem Punkt reicht's." Auch die Wiener SP-Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely meinte: "Es reicht!" Sich hinter Patienteninteressen zu verstecken sei "das, was man in Wien Chuzpe nennt", hielt Wehsely, die in der politischen Steuerungsgruppe für die Länder die Reform mitverhandelt, der Ärztekammer vor. Auch der Vorstandsvorsitzende im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, Hans Jörg Schelling, wetterte: "Diese Äußerungen der ärztlichen Standesvertretung sind skandalös, geprägt von Unwahrheit und Unterstellungen und gefährden massiv den künftigen Dialog."

Kernpunkt der Gesundheitsreform ist die Reduzierung der Ausgaben durch eine zentrale Steuerung der Spitäler und niedergelassenen Praxen. Die Entscheidungen darüber sollen künftig in sogenannten Landesgesundheitsplattformen getroffen werden. Die Ärztekammer, die bei den Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen sowie bei deren Einigung im Juni 2012 nicht dabei war, warnt seit Monaten davor, dass ein derartiges Modell Einsparungen auf dem Rücken der Patienten nach sich ziehen würde.

"Sparziele nur mit Leistungsverknappung"
"Ohne Rationierungen der medizinischen Leistungen, von der vor allem ältere Menschen betroffen sein werden, könnten diese Sparziele gar nicht erreicht werden - die Mittelverknappung wird letztlich auch zu einer Leistungsverknappung führen", gab sich Ärztkämmer-Vizepräsident Martin Wehrschütz überzeugt.

Eine "massive Unterhöhlung der wohnortnahen ärztlichen Versorgung" befürchtet Jörg Garzarolli, Obmann der niedergelassenen Ärzte. Mit zentralen Polykliniken und Zentren würde "die endgültige Zerstörung der fachärztlichen und in der Folge auch hausärztlichen Versorgung" eingeleitet. "Sie wird durch anonyme Zentren ersetzt werden, in denen die persönliche Patient-Arzt-Beziehung durch die elektronische Gesundheitsakte ELGA ersetzt wird."

"Bis 2020 sollen elf Milliarden eingespart werden. Wie soll das ohne Leistungskürzungen passieren?", zeigte sich der Präsident der Wiener Ärztekammer, Thomas Szekeres, verwundert. Die Gesundheitsausgaben würden, so Szekeres, in den kommenden Jahren deutlich steigen, da die Bevölkerung deutlich älter werde. Zudem gehe das Reformpaket von einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent aus, was angesichts der Wirtschaftskrise als nicht realistisch erscheine. Eine Reform sei zwar "prinzipiell zu begrüßen", der derzeitige Vorschlag sei aber als "einziges Problemverlagerungspaket" zu sehen.

Weichselberger: "Hoffe, dass die Vernunft siegt"
Die Fronten könnten also nicht verhärteter sein. Wechselberger hofft nun, "dass die Vernunft siegt" und sich die Verhandlungskultur durchsetzt. Den Ärzten gehe es demnach darum, über die Gesundheitsversorgung mitreden zu können, sie wollten in die Verhandlungen eingebunden werden. Derzeit gehe es nur um Einsparungen und Kontrollmechanismen, den Ärzten hingegen gehe es um die medizinische Versorgung der Bevölkerung.

Plakataktion: "Mein Arzt ist Weg", "Unser Spital ist weg"
Diese Woche startet die Ärztekammer mit einer Kampagne gegen die Gesundheitsreform. In den Ordinationen und Spitälern werden Anfang dieser Woche Plakate aufgehängt. Die Plakate mit den beiden Sujets "Mein Arzt ist Weg" und "Unser Spital ist weg" wurden am Freitag in einer Auflage von rund 40.000 Stück ausgeliefert. Zudem sollen auch Inserate in Zeitungen geschaltet werden. Die Kosten für die Kampagne werden von der Ärztekammer mit einer "knapp sechsstelligen Summe" angegeben.

"Müssen wir jetzt 100 Kilometer ins Krankenhaus fahren?"
Wechselberger verweist darauf, dass auf den Plakaten Fragen formuliert sind, auf die sich die Ärztekammer Antworten erwartet. So wird etwa die Frage gestellt, wo man hingehen solle, wenn die Kinder krank sind, weil der Arzt eingespart worden sei. Die zweite Frage lautet: "Müssen wir jetzt immer 100 Kilometer ins nächste Krankenhaus fahren?", weil es im Spital im Ort nur noch eine Notfallambulanz gebe.

Der heftigen Kritik der Politik an der Ärztekammer kann Wechselberger aber auch eine positive Seite abgewinnen. Die Kampagne habe dazu geführt, dass die Politik reagiert habe. Bisher seien Geheimverhandlungen geführt worden, die Politik habe gegenüber der Bevölkerung über ihre Pläne geschwiegen. Nun sei sie dazu gezwungen, ihr Geheimpapier über die Gesundheitsreform offenzulegen und sachlich auf die Vorwürfe der Ärzte einzugehen. Die Tonlage der Kritik vonseiten der Politik hat Wechselberger nicht überrascht, weil sich die Politik offensichtlich "in ihren stillen Kreisen gestört" fühle.

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