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Katia Wagner: Freiheit zwischen Minirock und Burka

Österreich
26.07.2017 11:55

Eine junge Frau schlendert in einem mädchenhaften Minirock und einem körperbetonten Crop-Top durch eine historisch anmutende Gasse, dreht sich verspielt, lächelt in die verpixelte, etwas wacklige Handykamera. Das 6-sekündige Video wird vom unbekannten Kameramann auf Snapchat veröffentlicht. Es könnte ein Urlaubsvideo sein, eine digitale Ansichtskarte. So weit, so unspektakulär. Wäre der Schauplatz dieses Videos nicht das historische Dorf Ushaiqer im ultrakonservativen Saudi-Arabien gewesen.

Die patriarchalische Gesellschaftsordnung Saudi-Arabiens ist nämlich bekannt für ihre besonders konsequente Auslegung der Scharia. So dürfen Frauen ohne die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds nicht Auto fahren, nicht arbeiten oder reisen. Arrangierte Ehen sind die Regel. Und auch in puncto Bekleidung gibt es klare Gesetze: Frauen müssen in der Öffentlichkeit Abaya tragen, ein verhüllendes und lose geschnittenes Mantelkleid, und ihre Haare bedecken. Kombiniert wird die Abaya zumeist mit einem Niqab, einem Gesichtsschleier.

Das Video verbreitete sich im arabischen Raum wie ein Lauffeuer und nach dem Mädchen mit dem Minirock wurde landesweit gefahndet. In sozialen Medien war von Landsleuten unter anderem zu lesen, dass die "Ketzerin zur Rechenschaft gezogen" werden muss, eine "Verräterin", die dafür bestraft werden soll, "das Ansehen des Landes beschmutzt" zu haben. Andere Stimmen bejubelten ihren Mut. Für die arabische Sittenpolizei eine gesetzeslose Verbrecherin, gleichzusetzen mit einem Ladendieb oder einer Auto fahrenden Frau. Und im Mittelpunkt der Hysterie steht ein lächerlicher Minirock.

Viel Tamtam um etwas Stoff. Ähnlich groß war hierzulande die Aufregung vor nur einigen wenigen Monaten rund um das Thema des Vollverschleierungsverbots im Rahmen des Integrationsgesetzes, das nun per 1. Oktober in Kraft tritt. Kritische Stimmen, darunter die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), sehen dabei einen Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte.

Weiters wird argumentiert, dass das Vollverschleierungsverbot mehrheitlich saudische Touristinnen in Nobelorten betreffe und die Diskussion ohnehin überzogen sei. Dass Touristinnen, die in muslimisch-konservative Länder reisen, dazu angehalten werden, sich je nach landestypischen Bekleidungsvorschriften zu verhüllen, um einer allfälligen Bestrafung zu entgehen, wird in dieser Debatte gerne ausgeklammert oder mit Sätzen wie "Man muss sich eben als Tourist anpassen" abgeschmettert. Persönliche Freiheitsrechte, die eben nur einseitig und nach Belieben gelten sollen. Dieser Widerspruch scheint unauflöslich.

Es mutet unglaubwürdig an, sich in der Diskussion um das Vollverschleierungsverbot auf Freiheitsrechte zu stützen, gleichzeitig aber dann zu schweigen oder Verständnis für die lokalen Werte einzufordern, wenn persönliche Freiheitsrechte von konservativ-muslimischen Ländern mit Füßen getreten werden oder gleichsam inexistent sind.

Doch zurück zum aktuellen Minirock-Gate. Alsbald wurde die Dame zur Erleichterung der konservativen, empörten Sittenwächter gefasst und intensiv verhört. Nachdem sie glaubhaft vermitteln konnte, dass das Video ohne ihr Wissen veröffentlicht wurde (was nämlich auch strafbar ist) und nachdem das Scheinwerferlicht der kritischen, internationalen Öffentlichkeit auf den Fall gerichtet war, wurde sie freigelassen. Was mit der jungen Frau ohne die breite Medienbegleitung passiert wäre, kann nur vermutet werden.

2016 hat der neue Machthaber Saudi-Arabiens gesellschaftliche Modernisierungsmaßnahmen angekündigt. Das Land soll schrittweise geöffnet werden. Vielleicht kann Österreich seinen Beitrag dazu leisten, indem das steuerfreie und hoch umstrittene König-Abdullah-Dialogzentrum in Wien seinen Aufgaben nachkommt und eine Brücke zwischen dem erzkonservativen Saudi-Arabien und dem modernen Westen bildet. Es gibt nämlich offenbar noch sehr viel zu tun.

Katia Wagner

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