Heavy-Metal-Kult

W.A.S.P.: Missverstandene Legenden

Musik
26.01.2018 07:00

W.A.S.P. gehören zu den größten Heavy-Metal-Bands der Geschichte und haben mit ihren angriffig-provokativen Shows jahrelang für Empörung gesorgt. Mit "The Crimson Idol" gelang der Band rund um Frontmann Blackie Lawless 1992 eines der wichtigsten Konzeptalben der Metalgeschichte. Nun wird es auf "Re-Idolized" mit vier Songs erweitert und auch filmisch umgesetzt. Lawless sprach mit uns im Interview aber auch über seinen wiedergefundenen christlichen Glauben, die harte Zeit als Teenager in Los Angeles und warum er und seine Band stets für gefährlicher gehalten wurden, als sie schlussendlich jemals waren.

(Bild: kmm)

Für Fans der amerikanischen Heavy-Metal-Legende W.A.S.P. erfüllte sich letzten Herbst ein kleiner Traum. In der ausverkauften Wiener Arena zelebrierte die Kultband ihr legendäres 1992er Konzeptalbum „The Crimson Idol“ zur Gänze und bot damit den idealen Anheizer für das in wenigen Tagen erscheinende „Re-Idolized (The Soundtrack To The Crimson Idol)“, die extensive Wiederauflage des wohl ambitioniertesten Werkes der einst so skandalträchtigen Band. Das damals fünfte Studioalbum der Kalifornier gilt noch heute als Opus Magnum in der W.A.S.P.-Diskografie und wurde von Fans und Kritikern gleichermaßen verehrt. Das Konzeptwerk erzählt die Geschichte von Jonathan Aaron Steele, einem missbrauchten Kind auf der Suche nach Liebe, das als junger Mann Trost und Kraft in der Musik findet, zum internationalen Rockstar aufsteigt und schließlich einen katastrophalen Absturz hinlegt.

Kapitel abgeschlossen
Autobiografische Züge vermischte W.A.S.P.-Boss und Frontmann Blackie Lawless mit fiktionalen Erzählsträngen und erschuf damit ein in der Heavy-Metal-Szene nur selten zu findendes Gesamtwerk, das einem vertonten Roman glich. „Das Album zu kreieren war wirklich ein hartes Stück Arbeit, das werde ich nie vergessen“, sagt der ganz und gar nicht kantige Sänger entspannt im „Krone“-Interview, „Stolz ist vielleicht der falsche Ausdruck dafür, aber dieses Album hat in der ganzen Szene einen besonderen Status.“ Doch erst in der Neuauflage findet die gesamte Geschichte ein Vierteljahrhundert später zu einem runden Ende. Ursprünglich plante Lawless, zum Album einen Film herauszubringen, wofür mehrere Hundert Stunden Material gedreht wurden, die damals aber nie zu einem Endprodukt führten. Nun schließt sich der Kreis mit der heiß ersehnten Veröffentlichung des Werkes samt vier bislang unveröffentlichten Songs, die ein essenzieller Teil der Gesamtstory sind. „Ich wollte die Songs damals schon auf das Album geben, aber das Label war nervös, weil schon so viel Zeit verstrich. Für mich ist das Kapitel über dieses Konzept nun abgeschlossen.“

Für Lawless und seine Band bedeutete „The Crimson Idol“ eine Zäsur. Einerseits war es – nach ersten Ansätzen auf dem 1989 erschienenen Vorgänger „The Headless Children“ – erstmals ersichtlich, dass sich der einstige Bürgerschreck verstärkt der Religiosität zuwandte, andererseits überstanden W.A.S.P. die Grunge-Welle und das damit einhergehende Ende des Heavy Metal im Gegensatz zu vielen anderen Bands relativ unbeschadet. Anstatt aufkommenden Trends zu folgen, blieb man seinen Idealen auch fürderhin treu und erarbeitete sich damit die dichte Fanbase, die noch heute für die hohe Popularität der Band verantwortlich ist. Lawless verwandelte sich zum wiedergeborenen Christen und änderte sich über die letzten Jahre radikal. Songs wie das sehr populäre „Animal (Fuck Like A Beast)“, das in Verbindung mit exzessiven Liveshows und Lawless‘ bedrohlicher Ausstrahlung in den 80er- und 90er-Jahren für Schrecken und Entsetzen sorgte, hat er gänzlich von seiner Agenda gestrichen. „Ich will heute einfach Negatives vermeiden, das habe ich nicht mehr nötig.“

Gott ist der Boss
Seine religiöse Seite will er in subtiler Art und Weise teilen. „Ich will nicht predigen, so etwas braucht niemand. Aber ich will eine positive und lebensbejahende Einstellung vermitteln.“ Einen konkreten Lebenswendepunkt für seine Zuneigung zum Christentum gab es nicht. „Ich habe 20 Jahre mit dem Glaubensaspekt gerungen. Ich war immer auf der Suche nach Beweisen, dass Religion künstlich wäre und ich alle Gläubigen Lügen strafen könnte. Je mehr ich aber danach suchte, umso mehr wurden meine Theorien widerlegt. Es gibt 66 Bücher von 40 verschiedenen Autoren über einen Zeitraum von 250 Jahren, die auf drei verschiedenen Kontinenten erschienen und inhaltlich fast deckungsgleich sind. Das war für mich das entscheidende Zeichen, das ich Unrecht hatte. Ich gab auf, denn Gott ist einfach der Boss.“

Missverstanden fühlte sich Lawless schon lange vor seiner Reinkarnation in der Religion. W.A.S.P. wurden als wilde, unkontrollierbare Biester gesehen, die gekommen waren, um Kinder von ehrbaren Bürgern zu fressen und die gute Etikette zu schänden. „Wir haben von Anfang an die sozialen Missstände in Amerika kommentiert, aber das haben die Menschen nicht verstanden. Die Leute sahen uns als die große Schockrock-Band, die wir nie sein wollten. Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit war tatsächlich dramatisch anders, als unsere Intention mit der Band.“ Anstatt die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, wollten W.A.S.P. mit ihren hervorstechenden Showelementen wie Kunstblut oder Kreissägen die harsche Realität kommentieren. „Die Geschichte ist nun geschrieben und was ich heute darüber denke, ist irrelevant. Ich schaue heute lieber nach vorne und versuche, positive Energien freizusetzen.“

Nahezu obdachlos
Ganz anders als „The Crimson Idol“ vermuten lassen würde, hatte Lawless alles andere als eine schlimme Kindheit in seinem Geburtsort Staten Island in New York. „Es gab überhaupt kein Drama bei uns zuhause. Ich war gesegnet, denn Vater und Mutter liebten mich über alles.“ Daheim lernte er nicht nur seinen guten Freund, ex-KISS-Gitarrist Ace Frehley kennen, sondern entdeckte den Okkultismus für sich und kam als 13-Jähriger in eine Auseinandersetzung, bei der er Stichverletzungen davontrug. Als Strafe musste er in die Militärschule und zog danach relativ früh an die Westküste nach Los Angeles. „Dort hasste ich jeden einzelnen Tag. Der Wandel in meinem Leben war brutal und mir ging es schlecht. Ich schlief bei Bekannten auf dem Boden, hatte keinen müden Cent in der Tasche und war nahe der Obdachlosigkeit. Ich musste jetzt nicht auf der Straße leben, aber viel fehlte nicht dazu.“

Schon damals verfolgte der Rockfan das ehrgeizige Ziel, Profimusiker zu werden. „Wenn du nicht weißt, wie und woher du deine nächste Mahlzeit kriegst, dann kreiert diese Situation ein konstantes Stadium von Unsicherheit und Angst. In keinem Bereich meines Lebens gab es Sicherheit, das schwebte stets wie eine unsichtbare Axt über meinen Kopf.“ Die harte Zeit in der glamourösen Sonnenmetropole prägte das Weltbild des fast zwei Meter großen Hünen nachhaltig. „Du wählst nicht die Musik, sie wählt dich. Ich habe mir in den harten Zeiten oft überlegt, was ich mit meinem Leben anfangen soll, aber alles andere war keine Option. Es kostet viel Überwindung, zu seinen Zielen zu stehen und sie kompromisslos durchzuziehen. Man muss unheimlich viele Opfer bringen.“

Facetten des Erfolgs
Mitte der 80er-Jahre starteten W.A.S.P. im Jahrestakt mit drei grandiosen und gefeierten Alben durch und wurden durch die Mischung aus musikalischer Qualität und dem missverstandenen Äußeren zu internationalen Topstars. Mit dem plötzlichen Ruhm konnte er gut umgehen, weil er die Veränderungen des Lebens bei KISS-Freund Frehley in noch viel größerem Ausmaß erlebte. „Bei KISS passierte alles über Nacht. Anfangs siehst du nur die guten Dinge, die dir widerfahren, aber es kann dich auf Dauer auch in den Wahnsinn treiben, weil du dich unweigerlich von dir selbst entfernst. Es geht nur mehr nach oben und du kannst vieles nicht mehr kontrollieren – eine unheimliche Herausforderung. Erfolg ist nicht für jeden dasselbe.

Mir ging es immer um Anerkennung und Respekt, und nicht um Ruhm und Geld. Ich hatte aber eine andere Vorstellung als die Öffentlichkeit. Anstatt dass man mir und meinen Texten zuhörte, kamen haltlose Vorwürfe und das gleißende Rampenlicht. Meine Vorstellung von Erfolg war einfach die falsche für dieses Geschäft.“ Und hier schließt sich der Kreis zu „The Crimson Idol“: „Das ganze Album ist darauf aufgebaut, dass man einfach extrem vorsichtig sein sollte, was man sich vom Leben wünscht.“ Noch heute lebt der Künstler mit seiner Frau abgeschiedene eineinhalb Stunden von Los Angeles entfernt, wo es mehr Farmen und Kühe als Menschen gibt. Ein nötiger Ausgleich für die vielen Städtereisen und Touren, mit denen Lawless immer noch recht souverän seinen Lebensunterhalt bestreitet. Ohne den Wanderprediger heraushängen zu lassen.

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