Experten warnen:

Wer Kinder nicht impfen lässt, handelt fahrlässig

Tirol
17.06.2017 13:31

Seit Krankheiten, die bereits als ausgestorben galten, wieder aufkeimen, ist die Impf-Debatte wieder voll entbrannt. Daher stellte die "Krone" zwei Experten, nämlich Dr. Günter Weiss und Dr. Jürgen Brunner von der Universitätsklinik Innsbruck/tirol kliniken, die Frage: Ist impfen gut oder schlecht?

Krone: Ist Impfen etwas Gutes oder Schlechtes?

Günter Weiss: Insgesamt muss man sagen, das Impfen eine der größten Errungenschaften der modernen Medizin ist, die dazu beigetragen hat, dass die Lebenserwartung deutlich zugenommen hat. Das Impfen hatte seine Hochblüte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erlebt, was dazu führte, dass einige Infektionen völlig verschwunden sind.Pocken als Todesurteil.

Können Sie Beispiel dafür nennen?

Weiss: Die Pocken. Wenn man zum Beispiel in die Kapuzinergruft in Wien geht, wo die Habsburger begraben sind, findet man viele Kinder, die an den Pocken gestorben sind. Das war im 17. und 18. Jahrhundert. Viele, die die Pocken bekamen, sind daran verstorben. Aber auch Polio (Kinderlähmung, Anm.) war noch bis in die 1960er-Jahren ein Schreckensszenario. Die Krankheit hat zu schweren Lähmungen bis hin zum Tod geführt. Es gibt heute noch Menschen, die an den Spätfolgen von Polio leiden. Mit der Einführung der Impfung in den Jahren 1961/62 konnte diese Krankheit völlig verdrängt werden. Dasselbe gilt auch für Masern, die früher sehr häufig auftraten und mitunter zu schweren Schäden führten, aber durch die Impfung bei uns dann fast verschwunden waren. Weltweit sterben heute noch bis zu 200.000 Menschen, vor allem Kinder.

Und warum gibt es nun wieder vermehrt Impfgegner?

Weiss: Viele kennen diese Krankheiten nicht - weil es die Impfungen gab. Eltern fragen sich: Warum soll ich meine Kinder impfen, wenn es die Krankheiten eh nicht mehr gibt? Das ist die Crux. Denn genau das führt dazu, dass diese Krankheiten dann wieder auftauchen.

Impfen ist also gut?

Weiss: Ja!

Handeln Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, fahrlässig?

Jürgen Brunner: Diese Frage kann man eindeutig mit Ja beantworten. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wegen der Kinder selber, die Gefahr laufen, an diesen Krankheiten, die man durch Impfungen vermeiden kann, zu erkranken. Natürlich können die Krankheiten glimpflich verlaufen, sie müssen es aber nicht. Masern können auch auf die Lunge oder Hirnhaut übergreifen - und das kann zu schweren Komplikationen und auch zum Tod führen. Diese Komplikationen können erst Jahre oder Jahrzehnte später auftreten. Das selbe gilt auch für Schafblattern/Windpocken. Das Immunsystem der Kinder ist im Falle einer Erkrankung über Wochen und Monate angeschlagen und die Kinder können an bakteriellen Infektionen erkranken.

Und was ist der zweite Grund, warum nicht impfen fahrlässig ist?

Brunner: Es geht nicht um das eigene Kind, sondern auch um andere Kinder und erwachsene Mitbürger. Es gibt immer mehr chronisch-kranke Menschen mit Autoimmunerkrankungen. Diese haben ein geschwächtes Immunsystem. Diese stecken sich viel schneller an Krankheiten, die es dank Impfungen eigentlich nicht mehr geben sollte, an und leiden auch viel stärker darunter. Wenn ein Kind Schafblattern hat und einen gefährdeten Mitmenschen ansteckt, dann kann das bei demjenigen zu einer sehr, sehr schweren Krankheit führen.

Das klingt alles sehr plausibel. Trotzdem gibt es immer mehr Impfgegner. Warum das?

Brunner: Zum einen sind es die Ängste vor Nebenwirkungen. Zum anderen glauben diese Personen, dass die Ärzte mit der Pharma-Industrie unter eine Decke stecken und sich daran eine goldene Nase verdienen. Und zum Dritten sind viele Eltern damit überfordert, weil sich mit einem Kind ohnedies alles verändert. Es wäre vielleicht sinnvoll, bereits in der Schwangerschaft eine Impfberatung anzubieten. Und dann gibt es noch die militanten Impfgegner, die im Internet unter dem Deckmantel der Anonymität Unwahrheiten verbreiten. Leider schenken einigen diesen Meinungen mehr Vertrauen als uns Fachleuten.

Was halten Sie von einer Impfpflicht?

Weiss: Das ist ein sehr drastischer Schritt. Italien hat das bereits eingeführt. Besser ist es, zu informieren und dadurch Skeptiker überzeugen.

Wie ist das mit den Impf-Nebenwirkungen?

Weiss: Das ist so eine Sache. Eine fieberhafte Reaktion auf eine Impfung ist normal und zeigt, dass das Immunsystem reagiert, was ja erwünscht ist. Es kann passieren, dass eine Person drei Stunden nach einer Impfung einen Herzinfarkt erleidet. Statistisch gesehen gibt es halt pro Tag so und so viele Herzinfarkte. Doch im ersten Moment schiebt man das sicher auf die Impfung. Aber es gibt gute Impfregister - zum Beispiel in Dänemark. Da wurden geimpfte und nicht geimpfte Kinder auf Autismus überprüft. In beiden Gruppen trat Autismus gleich häufig auf. Daraus kann man schließen, dass Impfungen nicht zu Autismus führen, wie Impfgegner gerne behaupten. Es wäre sinnvoll, solche Gesundheits- und Impfregister auch in Österreich einzuführen. Die würden sehr helfen, mit Impf-Vorurteilen aufzuräumen, aber auch mögliche Probleme frühzeitig zu erkennen.

Wie oft kommt es vor, dass Menschen nachweislich an den Folgen einer Impfung sterben?

Brunner: Nie. Das wird zwar gerne in den einschlägigen Internetforen behauptet, es konnte aber noch nie nachgewiesen werden.

Kann eigentlich jeder geimpft werden?

Weiss: Nein. Kinder mit Immundefekterkrankungen können nicht mit Lebendimpfungen versorgt werden. Mit so genannten Totimpfstoffen aber schon.

Und was sagen Sie zum Vorwurf, dass Ärzte und Pharma-Industrie hier unter eine Decke stecken?

Weiss: Mit Impfstoffen kann man heute nicht mehr so viel Geld verdienen, wie mit anderen Medikamenten. Das merkt man auch daran, dass manche Impfstoffe nur sehr schwer lieferbar sind. Wäre das Geschäft so lukrativ, dann würde man mit Impfstoffen von den Pharma-Industrie zugeschüttet werden.

Muss man sich gegen alles und jedes impfen.

Weiss: Nein. Gegen Rotaviren brauche ich mich jetzt in Tirol nicht unbedingt impfen lassen. Auch wenn es die Impfung gibt. Und die 85-jährige Dame im Altersheim muss jetzt nicht gegen FSME geimpft werden.

Empfohlene Impfungen für Kinder

Text: Tetanus, Diphtherie (Atemwege), Keuchhusten, HiB (der Keim Haemophilus influenzae B verursacht vor allem bei Kindern Entzündungen des Nasen-Rachen-Raumes sowie Mittelohr- oder Lungenentzündungen), Polio (Kinderlähmung) und Hepatitis B (das ist eine Sechsfachimpfung, die mit einer Spritze verabreicht wird). Masern, Mums und Röteln. Erwachsene müssen Impfungen regelmäßig auffrischen

Die Experten

 

Prof. Dr. Günter Weiss ist Direktor der Inneren Medizin II mit den Schwerpunkten Infektiologie, Immunologie, Rheumatologie und Pneumologie an der Uniklinik Innsbruck/tirol kliniken.

Priv. Doz. Mag. Dr. Dipl.oec.med. Jürgen Brunner (50), ein gebürtiger Nürnberger, der in Innsbruck lebt, ist geschäftsführender Oberarzt des Departments Kinder- und Jugendheilkunde an der Uniklinik Innsbruck/tirol kliniken.

Markus Gassler, Kronen Zeitung

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