Zwischen Alpen und Adria liegt eine Stadt, deren Geschichte so vielschichtig ist wie ihre Küche: Görz, Nova Gorica, Gorizia. Wer hierher reist, der schmeckt Geschichte.
Nizza der Habsburger wurde es genannt. Die slowenische, venezianische, friulanische, die italienische, jüdische und österreich-ungarische Kultur prägten die Stadt und das hügelige Umland. Mildes Klima, die Winter sonnig, das Meer nahe, Grado/Gradišče unweit, keine Bora.
Kaiser, Könige, Päpste und Künstler, Emigranten wie der letzte König von Frankreich, Charles X von Bourbon, Casanova, Valvasor, Carlo Michelstaedter. Angeblich kam Dante bis zur unweit liegender Quelle des Timavo, Handke jedenfalls schaute vorbei, einige schrieben darüber. Robert Seelig baute 1907 den Jugendstil-Bahnhof, der Architekt Max Fabiani erhält die Einladung, die 1915 unter Dauerbombardement zerstörte Stadt wieder aufzubauen. Den Bahnhofsplatz teilte ab 1947 der Eiserne Vorhang.
Stellungsgskrieg, der größte Soldatenfriedhof der Welt, von offener Region in der Monarchie, bis zur geteilten Stadt, von Schönheit der Poesie bis zur Brutalität des Hasses – alles hat diese Region, hat diese Stadt gesehen.
Geschälte Zwetschgen, Gubana, die Geburt des Reindlings, vom Soltanski radič, dem Rosso di Gorizia bis Štrukli, den Görzer Klöppel-Spitzen und der Vereinigung der mediterranen und alpinen Geschmäcker, zusammengefügt aus jahrhundertealter Durchmischung, von Pilgern und Völkern bewandert, von Durchreisenden belebt und von vor Ort Verblieben bereichert. Das alles schmeckt man bis heute in den Speisen.
Die Region hat Krieg und Versöhnung durchgemacht. Der Isonzo bzw. die Soča wurde besungen und beweint:
rot vom Blut gefallener Soldaten. Schön bist du, muntres Alpenkind (…) doch um dich Blei wie Hagelschauer, / ein Regen Blut´s ein Tränenstrom, / und Blitz und Donner – Tod und Trauer!
dichtet Simon Gregorčič schon 1879, 35 Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Begünstigt von der Natur: 100 Apfelsorten, frühreife Kirschen, geschälte Zwetschgen, die bis Lemberg und in die USA geliefert werden. Der Chicoree, den die Bauern schon Mitte des 19. Jahrhunderts dort angebaut haben, um auch im Winter Vitamine zu bekommen, ist heute weltweit unter dem Namen Rosso di Gorizia/Rose von Görz, bekannt. Der heute Solkaner oder Görzer genannte Radicchio wird auch in der bezaubernden Jugendstil-Markthalle der wiedervereinigten Stadt angeboten.
Erst 2004, 15 Jahre nach der Berliner Mauer, wurde in Görz die Mauer abgetragen. Ein hundertjähriges Misstrauen begann sich ab da zurückzunehmen und den tiefsitzenden Traumata Adieu zu sagen. Was einst ein Ganzes war, dazwischen fremd und unnahbar, fängt an, sich wieder zu verschmelzen, was in den Geschmäckern immer schon vorhanden war.
Eine Rose ohne Dornen
Die Rose von Görz – eine einzigartige Radiccio-Sorte – ist nicht nur ein wohlschmeckende Gemüse: frisch und roh mit Bohnen und gekochten Eiern, unserem Röhrl-Löwenzahn-Salat im Geschmack und in der Zubereitung nicht unähnlich, oder schnell in Olivenöl angebraten, mit grobem Meersalz verfeinert. Sie hat auch zahlreiche heilende Bestandteile, wirkt reinigend, enthält Eisen, Kalzium, Antioxidantien, Folsäure und Vitamine, Polyphenole Anthocyane, die helfen, das Herz-Kreislauf-System zu erhalten. Der bittere Geschmack regt die Verdauung an und reguliert den Blutzuckerspiegel.
Kochen ist Kultur
Kulturell spezifische Merkmale halten sich über Jahrhunderte, auch wenn von der ursprünglich gesprochenen Sprache nichts mehr darauf schließen lässt. Man ahnt sie in den Dialekten, den Flurnamen und – in traditionellen Essgewohnheiten und Rezepturen von Speisen: Reindling, Pohača, Potice, Gubana, Wazanes. Die Gubana, ursprünglich aus dem Tal der Nadiža bzw. des Natisone nahe Görz/Gorica/Goriza, hat sich überall dort in besonderen Zubereitungsmethoden erhalten, wo einst die Übergänge zwischen dem Slowenischen und Friulanischen waren.
„Jeder Mensch trägt die Unendlichkeit in sich. Und zwar dank sprachlicher Regeln, die wir alle tagtäglich befolgen“, sagt der Linguist Noam Chomsky im Gespräch mit Martin Legros im „Philosophie Magazin“. Die geschmackliche Erinnerung ist eine zweite dieser Unendlichkeiten, die das Überleben der Menschen möglich macht.
Wie Görz isst
In ihrem Kochbuch „Jedi na Goriškem“, Nova Gorica 2003, führt die Herausgeberin Slavica Plahuta alleine im Kapitel „Potice – Reindling“ 43 verschiedene süße und salzige Rezepte an. Anna Maria Sanguineti hält im von ihr edierten Kochbuch ihrer Familie „La cucina goriziana“ die Casa Rubbia in knapp 200 Rezepten eine 200 Jahre währende Tradition der Görzer Kulinarik fest – beginnend mit den jüdischen Vorfahren, die sich bis 1804 Romanini schrieben und nach der Konvertierung zum Christlichen Rubbia nannnten.
Joj, joj, joj!
Joj, joj, joj,
polenta in fižol,
Polenta und Fisoln,
slane ribe in oblice –
g‘salzne Fisch‘, Kartoffelschalen –
to je živež moj!
davon leb ich wohl!
ANA PRINČIČ, *1905
Notiert von Liljana Prinčič
Boj ko si dobr, boj si oslu podobn!
Je besser du bist, desto mehr gleichst dem Esel!
Beide Zitate sind dem Band Europa erlesen Collio/Brda entnommen (Wieser Verlag).
Zur Geschichte der Gubana erzählt sie: Die Gubana sei ein traditionelles Ostergebäck, das auch zu Weihnachten gegessen wurde. (…) Die ersten schriftlichen Rezepte stammen aus dem 18. Jahrhundert, aber sie wisse nicht mit Sicherheit, ob es heimisch oder von auswärts wäre. Eine Version lege sogar nahe, dass die Gubana die Görzer Version einer uralten Tiroler Nachspeise – des Walnussstrudels oder des Tiroler Strudels – sei.
George Desrues weiß von noch einem weiteren Rezept zu berichten (Die Welt): „Eine weitere Zubereitungsart ist der Struccolo, den die Slowenen Štruklji nennen und der dem österreichischen Strudel ähnelt. ,Bei uns hier weht eben zugleich ein friaulischer, slowenischer und österreichischer Wind, der sich auch in der Küche widerspiegelt‘, erzählt ihm Signora Fabbro, die ihren Strudel aus Kartoffelteig macht, die Rose von Görz darin einrollt, das Ganze im Wasserbad gart, in Scheiben schneidet, mit flüssiger Butter übergießt und schließlich geräucherten Ricotta darüber reibt.“
Besonders die Einwohner von Brda ziehen und verarbeiten viel Obst und verkaufen es weitum, auch in nördliche Länder. Frühe Kirschen produzieren sie viel; sie verdienen sehr viel damit. Geschältes Obst (Zwetschgen, Pflaumen, Feigen, Pfirsiche usw.) schicken sie sogar nach Nordamerika. Dieses Handwerk ist so entwickelt, dass sie gezwungen sind, frisches Obst aus Kroatien, Slawonien und Bosnien einzuführen, damit sie es in großen Mengen schälen und verbreiten.
„I liaßat Kirsch‘n fia di wachs‘n“, schrieben Karl Hodina und Walter Pissecker und dachten dabei vermutlich nicht an die slowenische Goriška Brda. Ein Ausflug zu unseren Nachbarn zahlt sich trotzdem aus – besonders zurzeit! Die zarten Blüten sind vorüber, die kleinen, grünen Kugeln reifen gerade zu saftigen, süßen Früchten heran.
Und sie sind überall: An jeder Straßenecke blitzen sie rot hervor – sie wechseln sich ab mit Olivenbäumen und Weinreben. Direkt vom Baum gepflückt schmecken die Kirschen grandios – doch mit ihnen wird auch in der lokalen Küche experimentiert, gern in Kombination mit dem wild wachsenden, grünen Spargel
In Brda wächst auch der Ölbaum, der aber nicht (nur) in Ölgärten gepflanzt wird, sondern hier und da in den Weinbergen. Und wer braucht schon Supermärkte? Die Hausfrauen und Köche der Goriška Brda setzen auf uraltes Wissen über Kräuter und wild wachsende Pflanzen. Sie verzichten auf gut sortierte Lebensmittelläden und begeben sich selbst auf die Suche – nach intensivem Barlauch, nussigem Spargel, vielfältiger Schafgarbe, frischer Minze, saftiger Melisse und knackigem Röhrl-Salat. Diese natürlich gewonnenen Zutaten werden verkocht und gebacken – daraus entstehen besondere Gerichte, etwa die Frtalja, ein herzhaftes Omlette, das seinen intensiven Geschmack den Kräutern zu verdanken hat.
Mehr als 100 Winzer nennen die Goriška Brda außerdem ihre Heimat – und einige wenige schaffen es unter die besten 100 Weine der Welt! Dazu zählt etwa das Weingut Kabaj: Die Familie Morel betreibt die Landwirtschaft seit rund 50 Jahren und blickt seit einiger Zeit über den Tellerrand – Pardon: den Wein-glasrand – hinaus. Exzellente mehrgängige Menüs, bei denen Regionalität und Saisonalität im Fokus stehen, werden mit Weinbegleitung aus dem eigenen Haus serviert. Für Süße: Vor der Nachspeise gibt es eine Vor-Nachspeise!
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