Alfred Stingl ist tot. Der beliebte Grazer Altbürgermeister war weit über alle Partei- und Landesgrenzen hinaus hochgeschätzt. Am 29. Mai 2025, einen Tag nach seinem 86. Geburtstag, hat der große Steirer nach schwerer Krankheit für immer seine Augen geschlossen. Bis zuletzt setzte er sich für Mitmenschen ein.
Vom Bau des Kunsthauses, der Murinsel, der Stadthalle, des Literaturhauses oder der Helmut-List-Halle, über den Wiederaufbau der Synagoge, die Gründung der FH Joanneum, die Neuausrichtung der Geriatrischen Gesundheitszentren bis hin zu den Vorbereitungen für das Kulturhauptstadtjahr 2003 – auch die Erklärung der Grazer Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe im Jahr 1999 und dass die Murmetropole 2001 zur ersten Menschenrechtsstadt Europas gekürt wurde, fiel in die Amtszeit von Alfred Stingl.
Der gelernte Schriftsetzer, der erst am Mittwoch seinen 86. Geburtstag gefeiert hat, hinterlässt der Landeshauptstadt also zweifellos ein großes Erbe. Doch waren es vielmehr seine Taten und Worte, die sich in die Köpfe und vor allem Herzen von vielen Grazern gebrannt haben. Während heute sich viele Politiker aller Couleur den Vorwurf gefallen lassen müssen, mit den „normalen“ Menschen zu fremdeln, waren Stingl Berührungsängste von jeher fremd.
Mehr als 20 Jahre lang zeichnete er für das Sozialressort im Rathaus verantwortlich. Das Helfen der Schwächeren war ihm über Jahrzehnte hinweg Antrieb und Herzensangelegenheit. Bis es nicht mehr ging, setzte er sich nach seiner Politkarriere etwa als Schirmherr der Aktion „Von Mensch zu Mensch“ der Woche Graz (jetzt Mein Bezirk) für benachteiligte Menschen ein.
Selbst Kreisky holte sich von Stingl einen Korb
Mehrmals ereilte Stingl der Ruf aus Wien – auch Bruno Kreisky wollte den über alle Parteigrenzen hinaus hochgeschätzten Grazer in die Bundespolitik holen. Doch der blieb seiner Heimatstadt stets treu: „Es wäre sehr ehrenvoll gewesen, aber etwas kommunalpolitisch zu bewirken ist schöner und befriedigender“, sagte er einmal.
Eine seiner bittersten Stunden war wohl die Gemeinderatswahl 1998, als die SPÖ auf damals unvorstellbare 30,9 Prozent abstürzte, Stingl blieb zwar Bürgermeister, legte aber den Parteivorsitz zurück. Fünf Jahre später war die ÖVP an der Macht. Dass seine Sozialdemokraten bei der letzten Wahl nicht einmal zehn Prozent erreichten, war für Stingl ein Schlag in die Magengrube und ließ ihn fassungslos zurück.
„Du bist der Erfinder der Nächstenliebe“
Über all die Jahre blieb er aber für viele Grazer in der Straßenbahn oder beim Stadtbummel der „Herr Bürgermeister“. Das vielleicht treffendste Zitat dazu stammt von seinem Enkel Max anlässlich der Feierlichkeiten zu seinem 80. Geburtstag: „Du bist der Erfinder der Nächstenliebe.“
Am 29. Mai 2025, einen Tag nach seinem 86. Geburtstag, hat der große Steirer nach schwerer Krankheit für immer seine Augen geschlossen. Es mag vielleicht trösten, dass er nun mit seiner geliebten Gattin Elli, die er nach ihrem Schlaganfall jahrelang und aufopferungsvoll pflegte, wieder vereint ist – denn so es ihn tatsächlich gibt, ist für Alfred Stingl zweifellos ein Ehrenplatz im Himmel reserviert.
Er war „ein Suchender, ein Ringender, ein Strebender, ein Dienender, wie man ihn sich als Politiker kaum schöner vorstellen kann“: So wurde Alfred Stingl vom Forum für Weltreligionen im Jahr 2012 beschrieben. Daran erinnerte die Grazer KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr am Freitag in einer Aussendung, in der sie ihre große Betroffenheit zum Ausdruck brachte: „Seiner inneren Überzeugung folgend, dass ein Stadtoberhaupt nicht nur parteipolitisch denken darf, sondern sich um das Vertrauen aller zu bemühen hat, war er unaufhörlich bestrebt, als integrative Kraft für das Wohl ,seiner´ Grazerinnen und Grazer aktiv zu sein“, heißt es in dem Schreiben unter anderem. Prägend wären vor allem seine „Willensstärke, Konsequenz und Bürgernähe“ gewesen.
„Eine der größten Persönlichkeiten in Geschichte der Sozialdemokratie“
Der steirische SPÖ-Chef Max Lercher hob den beständigen Einsatz Stingls für soziale Themen hervor: „Sein unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen hat die politische Arbeit von Alfred Stingl geprägt und viele über Parteigrenzen hinweg inspiriert. Er hat seine Tätigkeit stets dem Anspruch gewidmet, dass die Stadt Graz dem Titel einer Menschenrechtsstadt gerecht wird. Mit Alfred Stingl verlieren wir eine der größten Persönlichkeiten in der Geschichte der steirischen Sozialdemokratie. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie, seinen Freundinnen und Freunden sowie seinen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern.“
„Bescheidenheit und Bürgernähe haben mich beeindruckt“
„Am besten ehren wir ihn, indem wir seine Werte leben. Ich wünsche seiner Familie und den vielen, die ihm nahe waren, viel Kraft“, reagierte die Grazer Vizebürgermeisterin Judith Schwentner. „Politik hat er stets als Dialog und Auf-Einander-Zugehen verstanden, weit über seine Funktionsperiode hinaus.“ Und weiter: „Seine persönliche Bescheidenheit und echte BürgerInnennähe haben mich schon als Kind beeindruckt, wenn er morgens in derselben Straßenbahn wie ich auf dem Weg zur Arbeit gesessen ist.“
„Soziales Gewissen der Stadt“
Große Trauer brachten auch die VinziWerke in einer Aussendung zum Ausdruck. Stingl habe ein Zeichen für eine soziale Stadt und die Menschen in Not gesetzt und nach seinem Rückzug aus der Politik als das „soziale Gewissen“ der Stadt Graz gegolten. Unter seiner Führung unterschrieb die Stadt Graz 2001 die Menschenrechtserklärung und ernannte sich damit zur „ersten Menschenrechtsstadt Europas“. Die frisch gewählte VinziWerke-Obfrau Martina Schröck zeigte sich betroffen: „Wir sind sehr traurig, dass wir einen glühenden Europäer, großen Humanisten und engen Verbündeten der VinziWerke verlieren.“
„Prägende Persönlichkeit der Grazer Stadtpolitik“
Landeshauptmann Mario Kunasek zeigt sich betroffen vom Ableben von Stingl. „Alfred Stingl war eine prägende Persönlichkeit der Grazer Stadtpolitik. Fast zwei Jahrzehnte lang war er mit Herzblut und Engagement Bürgermeister der steirischen Landeshauptstadt. Mein tiefes Mitgefühl gilt seinen Angehörigen.“
Landeshauptmann-Stellvertreterin Manuela Khom würdigte ihn als „einen großen Visionär und Vordenker, der mit vielen Ideen seiner Zeit voraus war“. „Ob in der Verkehrspolitik, in der Kultur oder im Sozialbereich, auf vielfältige Art und Weise setzte er neue Maßstäbe. Er verstand es, über Parteigrenzen hinweg an einer guten Zukunft für unsere Landeshauptstadt zu arbeiten.“
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