Braathen im Interview:

„Ich fühle mich frei und bin glücklich darüber“

Ski Alpin
16.01.2024 06:00

Mit gerade einmal 23 Jahren hängte er seine Ski an den Nagel, vor rund drei Monaten gab er seinen Rücktritt bekannt. Lucas Pinheiro Braathen kehrt heuer als Zuschauer zum Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel zurück. Die „Krone“ traf ihn am Montag zum Interview in der Gamsstadt. Er sprach über seine ganz besondere Verbindung zu diesem Ort, die bis in seine Kindheit zurückreicht, gewährte tiefe, persönliche Einblicke in seine Gefühlswelt und sprach auch über ÖSV-Ass Manuel Feller - siehe auch das Video. 

„Krone“: Willkommen in Kitzbühel, Lucas Braathen. Wie fühlst du dich, wenn du in diese Stadt zurückkehrst?
Lucas Pinheiro Braathen: Es fühlt sich jedes Mal besonders an. Ich habe eine ganz besondere Verbindung zu diesem Ort, er nimmt einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Hier habe ich mich zum ersten Mal im Skiweltcup präsentiert - und zwar als ich 19 Jahre alt war. Und mit meinem Vater verbindet mich hier auch eine besondere Geschichte. Er hat hier gelebt und mich hier zum Skifahren gebracht. Als ich ein Kind war, habe ich das Skifahren gehasst, es war überhaupt nicht meins. Mein Papa kaufte mir dann die ganze Ausrüstung, damit ich cool aussah und mich gut fühlte. Ich bin zum Beispiel mit einer Mütze mit Hörnern herumgelaufen und habe auch Fleecejacken vom Österreichischen Skiverband erhalten - mit dem ,Kronen Zeitung‘-Logo auf der Brust. 

Erinnerst du dich an jenen Moment, als du das erste Mal in den Weltcup eingeführt wurdest?
Oh ja, das werde ich nie vergessen, das war wahrscheinlich einer der schönsten Tage in meinem Leben. Ich erinnere mich daran, wie ich hier in Kitzbühel debütierte - und Kitzbühel war wirklich eines der wichtigsten Rennen für mich. Ich bin am Londoner vorbeigegangen. Da war ein Österreicher, der den Asphalt geküsst hat - er war immer noch auf dem Heimweg vom Londoner - während ich gerade auf dem Weg zum ersten Durchgang war. Ich wusste nicht, was hier gerade passierte. Es erwarteten mich Tausende Menschen sowie Arnold Schwarzenegger auf der Tribüne. Und wenige Stunden später führte ich im ersten Durchgang - das war einfach surreal. Und das war auch jener Tag, an dem ich Hansi Hinterseer zum ersten Mal getroffen habe - und zwar bei der Inspektion zwischen den beiden Läufen. Schließlich erreichte ich den vierten Platz, konnte vor die Kameras springen und zur Welt „Hallo“ sagen - das war wirklich verrückt. Ich werde diesen Tag nie vergessen.

Am 27. Oktober 2023 hast du überraschend in Sölden bekannt gegeben, dass du deine Karriere mit nur 23 Jahren beendest. Das war eine große Entscheidung für jemanden, der noch so jung ist. Kannst du beschreiben, wie du zu dieser Entscheidung gekommen bist und wie der Prozess aussah?
Es war ein langer, langer Prozess. Ein Hin und Her meiner Entscheidungen. Und es war hart. Ich muss zugeben, Wengen letztens zu sehen, wo wir schon so viel Geschichte geschrieben haben, war schwer. Und Feller triumphieren gesehen zu haben, hat mich so glücklich gemacht. Aber es ist natürlich auch sehr hart. Meine Liebe zum Skifahren und zum Skirennsport war bis zuletzt vorhanden, aber ich befand mich in einem System, in einer Situation, in der es mir nicht gut ging. Und ich habe erkannt, dass ich eigentlich ziemlich unglücklich bin. Doch eigentlich habe ich mit dem Skifahren begonnen, weil es mich zum glücklichsten Menschen auf der Welt gemacht hat. Ich wollte von Beginn an nie etwas ausüben, was mich traurig und unglücklich macht. Ich hatte stets drei Ziele in meiner Karriere: Eines davon war, der beste Skifahrer der Welt zu werden. Das zweite Ziel war, der Szene im Skisport etwas zurückzugeben. Und das dritte Ziel war, über den Sport hinauszugehen und etwas zu bewirken. Ich habe immer versucht, meinen eigenen Weg zu gehen, ich habe immer versucht, meinen Zielen zu folgen, ich habe immer versucht, nie den Rezepten anderer Leute zu folgen. Aber mein drittes Ziel konnte ich in diesem System nicht erreichen - daher musste ich aussteigen. Was auch immer in Zukunft für mich ansteht: Das einzige, was ich sicher weiß, ist, dass ich es auf meine eigene Art und Weise machen werde - und genau das war es, was zu dieser Entscheidung geführt hat.

Die Saison hatte gerade eben begonnen, du hattest einen intensiven Sommer voller Training hinter dir, du warst voller Energie und Enthusiasmus. Warum hast du diesen Schritt ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt gemacht?
Es wurde immer schlimmer für mich. Irgendwann während dieses langen Prozesses habe ich herausgefunden, dass ich definitiv nicht so weitermachen kann und dass ich eine drastische Veränderung brauche, um mein Glück wiederzufinden - und das rund drei bis vier Wochen vor dem Sölden-Opening. Ich habe mir überlegt, wie ich das der Welt am besten mitteilen und wie ich die Pressekonferenz planen kann. Ich bin auch vorab persönlich zu all meinen Sponsoren gereist - zum Beispiel zu Red Bull, Atomic, Oakley. Denn das ist keine Sache, die man am Telefon erledigt. Also haben wir zehn Tage damit verbracht, durch Europa zu reisen, um alle zu informieren. 

Zitat Icon

Seit ich im Skizirkus dabei bin, wurde ich mit offenen Armen empfangen und nie als Bedrohung gesehen.

Lucas Pinheiro Braathen

Viele Sportler, Funktionäre, Promis und Co. haben den Rücktritt des „Paradiesvogels“ Braathen sehr bedauert. Was hat das in dir ausgelöst?
Das war natürlich sehr schön und ich bin nach wie vor sehr dankbar für diese fantastischen Athleten, mit denen ich diesen Wettbewerb und diese Reise des professionellen Skifahrens teilen konnte. Es gibt nichts als großartige Menschen in dieser Branche, ich hatte eine so gute Zeit. Und seit ich im Skizirkus dabei bin, wurde ich mit offenen Armen empfangen und nie als Bedrohung gesehen. Wir fühlten uns immer wie Freunde, die sich am Startgate kurzzeitig zu Konkurrenten verwandeln. Ich erinnere mich, als ich und meine Teamkollegen bei meinem Rücktritt alle gemeinsam im Hotelzimmer saßen und weinten -  es war so schrecklich, und doch so schön. Das war nichts anderes als pure Unterstützung. Das Einzige, was sie mir sagen wollten, war, dass ich willkommen bin, wann immer ich es möchte.

Hast du mittlerweile realisiert, was bereits passiert ist? Und wie hast du das alles verarbeitet?
Man hat immer Angst, weil man nicht weiß, wie man sich nach einiger Zeit fühlen wird. Also war ich sehr nervös, ob ich es etwa sofort bereuen werde. Aber ich habe definitiv das Gefühl, dass es richtig war, aus der Situation, in der ich mich befand, auszusteigen. Mit jedem Tag, der vergeht, geht es mir besser. Ich verbringe viel Zeit mit meiner Familie. Ich bin durch Norwegen gereist und habe Familienmitglieder besucht, die ich als Profi-Sportler nie zu sehen bekommen habe. Ich bin auch nach Brasilien geflogen, um dort meine ganze Familie zu sehen. Es war somit die richtige Entscheidung. Es ist aber natürlich schon seltsam, die Rennen zu sehen, bei denen ich immer noch ein Kribbeln in den Fingern habe. Aber ich fühle mich sehr zufrieden, ich fühle mich frei und Freiheit ist etwas, das ich am meisten schätze, also bin ich glücklich darüber.

Andere, die ihre Karriere beenden, verschwinden in den Hintergrund. Bei dir ist es anders: Du sitzt hier in Kitzbühel und gibst uns dieses Interview. Planst du somit, dem Skizirkus treu zu bleiben? Planst du ein Comeback oder andere Projekte?
Ich bin bei Oakley mittlerweile kreativ tätig, führe Regie, helfe beim Entwerfen. Und ich mache auch kreative Projekte mit Atomic sowie mit Red Bull. Ich darf somit neue Erfahrungen erleben und hoffe, dass diese mir helfen werden, eine Entscheidung zu treffen, was ich künftig möchte, also was mein Hauptweg sein soll. Im Moment bin ich noch etwas unsicher, aber ich bin sehr offen, was meine Zukunft angeht. Ich möchte das tun, was mich am glücklichsten macht. 

Welche Gedanken und Gefühle kommen dir in den Sinn, wenn du am Sonntag den Slalom in Kitzbühel live vor Ort verfolgen wirst? 
Ich werde das Rennen erstmals von der anderen Seite des Zauns sehen, das wird sicher besonders. Denn immerhin war ich bisher nur als Profi hier vor Ort. Und gemischte Gefühle werden wohl auch mit dabei sein. Ich werde jedenfalls jeden einzelnen Athleten anfeuern, der eine Show für die Zuschauer abzieht. Es wird bestimmt cool.

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(Bild: KMM)



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