EZB-Leuchtturmprojekt

Digitaler Euro: Schneller, sicherer und billiger?

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23.06.2023 16:40

Wir schreiben das Jahr 2028: Am Hamburger Hafen setzt ein Kran einen Container auf das Dock. Ein smartes System erkennt, dass die Ware nun in den Bereich des Käufers gelangt ist und wickelt die Zahlung automatisch ab - über digitales Zentralbankgeld. Die schöne neue Welt eines Digitalen Euro ist eine Zukunftsvision, aber im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) wird längst Vorarbeit geleistet.

Am 28. Juni will die Europäische Kommission mit einem Gesetzesvorschlag die Basis dafür legen, dass die EZB das Projekt ab Oktober auf die Startrampe bringen kann. Schon in drei bis vier Jahren könnte es Wirklichkeit werden.

Der digitale Euro soll so etwas sein wie digitales Bargeld, das nicht auf einem Bankkonto, sondern in einer digitalen Geldbörse aufbewahrt wird - einem sogenannten Wallet, etwa auf dem Smartphone. Er soll Banknoten und Münzen ergänzen, aber nicht ersetzen. Im Prinzip ist der Digitale Euro eine Konkurrenz für Kreditkarten-Anbieter wie Visa oder Mastercard sowie für Zahlungsdienstleister wie Paypal oder Klarna. Bei der Gestaltung gehe es aber darum, „schneller, sicherer und billiger“ als klassische Zahlungssysteme zu sein, betont Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling. Eine Überlegung sei auch, den Massenzahlungsverkehr in Europa unabhängiger zu machen von internationalen Anbietern, sagt ein Insider.

Stufenweise Einführung angedacht
In Design-Labors tüfteln Entwickler schon länger am Digitalen Euro. Derzeit wird an eine Einführung in Stufen gedacht, wobei bestimmte Funktionalitäten der neuen Digitalwährung erst nach und nach in Umlauf gebracht werden. Neben dem Digitalen Euro für jeden - in der Fachwelt oft als „retail CBDC“ bezeichnet - gibt es auch Überlegungen zu einem Digital-Euro für den Interbanken-Zahlungsverkehr - zumeist „wholesale CBDC“ genannt. Derzeit stehen aber Zahlungen der Verbraucher an der Ladenkasse oder im Online-Handel, Zahlungen zwischen Verbrauchern und Zahlungen von und an staatliche Stellen besonders im Vordergrund.

Aus Sicht von Kevin Hackl, Bereichsleiter Digital Banking und Financial Services beim Digitalverband Bitkom muss der Digitale Euro den verfügbaren Kryptowährungen technologisch ebenbürtig sein. „Ansonsten ist er nicht konkurrenzfähig.“ Entscheidend dafür sei unter anderem die Einhaltung des sogenannten ERC-20-Standards, damit der Digitale Euro im Web3 auf dezentralen Blockchains genutzt werden könne. Web3 umschreibt eine neue Generation des World Wide Web, das auf der Blockchain-Technologie basiert. Diese ermöglicht eine verschlüsselte Datenbank, auf der Kryptowerte und sämtliche Transaktionen mit ihnen gespeichert werden können.

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Die EZB hat nur eine Chance, wenn sie von Einzelhändlern - online wie offline - deutlich geringere Gebühren verlangt als beispielsweise Kreditkarten-Anbieter.

Philipp Sandner, Kryptowährungsexperte

Für Philipp Sandner, Kryptowährungsexperte und Professor an der Frankfurt School of Finance, stellt sich allerdings die grundsätzliche Frage nach dem Mehrwert, da sich die EZB bei der Konzeption des Digitalen Euro auf die Konsumenten konzentriere. „Dort gibt es bereits andere bewährte und beliebte Angebote wie Kreditkarten oder Handyzahlungen. Die EZB hat nur eine Chance, wenn sie von Einzelhändlern - online wie offline - deutlich geringere Gebühren verlangt als beispielsweise Kreditkarten-Anbieter.“

Politischer Wille ist kein Garant für Erfolg
Bitkom-Experte Hackl hält es zwar für nachvollziehbar, dass EU und EZB mit einem Digitalen Euro ihrem Souveränitätsanspruch im Zahlungsverkehr Nachdruck verleihen wollten: „Es bleibt aber die Frage, ob der Gesetzgeber oder die Zentralbank die richtigen Organisationen sind, um Innovationen selbst hervorzubringen oder eher die Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Lösungen setzen sollten.“ Auch Professor Sandner warnt, dass der politische Wille zur Einführung eines Digital-Euro kein Garant für dessen Nutzung als Zahlungsmittel sei. Letztendlich würden die Verbraucher über den Erfolg des Projekts entscheiden: „Der Digitale Euro wird kommen, weil die EZB ihre Pläne beharrlich verfolgt. Der politische Wille ist da, aber ob er auch erfolgreich sein wird, ist noch nicht abgemacht.“

Den Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Helmut Schleweis, treibt die Sorge um, dass die EZB selbst als Wettbewerber in den Payment-Markt eintreten und damit den Banken Geschäft wegnehmen könnte: Die Frage sei, „ob sie Konten für Endkunden führen soll. Ob sie programmierbares Geld einführt - Programmierungen, mit denen Zahlungen politisch gelenkt und Nachverfolgung ermöglicht werden könnten“, sagte er unlängst auf dem Deutschen Sparkassentag. Ein Kommissionsbeamter weist dieses „Big Brother“-Szenario zurück. Die Zentralbanken würden mit einem Digitalen Euro keinen Zugang zur Identität der Zahlenden haben. Vielmehr ergäben sich Möglichkeiten für Geschäftsbanken, Bürgern und Unternehmen diese Cyber-Devise zugänglich zu machen: „Das sind natürlich auch Chancen, um Zusatzleistungen auf den Digitalen Euro aufzubauen - etwa innovative Zahlungsmittel.“

Neue Risiken für Finanzstabilität
Experten befürchten auch neue Risiken für die Finanzstabilität durch den E-Euro. Denn Nutzer könnten darauf setzen, dass die neue Digitalwährung viel sicherer ist als das Geld auf ihrem Bankkonto, und verstärkt Summen in ihre digitale Geldbörse umschichten. Für Banken mit starken Einlagengeschäften wäre das keine einfache Situation. Denn diese Gelder stünden den Geldhäusern als stabile und günstige Refinanzierungsquelle nicht mehr zur Verfügung. Nach Berechnungen der DZ-Bank-Volkswirte könnten Kundeneinlagen von rund einer Billion Euro von den Bankkonten weg in die neue Geldform fließen.

In einer Bankenkrise könnte eine solche Einlagenflucht sehr schnell gehen: Statt vor den Geldautomaten Schlage zu stehen, könnten die Verbraucher mit einem Mausklick Summen in die Digital-Währung verschieben, wie der Finanzdienstleister W&W in einem Sonderbericht zum Gefahren-Szenario eines digitalen Bank Run erläutert. Das sei schon jetzt ein Problem: In der jüngsten Bankenkrise in den USA habe sich gezeigt, dass sich die Reaktionsgeschwindigkeit der Kunden durch die modernen Möglichkeiten der Kommunikation über soziale Netzwerke und das Online-Banking massiv erhöht habe, führt er aus. Dort hatten Kunden innerhalb weniger Stunden viele Milliarden Dollar an Einlagen aus kriselnden Regionalbanken abgezogen.

Limits und umgekehrte Wasserfälle
Um diese Risiken zu vermeiden, wird von den E-Euro-Designern ein Limit, eine Obergrenze, ins Spiel gebracht, wie viel Digital-Euro der Einzelne halten kann. Ulrich Bindseil, EZB-Generaldirektor für Marktinfrastrukturen, hatte 2020 in einer viel beachteten Studie einmal eine Obergrenze von 3.000 Euro ins Spiel gebracht. Dabei orientierte er sich am durchschnittlichen Haushaltseinkommen in der Euro-Zone. Andere Überlegungen nehmen die Menge an Bargeld als Anhaltspunkt, die der Einzelne pro Monat im Schnitt in seinem Portemonnaie hat - das Limit würde dann aber deutlich niedriger liegen.

Dazu könnte die elektronische Geldbörse mit bestimmten Funktionalitäten ausgestattet sein, um das Limit einzuhalten. Sollte es beispielsweise zu voll werden und das Limit überschreiten, könnte automatisch Geld abfließen auf das angedockte Konto bei der Bank. „Wasserfall-Funktion“ nennen das die Digital-Euro-Designer. Der umgekehrte Fall würde eintreten, wenn das Wallet nicht genügend E-Euro enthält, um beispielsweise eine Zahlung zu leisten. In diesem Fall könnte automatisch der fehlende Betrag aus dem angedockten Konto abfließen und die Lücke auffüllen - „Umgekehrter Wasserfall“ heißt das bei den Entwicklern.

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