"Krone"-Reportage

Qualtingers “Herr Karl” ist 50 – und kann nicht sterben

Österreich
29.09.2011 09:29
Vor 25 Jahren, am 29. September 1986, ist er gestorben: Helmut Qualtinger. Vor 50 Jahren, am 15. September 1961, wurde seine unsterbliche Figur geboren: "Der Herr Karl". Ernst Trost über Qualtingers Vermächtnis - und wie er auch die Kronen Zeitung geprägt hat.

Am Morgen danach war das Land tief gespalten, und auch in der Redaktion der "Krone" wurde gestritten. Qualtinger hatte als Herr Karl die dunklen Seiten der österreichischen Seele bloßgelegt und die Wiener Gemütlichkeit als Heuchelei und Lüge entlarvt. Und wir waren ihm dankbar dafür.

Aber das halbe Land bäumte sich zuerst gegen dieses Zerrbild auf, das da "Quasi" mit Carl Merz und Regisseur Erich Neuberg geschaffen hatte. Für die begeisterte TV-Kritik in der noch jungen Kronen Zeitung hatte unser Fernsehen damit "seine Reifeprüfung abgelegt".

Doch dann druckten wir noch den leidenschaftlichen Widerspruch unseres Redaktions-Seniors Derka, für den dieser "fast schon kriminelle" Karl nicht zum "Durchschnittswiener abgestempelt werden sollte". Nach der Bühnenaufführung aber stand bei uns zu lesen: "Wenn man die Karl-Saga als antiösterreichisch ablehnt, dann fragen wir: Was ist antiösterreichischer, sich wie ein Schwein zu benehmen oder diese Tatsache festzustellen?"

"Der Herr Karl von heute ist fesch"
Qualtinger war von da an ein wenig der Gefangene dieses Erfolges. Die breite Masse identifizierte ihn mit der Gestalt. Und die Leute redeten ihn auf der Straße als Herrn Karl an. "Den könnt' ich heute noch spielen. Immer nur den Herrn Karl und sonst nix", erinnert sich Georg Biron in seinem eben erschienenen Buch "Quasi Herr Karl" seines letzten Gespräches kurz vor Qualtingers Tod: "Der Herr Karl von heute ist - fesch. Er trägt Maßschuhe und verwendet eine Kreditkarte. Der Herr Karl kann nämlich sehr schön sein. Und er stirbt nicht."

Manchmal wäre es Qualtinger wohl lieber gewesen, die Leute hätten den Karl zumindest vergessen. Denn "Quasi" war ein Gesamtkunstwerk, in der Sprache zu Hause wie im Kabarett oder auf der Bühne und im Film Schöpfer unvergesslicher Charakterrollen. "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus brachte er durch seine Lesekunst einem neuen Publikum nahe.

"Im Zweifel bin ich dagegen"
Als ein durch und durch politischer Mensch war er in den Jahren des Kalten Krieges überzeugter Antikommunist. Und zwischen hochgeistigem Schmäh und im Alkohol ertränkter Tragik steuerte er sein Leben stets gegen den Strom. "Im Zweifel bin ich dagegen", bekannte er einmal.

Nach dem frühen Tode des 58-Jährigen im Herbst 1986 war es leer geworden in Wien. In Beisln, an Theken, in Kaffeehäusern, in Künstlergarderoben und vor allem in seinem Lieblingslokal, im "Gutruf", begannen dann viele Geschichten mit "Als der 'Quasi'...", ein trauriges "Es war einmal", ein melancholisches Abschiednehmen zwischen Weinen und Lachen, voller Wehmut.

Inzwischen war der "Quasi" längst zum beliebten Volksschauspieler im besten Sinn des Wortes geworden, zu einer Kultfigur, zu einem Menschendarsteller, der auch Österreich darstellte und in dieser Rolle nach dem ersten Schock und einigem Zögern auch von einem größeren Publikum voll akzeptiert wurde; selbst wenn er oft und oft aneckte, Widerspruch herausforderte und sich viele Feinde machte.

Ja, er konnte Feindschaften leidenschaftlich pflegen, so wie er ein guter und verlässlicher Freund war. Seine Verdammungsurteile waren vernichtend, aber ein Lob von "Quasi", das war für mich als jungen Journalisten das Höchste.

Er hat uns den Spiegel vorgehalten
Damals, ab 1955 bei Dichands "Neuem Kurier", warteten wir jeden Samstag gespannt auf das satirische Feuilleton "Blattl vor'm Mund" von Qualtinger und Merz. Solchen Spott und beißenden Witz ohne Angst vor denen da oben hatte bis dahin kaum eine Zeitung riskiert. Das "Blattl" schlug in einer erstarrten großkoalitionären Gesellschaft wie eine Bombe ein. Kritisches Kabarett auf höchstem Niveau wurde dann in fünf legendären Bühnenprogrammen fortgesetzt. Und wir weinten vor Lachen und Glück.

So hat uns Qualtinger immer wieder in Hassliebe den Spiegel vorgehalten - und wir sahen die Fratze hinter dem österreichischen Antlitz, die Abgründe unter der alles glättenden Verbindlichkeit, die durch geschliffene Höflichkeitsformeln getarnte Bosheit und die Intoleranz einer verlogenen Allerweltsfreundlichkeit.

Wenn unser Land ein wenig offener und freier geworden ist, hat Qualtinger viel dazu beigetragen. Wir, die ihn kannten, erlebten und verehrten, werden unseren "Quasi" nie vergessen. Und der Herr Karl, der kann ohnehin nicht aussterben ...

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